Canters bremste den Wagen ab und durchfuhr ein weitgeöffnetes, von Rost zerfressenes Tor. Der MG-Sportwagen beschrieb einen Halbkreis und blieb vor einen anderthalbstöckigen kleineren Steinbau stehen, dessen Fensterscheiben zum größten Teil eingeworfen worden waren. Die Eingangstür hing windschief in den Angeln.
Mike Rander ließ seinen Wagen auslaufen, stieg aus und ging zum Tor zurück. Als er es erreicht hatte, war von Art Canters schon nichts mehr zu sehen. Er mußte in dieses abbruchreife Haus gegangen sein.
Mike Rander war zwar sehr temperamentvoll, aber die Vorsicht vergaß er darüber nicht. Diese Fahrt war im Grunde etwas zu offensichtlich gewesen, Und hatte Art Canters sich nicht zu sorglos gezeigt? War es dem jungen, rauschgiftsüchtigen Burschen darum gegangen, ihn hierherzulocken? Wurde er in dem abbruchreifen Steinbau nicht von anderen Leutchen erwartet?
Rander drehte sich auf dem Absatz um. Man erreichte nur dann etwas, wenn man sich immer anders verhielt, als der Gegner es erwartet. Und in diesem Falle sagten ihm Gefühl und Verstand, daß Vorsicht am Platze war. Mike Rander ging zu seinem Wagen zurück, setzte sich ans Steuer und fuhr los. Er wendete den Wagen und passierte noch einmal den Eingang zum Fabrikgrundstück. Er fuhr absichtlich langsam, damit man ihn auch sehen konnte.
Dann gab er allerdings Gas und beeilte sich, an die nächstbeste Telefonzelle zu kommen. Leider brauchte er fast fünf Minuten, bis er einen öffentlichen Fernsprecher erreicht hatte. Er stieg aus, wählte die Nummer der Dachgartenwohnung und wartete darauf, daß Butler Parker sich meldete.
Auf der Gegenseite blieb alles still. Parker meldete sich nicht. War er entgegen der Abmachung ausgegangen? Eigentlich kaum denkbar. War irgend etwas passiert? War er überfallen worden?
Rander trat unruhig aus der Zelle, zündete sich wieder eine Zigarette an und massierte sich das Kinn. Verflixt, was war jetzt zu tun? Sollte er Canters aufgeben und vor der Einfahrt zum Grundstück auf ihn warten? Rander ging in die Telefonzelle zurück und rief noch einmal die Dachgartenwohnung an.
Das Freizeichen schlug deutlich an Randers Ohr. Wenn Parker sich also in der Wohnung aufhielt, würde er dieses Zeichen nicht überhören. Er mußte also doch gegangen sein.
Als Rander die Zelle erneut verlassen hatte, warf er die kaum angerauchte Zigarette in die Gosse und ging zu seinem Wagen. Er wurde das Gefühl nicht los, daß Canters ihm eine Falle gestellt hatte. Canters war der Köder, der ihn auf das Grundstück und in das abbruchreife Haus locken sollte.
Das vom Rost zerfressene Tor wirkte wie ein Magnet auf Mike Rander. Er fuhr zurück, stieg aus und blieb am Tor stehen. Er schaute zu dem abbruchreifen Bau hinüber und … vermißte den MG-Sportwagen.
Er zerbiß einen Fluch zwischen den Zähnen. Art Canters war inzwischen also wieder weggefahren. Verflixt, er hatte sich hereinlegen lassen. Canters hatte auf der Hinfahrt wohl herausbekommen, daß er verfolgt wurde. Er hatte zu diesem Trick gegriffen, um seinen Verfolger abzuschütteln.
Konnte man es sich unter diesen Umständen leisten, einen Blick in das Haus zu werfen? Ja, und dann ertappte er sich dabei, daß er das Grundstück bereits betreten hatte. Unterwegs fingerte er nach seiner Waffe. Fast zögernd näherte er sich dem abbruchreifen Bau, und eine innere Stimme sagte unüberhörbar: Geh zurück, du Narr, du rennst mit offenen Augen in dein Unglück.
Er ging weiter.
Und dann entdeckte er plötzlich wieder den MG-Sportwagen, den man nur seitlich hinter den Baum gebracht hatte, damit er vom Tor aus nicht mehr gesehen werden konnte. Demnach mußte Art Canters sich noch in diesem Haus aufhalten. Aus Langeweile war er gewiß nicht hierher gefahren. Er mußte einen ganz bestimmten Grund gehabt haben.
Nichts rührte sich hinter den zerschmissenen Fenstern. Rander zuckte erschreckt zusammen, als auf einem Nachbargrundstück ein zischendes Geräusch aufbrach. Er schaute hoch und grinste verlegen. Ein Dampfrohr ließ weißen Dampf ab.
