»Ich hatte alle Schlüssel, konnte thun und lassen was ich wollte, wenn ich ihn nur nicht störte. Es gab hiervon nur eine einzige Ausnahme: oben auf dem Boden war eine stets verschlossene Rumpelkammer, deren Zutritt weder mir noch sonst jemand gestattet wurde. Mit knabenhafter Neugier guckte ich oft durchs Schlüsselloch, konnte aber nie etwas anderes erspähen als alte Koffer und Bündel, wie sie meist an solchem Ort vorhanden sind.
»Eines Tages – im März 1883 – lag ein Brief mit ausländischem Poststempel vor dem Teller des Obersten. Briefe erhielt er selten, denn seine Rechnungen bezahlte er bar, und Freunde irgend welcher Art hatte er nicht. ›Aus Indien!‹ sagte er, indem er den Brief nahm, ›der Stempel von Ponditscherri! Was kann das sein?‹ Er riß den Umschlag heftig auf, und fünf kleine, trockene Apfelsinenkerne fielen herab auf seinen Teller. Ich mußte darüber lachen, doch erstarb das Lachen auf meinen Lippen, als ich den Ausdruck in den Zügen meines Oheims gewahrte. Sein Mund war verzerrt, die Augen traten hervor, seine Farbe war aschgrau geworden, und noch immer starrte er auf den Umschlag in seiner zitternden Hand. ›K. K. K.!‹ stieß er hervor, ›mein Gott, meine Sünden kommen herab auf mein Haupt!‹
»›Was bedeutet das, Onkel?‹ rief ich aus.
»›Den Tod,‹ sagte er, stand auf, zog sich in sein Zimmer zurück und ließ mich entsetzt und schaudernd allein. Ich nahm den Umschlag und sah an der inneren Seite der Klappe, gerade über dem gummierten Strich, mit roter Tinte dreimal den Buchstaben K gekritzelt. Sonst war nichts darin als die fünf trockenen Kerne. Was mochte der Grund solch überwältigenden Schreckens sein? Ich verließ den Frühstückstisch, und als ich hinauf ging, kam mein Oheim die obere Treppe herab. In der einen Hand hielt er einen verrosteten, alten Schlüssel, der zu der Rumpelkammer gehören mußte, in der andern trug er ein Metallkästchen, das wie eine Geldkasse aussah.
»›Sie mögen thun, was sie wollen, ich führe sie alle ab!‹ rief er mit einem Fluch. ›Sage Mary, sie soll heute ein Feuer in meinem Zimmer machen, und schicke hinunter zu Fordam, dem Advokaten von Horsham.‹
»Ich that, wie er befohlen; als der Advokat kam, wurde ich hinauf in das Zimmer gerufen. Das Feuer loderte hell, und auf dem Rost lag dicke, schwarze Asche wie von verbranntem Papier – daneben stand der Metallkasten offen und leer. Ich fuhr zusammen, als ich auf dem Deckel dasselbe dreifache K bemerkte, das ich am Morgen auf dem Briefumschlag gesehen.
»›John,‹ sagte mein Oheim, ›ich will mein Testament machen, und du sollst Zeuge sein. Ich vermache meinen Besitz mit all seinen Vor-und Nachteilen meinem Bruder, deinem Vater, der ihn zweifellos dereinst auf dich übergehen lassen wird. Kannst du das Erbe in Frieden genießen, so ist alles in Ordnung. Siehst du aber ein, daß das nicht geht, dann, mein Junge, höre auf mich, überlasse es deinem Todfeind. Es thut mir leid, dir solch ein zweifelhaftes Vermächtnis zu hinterlassen, doch weiß ich nicht, wie sich die Dinge gestalten werden. Bitte, unterzeichne das Papier, wo Herr Fordam es dir zeigt.‹
»Ich unterschrieb nach Wunsch, und der Advokat nahm das Schriftstück mit. Der merkwürdige Vorfall machte, wie Sie wohl denken können, einen tiefen Eindruck auf mich, und ich grübelte und grübelte, ohne mir darüber klar zu werden. Dennoch vermochte ich nicht, ein unbestimmtes Gefühl von Bangigkeit abzuschütteln, welches auch zurückblieb, obwohl sich diese Empfindung abschwächte, als Wochen verstrichen und nichts den gewohnten Gang unseres Lebens störte. Bei meinem Oheim nahm ich jedoch eine Veränderung wahr: er trank mehr denn je und zeigte sich jeglichem Verkehr noch abholder als sonst. Die meiste Zeit brachte er in seinem Zimmer hinter fest verschlossener Thür zu; dann und wann stürzte er, in einer Art trunkenen Wahnes, aus dem Hause in den Garten, hielt einen Revolver in der Hand und schrie dabei, ihm sei vor keinem Menschen bange, und keiner – auch nicht der Teufel – werde ihn wie ein Schaf in die Hürde sperren. Waren diese Anfälle vorüber, dann stürmte er wieder herein, schloß und verrammelte die Thür hinter sich, wie ein Mensch, der die Schrecken eines peinigenden Gewissens nicht länger zu ertragen vermag. In solchen Stunden war sein Gesicht, selbst an kalten Tagen, geradezu in Schweiß gebadet.
