Die eklatanteste Schwierigkeit des Projektes lag aber zweifellos in der Auswahl der Künstler. Sicher, Namen wie Giotto, Leonardo, Dürer, Rubens, Rembrandt und viele andere mehr warfen keinerlei Probleme auf. Hinsichtlich des einen oder anderen Künstlers jedoch, den ich trotz eines vielleicht geringeren Bekanntheitsgrades in meine Liste aufgenommen habe, vor allem aber hinsichtlich der Maler, die ich ausgeklammert habe, wird sicher manche Leser-Erwartung enttäuscht werden. Subjektive Auswahlkriterien waren wohl nicht ganz zu vermeiden. Im Grunde hätte ich begründen müssen, warum bestimmte Namen in meiner Synopse nicht erscheinen – doch das wäre ein Buch für sich geworden; viele Maler, die es nicht bis zum Hauptdarsteller »geschafft« haben, tauchen aber wenigstens im Register auf, wo auch ihre Lebensdaten zu finden sind.
Ich hoffe dennoch, mit diesem Überblick dem Leser einen Kanon der größten Meister und eine nachvollziehbare Begründung für deren künstlerische Größe an die Hand zu geben.
DAS MITTELALTER
Kaisertum und Papsttum, Heiliges Römisches Reich und moderne Nationalstaaten, der feudalistische Adel und das selbstbewusste Bürgertum der Städte, der traditionelle Klerus und die neuen Bettelorden des 13. Jahrhunderts, Ritter, Kreuzfahrer, diesseitsorientierte Händler und Bankiers, ökonomischer, technologischer und wissenschaftlicher Aufschwung auf der einen, Aberglaube, Inquisition, fürchterliche Pestepidemien auf der anderen Seite – das sind nur wenige Stichworte für das bunte und kontroverse Spektrum, das diese Epoche charakterisierte und auf die Kunst einwirkte. Das Mittelalter war nicht einfach nur »finster«, es war daneben aufgeklärt, tolerant und innovativ – nicht umsonst wachsen aus ihm im 15. Jahrhundert die Entdeckungsreisen und die Gestalt eines Kolumbus, aber auch der Buchdruck eines Gutenberg heraus, Personen und Phänomene, mit denen die Historiker die Neuzeit beginnen lassen. Und auch zur Reformation eines Martin Luther, die zu den entscheidenden Kriterien der Neuzeit zählt, hat das Mittelalter die Vorbedingungen geschaffen.
FRÜHMITTELALTER (8.–11. JAHRHUNDERT)
Die vage klingende Klassifikation »Frühmittelalter« bzw. »frühmittelalterliche Kunst« bezieht ihre Berechtigung daraus, dass die beiden oft an ihrer Stelle genannten Stile des Karolingischen und des Ottonischen an den dynastischen Verhältnissen und an den Phänomenen im Heiligen Römischen Reich orientiert sind und deshalb wichtigen Kunstäußerungen in anderen Gegenden des Abendlandes nicht gerecht werden. Zu letzteren gehört beispielsweise die irisch-angelsächsische (»insulare«) Kunst. Herausragende Kunstleistungen sind die berühmten Werke der Buchmalerei, deren bedeutendste Schöpfungen vom späten 7. Jahrhundert bis in die Jahre um 800 reichen. Auch in Spanien blühte ein ganz eigener, unverwechselbarer Stil, der mozarabische, der eine maurisch geprägte christliche Kunst und Architektur im 10. und 11. Jahrhundert in den ehemals arabisch besetzten Gebieten dominierte.
Die karolingische Kunst konzentriert sich auf die Kunst des fränkischen Reiches (also die Kernlande des späteren Frankreich und des Heiligen Römischen Reiches) während der Regierungszeit der Karolinger. Das heißt sie begann um die Mitte des 8. Jahrhunderts und endete im ostfränkischen Reichsteil im frühen 9. Jahrhundert, im westfränkischen erst im ausgehenden 10 Jahrhundert. Das kulturelle Leben der karolingischen Zeit war geprägt durch den von Karl dem Großen (742–814) in Konkurrenz gegen Byzanz entwickelten Anspruch der »renovatio« (»Erneuerung«) des römischen Imperiums, der in der sogenannten »karolingischen Renaissance« Ausdruck fand, in dem Bemühen, Anschluss an die repräsentative spätantike und frühchristliche Kunst Italiens zu finden. Zugleich band die christliche Kirche das Abendland universal zusammen. Sie erzeugte eine abendländische Kulturgemeinschaft, in der ein reger Gedanken- und Formenaustausch zu einer kaum überschaubaren Vielgestaltigkeit führte. Nirgends zeigt sich dies wohl deutlicher als in der herrlichen karolingischen Buchmalerei und Elfenbeinschnitzerei. Die Miniaturenkunst kulminierte in der Hof- und Palastschule und Werken wie dem Wiener Krönungsevangeliar (Wien, Schatzkammer) um 800. Einige erhaltene Wandmalereien, Mosaiken, Fragmente von Glasmalereien sowie wunderbare Zeugnisse der Goldschmiede- und kirchlichen Schatzkunst fügen sich zu einem bunten und kostbaren Gesamtbild damaliger Kunst – auch wenn man berücksichtigen muss, dass diese auf Klöster und einige urbane Zentren in einem ansonsten von Wildnis und von einem heidnischen Umfeld beherrschten Europa beschränkt blieb.
