»5.700 Euro sind viel Geld.«
Die Hoffnung erlosch prompt.
»Wie hoch sind denn Ihre Schulden?«
»Zweitausenddreihundert.« Sie musste es lauter wiederholen, weil Frau Haler so tat, als habe sie nicht verstanden.
»Und Sie sind geprüfte Kosmetikerin? Können Sie das belegen?«
»Ja. Ich habe ein sehr gutes Abschlusszeugnis.«
»Aber keine Praxis …«
»Doch. Aber nur ein Jahr, bis zur Geburt von Kitty. Dann wollte mein Verlobter, dass ich mich um das Kind kümmere.«
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich habe ein Gästezimmer mit Bad – da können Sie mit Ihrer Tochter kostenlos wohnen. Dafür halten Sie mir das Haus in Ordnung, kochen, putzen …!«
»Kitty und ich sind in einer Krankenkasse. Die kann ich nicht aufgeben!«, erwiderte Daria erschrocken. Sollte sie darauf eingehen? Oh, wenn sie nur jemanden um Rat fragen könnte!
»Da haben Sie ganz recht: Die zahle ich für Sie mit dem restlichen Geld, das übrig ist, wenn Sie Ihre Schulden beglichen haben.«
»Aber – ich brauche doch etwas Taschengeld«, flüsterte Daria entsetzt.
»Das können Sie sich verdienen! Es bleibt Ihnen genug Zeit, sich um eine Putzstelle umzusehen. Oder Schreibarbeiten zu Hause zu machen – abends …« Und weil Daria zögerte, setzte sie spöttisch hinzu: »Ich zwinge Sie nicht! Bestimmt bekomme ich das Gemälde bei der Auktion in zwei Wochen um einiges billiger.«
»Ich – ich …!«
»Trinken Sie Ihren Kaffee, bevor er kalt wird!«
Die Frau war schrecklich, aber sie musste ja nicht lange bei ihr bleiben! Bloß, bis sie einen Kindergartenplatz für Kitty hatte und eine Stellung in einem Kosmetiksalon.
»Ich habe einen großen Garten, da kann ihre Tochter spielen. Allerdings will ich keine fremden Kinder in Haus und Garten.«
Ein Garten für Kitty! Nur vorübergehend …
»Ja, ja, gern! Danke!«, hörte Daria sich wider besseres Wissen sagen.
»Na, also. Sie verpflichten sich für ein Jahr. Ich mag keinen ständigen Wechsel, Sie verstehen? Und dann sehen wir weiter!«
*
Es wurde weit schlimmer, als Daria es sich hatte vorstellen können.
Das Haus war groß und altmodisch und sehr schwer zu pflegen. Außerdem war es vollgestellt mit Möbeln. Auf jedem freien Platz standen Nippes und Silber, das geputzt werden musste. An den Wänden hingen Bilder dicht gedrängt und teilweise übereinander. Die Teppiche mussten an der Teppichstange geklopft werden und gesaugt. Die Unmengen Kleider von Frau Haler, die irgendwie alle ganz gleich aussahen, wurden nach jedem Tragen gelüftet und ausgebürstet. Die Bett- und Tischwäsche wurde wöchentlich gewechselt, gewaschen und gebügelt.
Frau Haler besorgte einen Kindergartenplatz für Kitty: Sie hatte Beziehungen, und Daria hätte nicht gewusst, wann sie sich umsehen sollte. Sie tat das nicht aus Freundlichkeit, sondern weil das lebhafte Kind ihr auf die Nerven fiel.
Wenn Daria um einen freien Tag oder Nachmittag bat, um sich um eine zusätzliche Putzstelle zu bewerben, fiel ihr immer eine sofort zu erledigende Aufgabe ein, und sie konnte sich nicht vorstellen. Und an den Sonn- und Feiertagen, an denen Frau Haler nicht Besuch hatte oder eingeladen war, durfte Daria sie kosmetisch behandeln.
»Sie werden doch ohnehin kaum mit allem fertig«, sagte Lore Haler gehässig. »Wann wollen Sie denn noch woanders arbeiten?!«
»Kitty ist aus ihren Kleidern herausgewachsen. Sie braucht neue Schuhe«, erwiderte Daria unglücklich.
»Sie sollten sich einer Putzkolonne anschließen, die frühmorgens oder abends nach Dienstschluss in Kaufhäusern oder Büros Ordnung macht«, schlug Lore Haler mit einem gehässigen Lächeln vor.
