»Sie kennen den Verlauf der indischen Meuterei, meine Herren. Nachdem Wilson Delhi genommen und Sir Colin Lucknow entsetzt hatte, war der Widerstand gebrochen. Frische Truppen strömten herzu und Rana Sahib entkam über die Grenze. Ein Detachement unter Hauptmann Greathed nahm Agra ein und Vertrieb die Sepoys. Der Friede kehrte ins Land zurück und wir vier fingen an zu hoffen, daß die Zeit nicht fern wäre, da wir uns sicher mit der geteilten Beute aus dem Staube machen könnten. Ein Augenblick aber vernichtete alle unsere Pläne: Wir wurden als die Mörder des Kaufmanns Achmet festgenommen.
»Das kam so: als der Rajah dem Achmet seine Juwelen übergab, that er es, weil er wußte, daß es ein zuverlässiger Mann sei. Aber im Osten sind die Leute mißtrauisch. Was thut der Rajah also? Er stellte einen zweiten, noch zuverlässigeren Diener an, um bei dem ersten den Spion zu spielen. Der zweite Mann ließ den Achmet nicht aus den Augen und folgte ihm wie sein Schatten. In jener Nacht ging er ihm nach, und sah ihn in dem Thorweg verschwinden. Natürlich glaubte er, Achmet habe Zuflucht in der Festung gefunden. Als er sich aber am nächsten Tage selbst dort Einlaß verschaffte, konnte er keine Spur von Achmet finden. Das schien ihm so merkwürdig, daß er mit einem Feldwebel davon sprach und bald kam es dem Kommandanten zu Ohren. Er befahl, sogleich eine gründliche Nachsuchung zu halten, und der Leichnam wurde entdeckt. Gerade als wir uns ganz sicher glaubten, wurden wir alle vier ergriffen, des Mords angeklagt und vor Gericht gebracht – drei von uns hatten in jener Nacht die Thorwache gehabt, der vierte war in Gesellschaft des Ermordeten gesehen worden. Von den Juwelen kam bei dem Verhör nicht ein Wort heraus, denn der Rajah war abgesetzt und aus Indien vertrieben worden; es hatte daher niemand ein Interesse daran. Der Mord wurde jedoch klar erwiesen und es bestand kein Zweifel, daß wir alle vier daran beteiligt sein mußten. Die drei Sikhs wurden zu lebenslänglicher Zwangsarbeit und ich zum Tode verurteilt. Doch ward mein Urteilsspruch später umgeändert; ich erhielt die gleiche Strafe wie die andern.
»Wir befanden uns in einer sonderbaren Lage. Alle vier schleppten wir die Ketten am Bein und hatten blutwenig Aussicht, jemals wieder los zu kommen, und doch waren wir im Besitz eines Geheimnisses, das jedem von uns Wohnung in einem Palast verschafft hätte, nur konnten wir leider keinen Gebrauch davon machen. Während die herrlichsten Glücksgüter für uns bereit lagen und nur darauf warteten, von uns aufgehoben zu werden, wußten wir uns Puff und Tritt von dem jüngsten Laffen gefallen lassen, mußten Reis essen, Wasser trinken und harte Arbeit thun. Es fraß mir das Herz ab und hätte mich toll machen können; aber ich war immer ziemlich standhaft, und so bezwang ich mich und wartete auf eine günstige Gelegenheit.
»Endlich schien sie mir gekommen. Ich wurde von Agra nach Madras transportiert, und von da nach der Blair-Insel in den Andamanen. Dort waren nur wenige weiße Sträflinge, und da ich mich von Anfang an gut aufgeführt hatte, erhielt ich bald eine bevorzugte Stellung. Mir wurde eine Hütte in Hope-Town angewiesen und ich war so ziemlich mir selbst überlassen. Es ist ein elender, vom Fieber heimgesuchter Ort am Abhang des Mount Harriet. Wo das Stück Land aufhörte, das wir gelichtet hatten, hausten die wilden, eingeborenen Kannibalen, die bei der ersten besten Gelegenheit bereit waren, einen von ihren vergifteten Pfeilen auf uns abzuschießen. Wir waren bei den Erdarbeiten, Grabenleitungen, Yam-Pflanzungen und einem Dutzend anderer Dinge den Tag über hinreichend beschäftigt, aber am Abend hatten wir etwas Zeit für uns frei. Unter anderm lernte ich auch für den Doktor Arzeneien bereiten, und schnappte dies und jenes von seinen Kenntnissen auf. Dabei paßte ich immer auf eine Gelegenheit zur Flucht; allein die Insel ist viele hundert Meilen von jedem andern Land entfernt, und in jenen Meeren weht so gut wie gar kein Wind; da war’s fast ein Ding der Unmöglichkeit, fortzukommen.
