“Ich weiß es, Sie haben Aurelien geliebt seit dem Augenblick, als sie mit der Fürstin hier zum erstenmal in den Saal trat. –Sie werden wiedergeliebt, und zwar mit einem Feuer, das ich der sanften Aurelie nicht zugetraut hätte. Sie lebt nur in Ihnen, die Fürstin hat mir alles gesagt. Glauben Sie wohl, daß nach Ihrer Verhaftung Aurelie sich einer ganz trostlosen, verzweifelten Stimmung überließ, die sie auf das Krankenbett warf und dem Tode nahe brachte? Aurelie hielt Sie damals für den Mörder ihres Bruders, um so unerklärlicher war uns ihr Schmerz. Schon damals wurden Sie geliebt. Nun, Herr Leonard, oder vielmehr Herr von Krczinski, Sie sind von Adel, ich fixiere Sie bei Hofe auf eine Art, die Ihnen angenehm sein soll. Sie heiraten Aurelien. – In einigen Tagen feiern wir die Verlobung, ich selbst werde die Stelle des Brautvaters vertreten.” – Stumm, von den widersprechendsten Gefühlen zerrissen, stand ich da. – “Adieu, Herr Leonard!” rief der Fürst und verschwand, mir freundlich zuwinkend, aus dem Zimmer.
Aurelie mein Weib! – Das Weib eines verbrecherischen Mönchs! Nein! so wollen es die dunklen Mächte nicht, mag auch über die Arme verhängt sein, was da will! – Dieser Gedanke erhob sich in mir, siegend über alles, was sich dagegen auflehnen mochte. Irgendein Entschluß, das fühlte ich, mußte auf der Stelle gefaßt werden, aber vergebens sann ich auf Mittel, mich schmerzlos von Aurelien zu trennen. Der Gedanke, sie nicht wiederzusehen, war mir unerträglich, aber daß sie mein Weib werden sollte, das erfüllte mich mit einem mir selbst unerklärlichen Abscheu. Deutlich ging in mir die Ahnung auf, daß, wenn der verbrecherische Mönch vor dem Altar des Herrn stehen werde, um mit heiligen Gelübden freveliges Spiel zu treiben, jenes fremden Malers Gestalt, aber nicht milde tröstend wie im Gefängnis, sondern Rache und Verderben furchtbar verkündend, wie bei Franceskos Trauung, erscheinen und mich stürzen werde in namenlose Schmach, in zeitliches, ewiges Elend. Aber dann vernahm ich tief im Innern eine dunkle Stimme: “Und doch muß Aurelie dein sein! Schwachsinniger Tor, wie gedenkst du zu ändern das, was über euch verhängt ist?” Und dann rief es wiederum: “Nieder – nieder wirf dich in den Staub! – Verblendeter, du frevelst! Nie kann sie dein werden; es ist die heilige Rosalia selbst, die du zu umfangen gedenkst in irdischer Liebe.” So im Zwiespalt grauser Mächte hin und her getrieben, vermochte ich nicht zu denken, nicht zu ahnen, was ich tun müsse, um dem Verderben zu entrinnen, das mir überall zu drohen schien. Vorüber war jene begeisterte Stimmung, in der mein ganzes Leben, mein verhängnisvoller Aufenthalt auf dem Schlosse des Barons von F. mir nur ein schwerer Traum schien. In düstrer Verzagtheit sah ich in mir nur den gemeinen Lüstling und Verbrecher. Alles, was ich dem Richter, dem Leibarzt gesagt, war nun nichts als alberne, schlecht erfundene Lüge, nicht eine innere Stimme hatte gesprochen, wie ich sonst mich selbst überreden wollte.
Tief in mich gekehrt, nichts außer mir bemerkend und vernehmend, schlich ich über die Straße. Der laute Zuruf des Kutschers, das Gerassel des Wagens weckte mich, schnell sprang ich zur Seite. Der Wagen der Fürstin rollte vorüber, der Leibarzt bückte sich aus dem Schlage und winkte mir freundlich zu; ich folgte ihm nach seiner Wohnung. Er sprang heraus und zog mich mit den Worten: “Eben komme ich von Aurelien, ich habe Ihnen manches zu sagen!” herauf in sein Zimmer. “Ei, ei”, fing er an, “Sie Heftiger, Unbesonnener! was haben Sie angefangen! Aurelien sind Sie erschienen plötzlich wie ein Gespenst, und das arme nervenschwache Wesen ist darüber erkrankt!” – Der Arzt bemerkte mein Erbleichen. “Nun nun”, fuhr er fort, “arg ist es eben nicht, sie geht wieder im Garten umher und kehrt morgen mit der Fürstin nach der Residenz zurück. Von Ihnen, lieber Leonard! sprach Aurelie viel, sie empfindet herzliche Sehnsucht, Sie wiederzusehen und sich zu entschuldigen. Sie glaubt, Ihnen albern und töricht erschienen zu sein.”
