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Monika Häferle stellte keine Fragen.
»Gut, ich mache den Gulasch in der Mikrowelle heiß«, sagte sie nur. Ebenso wenig Angelas Vater. »Um drei? Okay«, lautete sein Kommentar.
Angela zog die Brauen zusammen.
Merkwürdig. Ging das etwa alles so einfach, oder würde das Donnerwetter heute bis nach drei auf sie warten?
Gut, dann soll es so sein. Dann klären wir gleich heute die Situation, nahm sie sich vor. Aber in den Stunden bis dahin wollte sie sich keine Gedanken darüber machen. Diese kurze Zeit wollte sie mit Christian genießen.
Zufrieden mit sich selbst und mit vor Aufregung pochendem Herzen fuhr sie zur Rottwälder Brauerei hinaus, die etwas außerhalb des Ortes lag.
Natürlich war sie früher als Christian an ihrem Treffpunkt. Sie setzte sich auf dem Brauereiparkplatz auf eine Bank und gab sich der Vorfreude hin.
Einfach toll, wie spontan Christian reagiert hatte, was sie auch als Zeichen dafür deutete, dass er gern mit ihr Zeit verbrachte. Sie lachte leise, schüttelte immer noch verblüfft den Kopf. Dass sie es tatsächlich geschafft hatte, mit alten Normen zu brechen, indem sie einfach vom Mittagessen mit der Familie wegblieb, konnte sie noch gar nicht richtig begreifen. Und dass ihre Eltern dies einfach so hingenommen hatten … Unglaublich.
Während Angela diesen Gedanken nachhing und sich von der Sonne bescheinen ließ, kam Christian viel früher, als sie erwartetet hatte, in einem schwarzen Sportcabriolet angebraust.
Ob ihm dieser schicke Wagen gehörte? Bei ihrem Treffen in Freiburg hatte er einen alten Jeep gefahren.
»Du bist schon da?«, wunderte sie sich.
»Ich konnte es nicht erwarten.« Er strahlte sie an.
Der Fahrwind hatte seine dunklen Locken zerzaust, was ihm etwas Verwegenes gab. Am liebsten hätte sie sich in seine Arme geworfen und ihn leidenschaftlich geküsst, was sie dann jedoch unterließ.
»Mein Vater hat mir seinen Wagen geliehen«, fuhr er fort. »Der ist schneller als mein altes Vehikel.« Dann rieb er sich unternehmungslustig die Hände. »Gehen wir? Ich habe Hunger.« Er legte den Arm um ihre Schultern, sie ihren um seine Taille, und so spazierten sie auf den Eingang des Gartenlokals zu.
Kurz vor dem Tor blieb Christian abrupt stehen. »Wir haben etwas vergessen.« Mit fassungslosem Blick sah er sie an.
»Was denn?«, fragte sie erschrocken.
»Das.« Da schlang er die Arme um sie und gab ihr unter den Blicken der Gäste im Biergarten einen leidenschaftlichen Kuss. »Ich freue mich so sehr, dich zu sehen«, sagte er dann ein wenig atemlos, während er ihr Gesicht in beide Hände nahm und sie noch einmal ganz zart auf beide Wangen küsste. Schließlich umschlang er ihre Mitte und meinte bestens gelaunt: »So, und jetzt essen wir.«
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Natürlich wusste Christian inzwischen, wie sehr seine Traumfrau von ihrer Familie in Beschlag genommen wurde. Diesbezüglich hatte seine Cousine kein Blatt vor den Mund genommen.
»Ich kann Angela nicht verstehen, dass sie so etwas mit sich machen lässt«, hatte Claudia gewettert. »Für mich gibt es keinen erklärlichen Grund dafür, dass sie sich derart ausbeuten lässt.«
Genauso wusste er auch von Claudia, dass Angelas körperliche Verfassung nicht gerade die beste war. Das hatte er ihr aber auch auf den ersten Blick schon angesehen. Dass Angela ihm an diesem Mittag hier draußen gegenübersaß, musste einen Grund haben. Ob sie entschlossen war, ihre häusliche Situation zu verändern? Vielleicht wegen ihm? Um mit ihm eine ganz normale Beziehung führen zu können?