Einen Augenblick sah Daria sie entsetzt an. Doch als Frau Haler ihr wenige Tage später eine Adresse brachte, stellte sie sich vor. Was blieb ihr schon übrig?
Ihr einziger Trost war Kitty. Sie sah sie mit Patricks Augen an und sie lachte sein unbeschwertes, frohes Lachen. Es gefiel ihr im Kindergarten, und sie wäre am liebsten auch an den Wochenenden hingegangen, denn in dem schönen großen Garten durfte sie nur ganz selten spielen. Eigentlich nur, wenn Frau Haler unterwegs war.
Und Mami hatte so selten Zeit! Immer musste sie arbeiten! Sogar am Sonntag! Immerhin durften sie am Sonntag in die Kirche gehen. Manchmal schwänzten sie die Kirche und gingen stattdessen ein Eis essen oder in den Zoo. Das war besonders schön, weil es ein Geheimnis war! Dann kicherten sie und lachten zusammen.
Schlimm war die Weihnachts- und Osterzeit. Im ersten Jahr hatte Daria gehofft, dass von den vielen Päckchen und Paketen, die in den Wohnräumen herumlagen, wenigstens eines für Kitty dabei war – aber nichts! Kein einziges kleines Geschenk hatte Frau Haler für das Kind besorgt!
Sie selbst hatte von dem Geld, das sie beim Putzen in einem Kaufhaus verdiente, Kleider, Wäsche und Schuhe für Kitty gekauft. Aber das waren keine echten Geschenke! Das war einfach notwendig! Kinder in dem Alter wuchsen so schnell.
Kitty freute sich über die neuen Sachen, die unter dem prächtig aufgeputzten Christbaum im Salon von Frau Haler zwischen deren zahllosen Päckchen lagen, aber dann fragte sie doch: »Mami, warum bringt das Christkind mir keine richtigen Geschenke mehr, jetzt wo der liebe Papi tot ist?«
Frau Haler lachte schallend, dann sagte sie streng: »Sind das keine Geschenke, die vielen Anziehsachen, die deine Mutter dir gekauft hat?«
Kitty zog den Kopf ein. Sie wagte nicht mehr, der bösen Frau zu widersprechen. Sie hatte Angst vor ihr.
»So ein verwöhntes Balg!«, stellte Lore Haler fest und biss einem Schokoladenengel den Kopf ab. »Freu dich doch an dem schönen Christbaum!«
»Ja, der ist wirklich sehr schön«, sagte Daria schnell. »Aber heut war ein langer Tag. Es ist Zeit fürs Bett!«
Sie bedankte sich. Für was eigentlich?
In ihrem Zimmer unter dem Dach, dem ehemaligen Mädchenzimmer, fragte Kitty wieder: »Glaubst du, dass der Osterhase mir auch nichts mehr bringt?«
»Es geht uns doch gut!«, behauptete Daria. »So ein schönes, warmes Zimmer! Und der große Garten! Und …!«
»Ja! Aber früher, als der Papi noch bei uns war, da war es viel schöner«, gab ihr Kitty zur Antwort.
»Ja«, sagte Daria leise und nahm sie in die Arme. »Hauptsache, wir zwei sind zusammen!« Dann erzählte sie ihr von früher und drückte sie dabei ganz fest an sich, damit sie nicht sah, dass ihre Augen nass von Tränen waren.
*
»Nein, so etwas! Was für eine seltene Überraschung! Ich dachte schon, man würde dich überhaupt nicht mehr zu sehen bekommen, jetzt, wo mein armer Patrick tot ist. Oder solltest du – wie so mancher andere – überlegen, wer sein Erbe antritt?« Elisabeth von Richter fand ihren Scherz sehr gelungen und lachte herzlich.
Konstantin von Ferrer zog ein Gesicht, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen, er deutete nur einen Handkuss an und übersah, dass sie ihm die Wange zu einem verwandtschaftlichen Kuss hinhielt.
»Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen, selbst wenn wir näher verwandt wären«, erwiderte er und setzte sich in den Sessel, den sie ihm mit einer Handbewegung anbot. »Schließlich hast du ja eine Enkeltochter!«
»Habe ich nicht!«, fuhr sie gereizt auf.
Er zuckte mit einem verächtlichen Lächeln die Schultern. »Auch wenn es dir nicht gefällt, aber nach den heutigen Gesetzen wirst du sie nicht so leicht verleugnen können.«
»Ich habe gute Anwälte und einen unanfechtbaren Erbvertrag«, zischte sie.
Er zuckte wieder