»Der Arzt, Doktor Sommerton, war ein flotter, junger Bursche, und die andern Offiziere pflegten abends in seiner Wohnung zusammenzukommen und Karten zu spielen. Die Apotheke, in der ich meine Arzeneien bereitete, stieß an das Wohnzimmer; durch ein kleines Fenster sah man hinein. Oft, wenn mir einsam zu Mute war, löschte ich die Lampe in der Apotheke aus, und konnte dann das Gespräch hören und dem Kartenspiel, an dem kleinen Fenster stehend, zusehen. Das machte mir Vergnügen; denn ich spielte selbst gerne Karten. Die Spieler waren Major Scholto, Hauptmann Morstan und Leutnant Bromby Brown, die das Kommando über die eingeborenen Truppen hatten, ferner der Doktor selbst und zwei oder drei Gefängnisbeamte; eine sehr gemütliche, kleine Gesellschaft. Etwas fiel mir aber dabei auf: nämlich die Offiziere verloren immer und die Zivilisten gewannen. Das soll durchaus nicht heißen, daß irgend etwas Ungehöriges geschah; ich erwähne nur die Thatsache. Die alten Gefängnisinspektoren hatten, seit sie in den Andamanen waren, wenig anderes gethan, als Karten gespielt, und ›Uebung macht den Meister‹. Die andern aber spielten nur zum Zeitvertreib, und warfen ihre Karten gleichgültig hin, wie es gerade kam. Einen Abend nach dem andern standen die Offiziere als ärmere Leute vom Spieltisch auf und je ärmer sie wurden, desto begieriger waren sie auf das Spiel. Major Scholto erging es am schlimmsten. Er pflegte zuerst in Banknoten und Gold zu zahlen, aber bald stellte er Wechsel aus, und zwar auf große Summen. Manchmal gewann er eine Weile, wie um ihm Mut zu machen, und dann kehrte das Glück sich wieder mehr als je gegen ihn. Den ganzen Tag irrte er umher, finster wie eine Gewitterwolke und legte sich weit mehr aufs Trinken, als ihm gut war.
»Eines Abends verlor er noch mehr als sonst. Ich saß gerade in meiner Hütte, als er mit Hauptmann Morstan auf dem Wege nach ihrem Quartier daherkam. Die beiden waren Busenfreunde und unzertrennlich. Der Major schien ganz rasend über seine Verluste.
»›Es ist aus mit mir, Morstan,‹ sagte er. ›Ich muß den Abschied nehmen; ich bin zu Grunde gerichtet.‹
»›Unsinn, alter Kamerad,‹ sagte der andere, ihm auf die Schulter klopfend. ›Ich habe auch einen bösen Hieb bekommen, aber –‹
»Das war alles, was ich hören konnte; aber es ging mir im Kopf herum.
»Ein paar Tage später schlenderte Major Scholto an der Bucht entlang. Da nahm ich die Gelegenheit wahr, ihn anzureden.
»›Ich möchte Sie um Ihren Rat ersuchen, Herr Major,‹ sagte ich.
»›Was giebt’s, Small?‹ fragte er, die Zigarre aus dem Munde nehmend.
»›Ich wollte Sie etwas fragen, Herr Major. Wer ist wohl die richtige Person, an die ein versteckter Schatz übergeben werden sollte? Ich weiß, wo eine halbe Million verborgen liegt, und da ich selbst keinen Gebrauch davon machen kann, so dachte ich, es wäre eigentlich das beste, den Schatz der betreffenden Behörde zu übergeben; es wäre doch möglich, daß man mir meine Strafzeit dafür abkürzt.‹
»›Eine halbe Million, Small?‹ – stieß er mit offenem Munde hervor. Dabei sah er mich scharf an, ob das mein Ernst sein könnte.
»›Gewiß, Herr – die Juwelen und Perlen liegen da, bereit für jedermann. Das Merkwürdigste dabei ist noch, daß der wirkliche Eigentümer ausgewiesen und geächtet ist, und kein Besitzrecht mehr geltend machen kann, so daß der Schatz dem gehört, welcher zuerst kommt.‹
»›Der Regierung, Small, der Regierung,‹ stammelte er. Aber es wollte ihm schwer über die Lippen, und mir war’s so gut wie gewiß, daß ich ihn in Händen hatte.
»›Sie meinen also, Herr Major, daß ich dem General-Gouverneur Anzeige machen sollte?‹ sagte ich ganz ruhig.
»›Vor allem müßt Ihr’s nicht übereilt thun, was Euch gereuen könnte, Small. Laßt mich erst das Nähere hören. Teilt mir den Sachverhalt