Der Bau war erreicht.
Noch war es vielleicht an der Zeit, umzudrehen und schleunigst zurück zur Straße zu eilen. Noch saß Rander nicht in Schwierigkeiten. Er drehte sich aber nicht um, sondern pirschte sich vorsichtig an eines der eingeworfenen Fenster heran. Er lauschte, konnte aber nichts hören. Rander erreichte eine hintere Tür, die ebenfalls nur noch aus Holzfetzen bestand, die lose in verrosteten Angeln hingen. Rander holte den entsicherten Revolver aus der Tasche und betrat den Bau, dessen Boden mit Schutt, Unrat und vielen, vielen leeren Ölbüchsen bedeckt war.
Wo steckte Art Canters?
Rander hatte den ersten Raum hinter sich gelassen und stand in einer Art Korridor. Einige Türöffnungen ohne Türen waren zu sehen. Wohin sollte er sich wenden?
Ein kaltes Gefühl rieselte seinen Rücken hinunter, ihn schauderte. Er war sich auf einmal klar darüber, auf welch verrücktes, aber auch unnötiges Abenteuer er sich eingelassen hatte.
Und dann entdeckte er Art Canters.
Der junge Bursche lag mit dem Gesicht nach unten neben einem kleinen Schuttberg. Sein Rock war auf dem Rücken blutgetränkt. Canters rührte sich nicht. Er mußte niedergestochen worden sein.
Mit schnellen Schritten war Mike Rander neben dem jungen Mann, kniete seitlich nieder und untersuchte ihn.
Im gleichen Moment schepperte hinter Rander eine Ölbüchse.
Er wollte sich im letzten Moment noch zur Seite werfen, aber es reichte nicht mehr.
Ein Sandsack wurde auf seinen Kopf geschmettert. Er verlor augenblicklich das Bewußtsein und sah nichts mehr von den zwei jungen Männern in Blue Jeans und schwarzer Lederjacke, die sich triumphierend über ihn beugten …
*
Entgegen der Annahme Mike Randers, befand Butler Parker sich in der Dachgartenwohnung.
Aber Josuah Parker war bei beiden Anrufen zu spät an den Apparat gekommen. Der Anrufer hatte schon aufgelegt.
Parker beendete seine Bastelarbeit, räumte das Werkzeug fort und beschäftigte sich anschließend mit seiner Waffensammlung, mit allerlei verrücktem Spielzeug, das er gesammelt hatte. Im übrigen wartete er auf Mike Rander.
Sie waren übereingekommen, nach dem Besuch bei Bellgon draußen zu essen, um danach Vic Henders, dem Bühnenbildner, einen Besuch abzustatten. Die Zeit verstrich, und langsam wurde es Zeit, daß Rander zurückkam. Parker stellte sich an die Brüstung des Dachgartens und schaute auf die Straße hinunter. Aber weit und breit war nichts von Randers Wagen zu sehen. Die Uhr zeigte inzwischen 11.30 Uhr.
Nach Parkers Berechnung mußte Randers Unterhaltung mit Bellgon längst beendet sein. Um sich zu vergewissern, ging Parker ans Telefon und rief Bellgon an. Die Verbindung kam zustande, und Parker erkundigte sich nach seinem jungen Herrn. Zu seiner Überraschung und Verblüffung teilte ihm die Hausangestellte mit, Mister Rander sei bereits vor einer guten Stunde wieder weggefahren. Jawohl, er habe mit Mister Bellgon gesprochen, aber auch Mister Bellgon habe längst das Haus verlassen. Sie empfahl Parker, er möge doch das Büro Mister Bellgons anrufen und dort noch einmal zusätzlich anfragen.
Josuah Parker bedankte sich höflich, suchte Bellgons Geschäftsnummer im Telefonbuch heraus und stellte eine Verbindung mit Bellgon her. Mister Bellgon konnte ebenfalls nur sagen, Mister Rander habe sich vor einer guten Stunde von ihm verabschiedet.
Parkers Unruhe nach diesem letzten Gespräch wuchs. Er dachte wieder an die beiden Anrufe. Er fragte sich, ob Rander vielleicht angerufen haben mochte? Aber falls das der Fall gewesen war, hätte der Anwalt sich später doch noch einmal gemeldet.
Josuah Parker zwang sich zur Ruhe. Wie es aber innerlich in ihm bestellt war, zeigte sich daran, daß er sich eine seiner Giftnudeln, seiner schwarzen Zigarren, anzündete. Er paffte stark darauflos und merkte kaum, daß er rauchte. Er ging wieder hinaus in den Dachgarten und stellte sich an die Brüstung.
Randers Wagen war nicht zu sehen.
Gegen 13 Uhr war der Butler dann nicht mehr zu halten.
Zu groß war seine