Wie dem auch war, er war glücklich. Er konnte sich nicht satt sehen an ihrem fein geschnittenen Profil, an ihrem Haar, das die hoch stehende Sonne in ein goldenes Wellenmeer verwandelte.
»Was hast du den Vormittag über so gemacht?«, erkundigte er sich, nachdem sie bestellt hatten.
»Ich war bei unserem Landdoktor.«
»Beim Arzt?« Erschrocken sah er sie an. »Bist du krank?«
Sie lachte. »Nichts Ernsthaftes, nur ein paar Wehwehchen. Dr. Brunner, unser Landarzt, meint, dass ich mein Leben ändern sollte. Dann gingen auch die Beschwerden weg.«
»Und?« Er sah sie ernst an. »Wirst du dein Leben ändern?«
Mit entschlossener Miene nickte sie. »Dass ich mit dir jetzt hier sitze, ist die erste Veränderung. Und es werden noch viele folgen.«
Sie kannten sich noch zu kurz, als dass er mit ihr über ihr Problem mit ihrer Familie sprechen wollte. Das stand ihm nicht zu. Ihn interessierte nur eines.
»Betreffen diese Veränderungen auch meine Person?«, stellte er ihr die für ihn so wichtige Frage.
Sie spitzte die schönen Lippen, wiegte den Kopf hin und her und schenkte ihm einen spitzbübischen Blick. »Könnte sein.«
»In welcher Hinsicht?«
»Vielleicht in der, dass ich zukünftig mehr Zeit mit dir verbringen möchte, als ich normalerweise könnte. Vielleicht ziehe ich sogar wieder nach Freiburg zurück. Mal sehen.«
»Das hört sich super an«, erwiderte er erstaunt.
Sie ist eigentlich stark und entschlussfreudig … So hatte seine Cousine Angela beschrieben. Und er hatte sich schon Sorgen gemacht, dass seine Traumfrau zu sehr in ihren Familienfängen saß, um mit ihm eine Beziehung aufbauen zu können.
Alles halb so schlimm, sagte er sich jetzt erleichtert. Angela musste nur auf den richtigen Mann treffen. Und der scheine ich zu sein.
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Nachdem die beiden gegessen hatten, spazierten sie durch die Wiesen an der Steinache vorbei. Hand in Hand, Arm in Arm. Immer wieder blieben sie stehen und küssten sich. Erst als Angela verstohlen auf ihre Armbanduhr sah, fragte Christian: »Wann sehen wir uns wieder?«
»Am Wochenende?«, schlug sie vor.
»Hier oder bei mir in Freiburg?«
»Bei dir.« Dessen war sie sich ganz sicher. Noch war nicht die Zeit gekommen, Christian Kofler ihrer Familie vorzustellen. Und da sie im Nebentrakt ihres Elternhauses wohnte, hätte sie ihn nicht von dieser unbeobachtet empfangen können.
Christian blieb stehen und sah sie ernst an. »Bitte versteh mich nicht falsch, aber wirst du bei mir übernachten? Im Gästezimmer, meine ich. Dann musst du doch nicht so spät zurück. Ich habe mir schon beim letzten Mal Sorgen gemacht. Falls dein Auto mitten in der Nacht im Wald mal den Geist aufgeben würde …«
»Dann würde ich dich anrufen, und du müsstest mich abschleppen«, erwiderte sie und lachte.
»Bis ich bei dir wäre, könnte eine Menge geschehen«, gab er ihr zu bedenken.
Sie wusste, was er meinte.
Natürlich wollte sie bei ihm übernachten. Liebend gern sogar. Nur, wie sollte sie das ihren Eltern beibringen?
Egal, sagte sie sich entschlossen. Ich bin volljährig und ihnen diesbezüglich nicht rechenschaftspflichtig. Ich werde ihnen sagen, dass ich über Nacht wegbleiben werde. Punkt. Basta.
Sie sah Christian an und lächelte. »Ja, ich werde bei dir übernachten. Aber im Gästezimmer«, fügte sie mit erhobenem Zeigefinger und gespielter Strenge hinzu.
»Wo sonst?«, konterte er mit todernster Miene, die sie ihm natürlich nicht abnahm.
Dann