»Ich eile zum Schluß, um Ihre Geduld nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen, Herr Holmes. Eines Nachts verfiel er wieder in solch einen trunkenen Wutanfall, aus dem er nicht wieder zu sich kam. Als wir nach ihm suchten, fanden wir ihn, mit dem Kopf nach unten, in einem kleinen, schmutzigen Teich, der am Ende des Gartens liegt. Kein Zeichen von Gewaltthat lieh sich wahrnehmen; das Wasser war nur zwei Fuß tief, und so lautete der Wahrspruch der Geschworenen – in Anbetracht seiner bekannten Exzentrizität – auf Selbstmord.
»Mir aber fiel es schwer, mich von diesem Ausspruch überzeugen zu lassen, wußte ich doch, wie sehr ihm stets vor dem bloßen Gedanken an den Tod gegraut hatte. Doch, es blieb dabei; mein Vater erbte die Besitzung und ungefähr 14 000 £, die zu seiner Verfügung auf der Bank lagen.«
»Einen Augenblick!« unterbrach ihn Holmes. »Ihr Bericht gehört, – so viel ist gewiß – zu den merkwürdigsten, die ich je vernommen. Geben Sie mir das Datum des Eingangs jenes Briefes an Ihren Oheim an, sowie das Datum seines vermutlichen Selbstmordes.«
»Der Brief traf am 10. März 1883 ein, sein Tod erfolgte sieben Wochen später, in der Nacht vom 2. Mai.«
»Danke; bitte weiter.«
»Damals, als mein Vater die Besitzung in Horsham übernahm, durchsuchte er, auf meine Bitte, die so sorgsam verschlossen gewesene Bodenkammer sehr genau. Wir fanden den Metallkasten, obwohl der Inhalt vernichtet worden war. An der inneren Deckelseite klebte ein Zettel, abermals mit K. K. K.; darunter stand: »Briefe, Mitteilungen, Quittungen und Register« Offenbar waren dies die von meinem Onkel vernichteten Papiere. Im übrigen fand sich nichts von Wichtigkeit in der Kammer, es sei denn eine große Menge von Papieren und Notizbüchern, die sich auf das Leben meines Oheims in Amerika bezogen. Manche stammten aus der Kriegszeit und bewiesen, daß er seiner Pflicht treulich nachgekommen war und den Ruf eines tapfern Soldaten genossen hatte; andere, aus der Zeit des Wiederauflebens der südlichen Staaten, bezogen sich hauptsächlich auf Politik; augenscheinlich hatte er gegen die Wanderagitatoren, die vom Norden ausgesandt wurden, entschieden Partei ergriffen.
»Zu Anfang des Jahres 1884 war mein Vater nach Horsham gezogen, und nichts störte unser Zusammenleben bis zum Januar 1885. Am vierten Tage im neuen Jahr vernahm ich einen lauten Ausruf des Staunens von den Lippen meines Vaters, als wir eben frühstückten. Da saß er mit einem eben geöffneten Briefumschlag in der einen Hand und fünf trockenen Apfelsinenkernen auf der ausgestreckten Fläche der andern. Er hatte stets über ›mein Märchen vom Obersten,‹ wie er es nannte, gelacht, jetzt aber, als ihm dieselbe Geschichte passierte, sah er höchst befremdet und verwundert drein.
»Was in aller Welt soll das heißen, John?« stotterte er.
»Mein Herz stand still. ›Es ist dasselbe K.K.K.‹ sagte ich.
»Er blickte in den Umschlag. ›Wahrhaftig!‹ rief er aus. ›Da sind sie, die Buchstaben! Was aber steht hier darüber?‹
»›Legt die Papiere auf die Sonnenuhr,‹ las ich, über seine Schulter blickend.
»›Welche Papiere? welche Sonnenuhr?‹ fragte er.
»›Die Sonnenuhr im Garten; eine andere giebt es nicht‹ antwortete ich; ›die Papiere aber müssen die zerstörten sein‹
»Ach was!« meinte er, indem er sich zu fassen suchte. »Wir leben hier in einem zivilisierten Land und können uns auf derartige Narrenspossen nicht einlassen. Woher kommt das Ding?«
»Von Dundee,« erwiderte ich, den Stempel betrachtend.
»›Irgend ein alberner Streich,‹ meinte er, ›was habe ich mit Sonnenuhren und Papieren zu schaffen? Ich werde den Unsinn nicht weiter berücksichtigen‹
»›Es wäre wohl besser, die Sache anzuzeigen‹ schlug ich vor.
»›Und