Ihre Stimme senkte sich wie in Kummer, und in dem eingetretenen Schweigen konnte sie hören, wie Billy mit den Zähnen knirschte.
»Du brauchst mir nichts weiter zu erzählen«, rief er. »Ich kenne das. Es ist eine dreckige Welt, eine gemeine, lausige Welt. Ich verstehe sie nicht. Es gibt keine Gerechtigkeit in ihr. Die Frau wird wie ein Pferd gekauft und verkauft, mit dem Besten, das in ihr ist. Ich verstehe die Frauen nicht. Ich verstehe die Männer nicht. Meiner Ansicht nach muss ein Mann betrogen werden, wenn er so kauft. Wie zum Beispiel mein Chef und seine Pferde. Er hat auch Frauen. Er hätte dich mithaben können, nur weil er reich ist. Und du, Saxon, du bist für feine Blusen und dergleichen geschaffen. Aber bei Gott, ich würde es nicht ertragen, dass du den Preis dafür bezahltest. Das wäre ein Verbrechen –«
Er schwieg plötzlich und straffte die Zügel. Bei einer scharfen Biegung kam ihnen ein Automobil gerade entgegengesaust. Es bremste kreischend und hielt an, während die Gesichter der Insassen sich plötzlich beim Anblick der beiden jungen Menschen in dem leichten Fuhrwerk, das ihnen den Weg versperrte, belebten. Billy hob die Hand.
»Fahren Sie an den Wegrand«, sagte er zum Chauffeur.
»Nicht zu machen, Freundchen«, antwortete der Chauffeur und maß mit sachverständigem Blick den lockeren Rand des Weges und die Tiefe des Abgrunds. »Dann halten wir«, erklärte Billy freundlich. »Ich kenne die Regeln der Straße. Diese Tiere sind ein bisschen automobilscheu. Wenn Sie glauben, dass ich sie hier auf dem Hügel ängstlich gemacht haben will, dann irren Sie sich.«
Ein wirres Summen gekränkter protestierender Stimmen erklang aus dem Wagen.
»Sie brauchen nicht gleich als Landstraßenräuber aufzutreten, weil Sie ein Bauernlümmel sind«, sagte der Chauffeur. »Wir wollen Ihren Pferden nichts tun. Weichen Sie aus, dass wir vorbeikommen. Wenn nicht – –«
»Weichen Sie selber aus«, ertönte Billys Antwort. »So können Sie nicht mit mir reden. Ich kenne Sie. Machen Sie, dass Sie wegkommen. Fahren Sie rückwärts den Hang hinauf und halten Sie sich bei der ersten Stelle, wo Platz genug zum Ausweichen ist, ganz rechts.«
Nach einer furchtsamen Beratung mit den anderen Insassen des Automobils gehorchte der Chauffeur. Das Automobil fuhr rückwärts die Anhöhe hinauf und verschwand hinter der Wegbiegung.
»So ein Pack«, sagte Billy ärgerlich zu Saxon. »Wenn sie ein paar Liter Benzin haben und sich einen Wagen leisten können, glauben sie gleich, dass die Wege, die deine und meine Eltern gemacht haben, ihnen allein gehören.«
»Sollen wir hier die ganze Nacht warten?« ertönte die Stimme des Chauffeurs hinter der Wegbiegung. »Machen Sie, dass Sie weiterkommen. Die Passage ist frei.«
»Halten Sie den Mund«, antwortete Billy verächtlich. »Ich komme, wann ich komme, und wenn Sie nicht Platz genug machen, fahre ich glatt über Sie und Ihre Ladung Hühner hinweg.«
Er ließ den unruhigen Tieren ein ganz klein wenig die Zügel, und ohne dass er die Peitsche gebrauchen musste, zogen sie den leichten Wagen bergan und passierten ängstlich und scheu die lärmende Maschine.
»Wo waren wir stehen geblieben?« fragte Billy, als sie wieder freie Bahn hatten. »Ja, bei meinem Chef. Warum soll er zweihundert Pferde und Frauen und alles Mögliche haben und du und ich nichts?«
»Du hast deine Seide, Billy«, sagte sie sanft.
»Und du deine. Aber wir verkaufen sie an andere, wie man Stoffe an der Theke für so und so viel die Elle verkauft. Du weißt selbst am besten, was ein paar Jahre in der Plätterei für dich bedeuten. Und ich selber! Ich verkaufe meine Seide jeden Tag, wenn ich arbeite. Sieh den kleinen Finger hier.« Er nahm die Zügel in die eine Hand und hob die andere, die jetzt frei war, hoch, sodass sie sie sehen konnte. »Ich kann ihn nicht wie die anderen ausstrecken, und das wird immer schlimmer. Das kommt vom Fahren. Hast du je die Hände eines alten Kutschers gesehen? Sie gleichen Krallen, so krumm und verkrüppelt sind sie.«
»In den Tagen, als unsere Väter über die Prärie gingen, sah das Leben anders aus«, antwortete sie. »Sie bekamen auch krumme Finger, aber was es an Pferden und dergleichen gab, gehörte ihnen.«
»Eben. Sie arbeiteten für sich. Sie machten sich die Finger für sich selber krumm. Aber ich mache mir die Finger für meinen Chef krumm. Kannst du dir denken, Saxon, dass seine Hände so weich sind wie die einer Frau, die nie etwas getan hat. Und doch gehören Pferde und Ställe ihm, obwohl er nie ein ehrliches Stück Arbeit verrichtet hat, während ich mich abschinde, um Essen und Kleider zu verdienen. Alles geht den falschen Weg. Und wer hat Schuld daran? Sieh, das möchte ich gern wissen. Die Zeiten sind anders geworden. Wer hat sie verändert?«
»Nicht Gott.«
»Nein, darauf kannst du deinen Kopf setzen, nicht er. Und das ist auch eine der Fragen, die ich stelle. Wer ist alles in allem Gott? Falls er die Dinge ordnet – und wenn er es nicht tut, wozu ist er dann da? – warum lässt er dann meinen Chef und Männer wie den Bankkassierer, von dem du sprachst, warum lässt er die dann Pferde besitzen und Frauen, anständige kleine Mädchen kaufen, die gern ihre eigenen Männer lieben und Kinder, deren sie sich nicht zu schämen brauchten, bekommen und auf ihre Art glücklich sein möchten?«
*
Die Pferde, die häufig rasten durften und von der Anstrengung schäumten, hatten den steilen Weg nach dem Moragatal erklommen, und dort, wo es auf der einen Seite zu den Contra-Costa-Höhen hinaufging, senkte sich der Weg plötzlich in die grüne, sonnenbeschienene Stille des Riesentannen-Canyons.
»Sag, ist das nicht herrlich?« fragte Billy, indem er eine Handbewagung machte, die die Bäume, das rieselnde Geräusch des Wassers, das man nicht sah, und das sommerliche Summen der Bienen umfasste.
»Herrlich«, gab Saxon zu. »Da möchte ich schon auf dem Lande wohnen, was ich noch nie getan habe.«
»Ich auch nicht, Saxon. Ich habe nie in meinem Leben auf dem Lande gewohnt, obwohl meine Familie von dort stammt.«
»Damals gab es noch keine Städte, alle wohnten auf dem Lande.«
»Da hast du sicher recht«, nickte er. »Sie mussten auf dem Lande wohnen.«
Das leichte