In der Kirchenarchitektur wurde der Typus der frühchristlichen Basilika maßgebend, wenn auch um doppelchörige Anlagen und Westwerke bereichert (Centula, Corvey usw.); zusätzlich spielte der Zentralbau eine Rolle. Letzterer ist unter anderem vertreten durch das herrlichste, in vielem noch original erhaltene Bauwerk karolingischer Zeit, die Aachener Pfalzkapelle (um 800 geweiht). Ihre Bronzetüren und Emporengitter dokumentieren im Übrigen, dass man damals auch auf dem Feld der Gusstechnik wieder an die Erfahrung der Antike anzuknüpfen suchte.
Die Zeit der politischen Reorganisation des Reiches unter den sächsischen Herrschern im Heiligen Römischen Reich bezeichnet man als »Ottonik« (919–1024), gelegentlich klassifiziert man auch die unter den ersten salischen Herrschern bis gegen 1056 entstandenen Werke als »spätottonisch«. In anderen Regionen Europas entspricht die Phase ab circa 1000 der Frühromanik. In der Ottonik lag das kulturelle Schwergewicht auf dem kaiserlichen Stammland Sachsen. Aber auch Köln, Essen, Fulda, Trier, Regensburg, Salzburg, die Reichenau und andere Produktionszentren spielten eine herausragende Rolle. In ihnen allen machte sich ein beträchtlicher byzantinischer Einfluss bemerkbar. Zu Meisterleistungen der Kirchenarchitektur trat eine Bildhauerkunst, die die ersten selbständigen Kultbilder (Essener Madonna, Gero-Kreuz in Köln usw.) und mit der Tür des Hildesheimer Doms ein Glanzstück des Bronzegusses hervorbrachte. Elfenbeinschnitzereien, Reliquiare, Buchdeckel, Antependien usw. und nicht zuletzt die deutsche Reichskrone belegen das künstlerische Vermögen dieser Zeit. Der wichtigste Zweig der ottonischen Kunst aber war zweifellos die Buchmalerei, vertreten insbesondere durch die exorbitanten, auf der Reichenau entstandenen liturgischen Handschriften um 1000.
ROMANIK (UM 1000–UM 1200)
Der Begriff »Romanik« wurde im 19. Jahrhundert auf eine Epoche angewandt, deren Anfänge etwa in den Jahrzehnten um 1000 liegen und die später von der Gotik abgelöst werden wird: in Frankreich, was die Skulptur und Architektur betrifft, bereits um 1140/45, in Deutschland erst in einer Übergangsphase des frühen 13. Jahrhunderts. Hier war die Romanik auf die ottonische Kunst gefolgt und hatte mit der Herrschaft der Salier (ab 1024; »salische Kunst«) eingesetzt (zum Beispiel der Dom von Speyer).
Die Romanik bedeutete eine Synthese und einen Neubeginn zugleich. Sie fasste die diversen Strömungen des Frühmittelalters zusammen und verarbeitete sie zu einer eigenen, oft auch monumentalen Sprache, die freilich in viele »Dialekte« gegliedert war, entsprechend den nationalen Besonderheiten, die sich nun vermehrt herauszukristallisieren begannen. Die klösterlichen Reformbewegungen, die großen Pilgerfahrten und Kreuzzüge, die machtpolitische, aber auch geistig-ideologische Auseinandersetzung zwischen Papsttum und Kaisergewalt – all das stand für die leidenschaftliche religiöse Aktivität, die in unerhörter Intensität alle sozialen Schichten erfasste. Deshalb war das Sakralgebäude und seine Monumentalisierung das absolute Hauptanliegen der Epoche. Die romanische Bauplastik leistete mit der Kapitellskulptur und vor allem den Tympanonreliefs über den Portalen ihr Bestes und fand nicht zuletzt entlang der Pilgerstraßen von Frankreich ins nordwestspanische Santiago de Compostela ein unerschöpfliches Betätigungsfeld. Die Ausstattung