Ich wußte, dachte ich daran, was auf dem Lustschlosse vorgegangen, Aureliens Äußerung nicht zu deuten. Der Arzt schien von dem, was der Fürst mit mir im Sinn hatte, unterrichtet, er gab mir dies nicht undeutlich zu verstehen, und mittelst seiner hellen Lebendigkeit, die alles um ihn her ergriff, gelang es ihm bald, mich aus der düstern Stimmung zu reißen, so daß unser Gespräch sich heiter wandte. Er beschrieb noch einmal, wie er Aurelien getroffen, die, dem Kinde gleich, das sich nicht vom schweren Traum erholen kann, mit halb geschlossenen, in Tränen lächelnden Augen auf dem Ruhbette, das Köpfchen in die Hand gestützt, gelegen und ihm ihre krankhafte Visionen geklagt habe. Er wiederholte ihre Worte, die durch leise Seufzer unterbrochene Stimme des schüchternen Mädchens nachahmend, und wußte, indem er manche ihrer Klagen neckisch genug stellte, das anmutige Bild durch einige kecke, ironische Lichtblicke so zu heben, daß es gar heiter und lebendig vor mir aufging. Dazu kam, daß er im Kontrast die gravitätische Fürstin hinstellte, welches mich nicht wenig ergötzte. “Haben Sie wohl gedacht”, fing er endlich an, “haben Sie wohl gedacht, als Sie in die Residenz einzogen, daß Ihnen so viel Wunderliches hier geschehen würde? Erst das tolle Mißverständnis, das Sie in die Hände des Kriminalgerichts brachte, und dann das wahrhaft beneidenswerte Glück, das Ihnen der fürstliche Freund bereitet!”
“Ich muß in der Tat gestehen, daß gleich anfangs der freundliche Empfang des Fürsten mir wohltat; doch fühle ich, wie sehr ich jetzt in seiner, in aller Achtung bei Hofe gestiegen bin, das habe ich gewiß meinem erlittenen Unrecht zu verdanken.”
“Nicht sowohl dem als einem ändern ganz kleinen Umstände, den Sie wohl erraten können.” “Keinesweges.” “Zwar nennt man Sie, weil Sie es so wollen, schlechtweg Herr Leonard, wie vorher, jeder weiß aber jetzt, daß Sie von Adel sind, da die Nachrichten, die man aus Posen erhalten hat, Ihre Angaben bestätigten.”
“Wie kann das aber auf den Fürsten, auf die Achtung, die ich im Zirkel des Hofes genieße, von Einfluß sein? Als mich der Fürst kennenlernte und mich einlud, im Zirkel des Hofes zu erscheinen, wandte ich ein, daß ich nur von bürgerlicher Abkunft sei, da sagte mir der Fürst, daß die Wissenschaft mich adle und fähig mache, in seiner Umgebung zu erscheinen.” “Er hält es wirklich so, kokettierend mit aufgeklärtem Sinn für Wissenschaft und Kunst. Sie werden im Zirkel des Hofes manchen bürgerlichen Gelehrten und Künstler bemerkt haben, aber die Feinfühlenden unter diesen, denen Leichtigkeit des innern Seins abgeht, die sich nicht in heitrer Ironie auf den hohen Standpunkt stellen können, der sie über das Ganze erhebt, sieht man nur selten, sie bleiben auch wohl ganz aus. Bei dem besten Willen, sich recht vorurteilsfrei zu zeigen, mischt sich in das Betragen des Adligen gegen den Bürger ein gewisses Etwas, das wie Herablassung, Duldung des eigentlich Unziemlichen aussieht; das leidet kein Mann, der im gerechten Stolz wohl fühlt, wie in adliger Gesellschaft oft nur er es ist, der sich herablassen und dulden muß das geistig Gemeine und Abgeschmackte. Sie sind selbst von Adel, Herr Leonard, aber, wie ich höre, ganz geistlich und wissenschaftlich erzogen. Daher mag es kommen, daß Sie der erste Adlige sind, an dem ich selbst im Zirkel des Hofes unter Adligen auch jetzt nichts Adliges, im schlimmen Sinn genommen, verspürt habe. Sie könnten glauben, ich spräche da als Bürgerlicher vorgefaßte Meinungen aus oder mir sei persönlich etwas begegnet, das ein Vorurteil erweckt habe, dem ist aber nicht so. Ich gehöre nun einmal zu einer der Klassen, die ausnahmsweise nicht bloß toleriert, sondern wirklich gehegt und gepflegt werden. Ärzte und Beichtväter sind regierende Herren – Herrscher über Leib und Seele, mithin allemal von gutem Adel. Sollten denn auch nicht Indigestion und ewige Verdammnis den Courfähigsten etwas weniges inkommodieren können? Von Beichtvätern gilt das aber nur bei den katholischen. Die protestantischen Prediger, wenigstens auf dem Lande, sind nur Hausoffizianten, die, nachdem sie der gnädigen Herrschaft das Gewissen gerührt, am untersten Ende des Tisches sich in Demut an Braten und Wein erlaben. Mag es schwer sein, ein eingewurzeltes Vorurteil abzulegen, aber es fehlt auch meistenteils an gutem Willen, da mancher Adliger ahnen mag, daß nur als solcher er eine Stellung im Leben behaupten könne, zu der ihm sonst nichts in der Welt ein Recht gibt. Der Ahnen-und Adelstolz ist in unserer alles immer mehr vergeistigenden Zeit eine höchst seltsame, beinahe lächerliche Erscheinung. – Vom Rittertum, von Krieg und Waffen ausgehend, bildet sich eine Kaste, die ausschließlich die ändern Stände schützt, und das subordinierte Verhältnis des Beschützten gegen den Schutzherrn erzeugt sich von selbst. Mag der Gelehrte seine Wissenschaft, der Künstler seine Kunst, der Handwerker, der Kaufmann sein Gewerbe rühmen, >siehe<, sagt der Ritter, >da kommt ein ungebärdiger Feind, dem ihr, des Krieges Unerfahrne, nicht zu widerstehen vermöget, aber ich Waffengeübter stelle mich mit meinem Schlachtschwert