Als man kurz darauf Pferdehufe auf der Straße hörte, war Saxon so weit, dass sie sich an die Haustür schleichen und Bill zuwinken konnte. In der Küche fand sie Tom, der entmutigt und besorgt wartete.
»Es ist vorüber«, sagte sie. »Billy Roberts ist da, und ich muss gehen. Bleib ein bisschen bei ihr sitzen, dann schläft sie vielleicht ein. Aber reize sie nicht. Lass sie sagen, was sie will. Versuch es jedenfalls. Aber vor allem musst du als Einleitung und wie das Natürlichste von der Welt das Handtuch, das über ihren Augen liegt, nehmen und in Wasser tauchen.«
Er war ein freundlicher, umgänglicher Mann, aber wie so vielen aus dem Westen wurde es ihm nicht leicht, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Er nickte, wandte sich zur Tür und blieb dann unentschlossen stehen. Der Blick, den er Saxon sandte, erinnerte fast an den eines Hundes. So rührend dankbar war er, aber gleichzeitig tief brüderlich in seiner Liebe. Sie fühlte es, und ihr Herz flog ihm sofort entgegen.
»Es ist ja gut – es ist ja alles gut«, sagte sie schnell.
Tom schüttelte den Kopf.
»Nein, das ist es nicht. Es ist eine Schande, eine verfluchte Schande!« Er zuckte die Achseln. »Ach, meinetwegen ist es mir gleich. Aber deinetwegen. Du hast das Leben vor dir, Schwesterchen. Du wirst noch früh genug alt. Aber das ist eine ekelhafte Art, einen Feiertag zu beginnen. Jetzt mach, dass du es vergisst, fahr mit deinem Freund aus und amüsiere dich gut.«
In der offenen Tür blieb er noch einmal, die Hand auf der Klinke, stehen, und sein Gesicht zuckte. »Zum Teufel! Es gab eine Zeit, da auch Sarah und ich zusammen ausfuhren. Und ich glaube fast, dass sie damals auch ihre drei Paar Schuhe hatte. Verstehst du das?«
In ihrer Kammer machte Saxon sich schnell fertig und stieg auf einen Stuhl, sodass sie in dem kleinen Wandspiegel einen letzten kritischen Überblick über den Sitz ihres fertig gekauften Leinenrockes bekommen konnte. Sowohl ihn wie die Jacke hatte sie selbst passend gemacht, sie hatte die Nähte mit doppelten Stichen umgenäht, um dem Kleid das gewünschte Tailormade-Gepräge zu geben. Was sie sah, gefiel ihr. Sie unterschätzte keineswegs die schlanken Fesseln über dem Ausschnitt des braunen Schuhs, ebensowenig die feine und doch kräftige Rundung der Wade, die in den neuen hellbraunen Florstrümpfen so schön zum Ausdruck kam. Dann sprang sie wieder auf den Fußboden, rieb sich schnell die Backen, um ihnen die Farbe wiederzugeben, die Sarah daraus vertrieben hatte, und brauchte dann noch einen Augenblick, um sich ihre braunen Zwirnhandschuhe anzuziehen.
Sie eilte durch das Wohnzimmer und an Sarahs Tür vorbei, aus der tiefe Seufzer und gedämpftes Schluchzen durch die Holzwand an ihr Ohr drangen, aber sie nahm sich zusammen und es glückte ihr, die Farbe in ihren Wangen und den Glanz in ihren Augen zu bewahren. Und Billy ahnte nicht, dass das strahlend frische junge Geschöpf, welches so leichtfüßig die Treppe herabtrippelte, soeben von einem aufreibenden Kampf mit Wahnsinn und Hysterie kam.
In dem hellen Sonnenschein machte Billys Blondheit einen fast verblüffenden Eindruck auf sie. Seine Wangen, die so rund wie die eines Mädchens waren, hatten eine leichte Röte angenommen. Es waren mehr Wolken in den blauen Augen als je, und das krause, weißliche Haar hatte einen stärkeren Anstrich von dem blassgoldenen Ton, den sie zuvor bemerkt hatte. Noch nie hatte sie ihn so strahlend jung gesehen. Als er sie mit einem ruhigen Lächeln begrüßte, das von weißen Zähnen und roten Lippen leuchtete, war ihr das wie eine Verheißung von Frieden und Ruhe. Nach dem irrsinnigen Benehmen der Schwägerin wirkte Billys Ruhe doppelt so wohltuend, und Saxon lachte im stillen bei dem Gedanken an das gefürchtete »schreckliche Temperament«, dessen er sich selbst bezichtigt hatte.
Sie war früher schon ausgefahren, aber immer im Einspänner mit einem Mietspferd, und es war eine der schmutzigen, schweren Kaleschen gewesen, die man wegen ihrer Festigkeit und Haltbarkeit zum Vermieten gebrauchte. Aber jetzt standen hier zwei feurige, am Gebiss zerrende Pferde, die mit jedem blitzenden Reflex auf ihrer seidenblanken Haut verkündeten, dass sie noch nie in ihrem jungen Leben vermietet worden waren. Zwischen ihnen befand sich eine unbegreiflich dünne Deichsel, und ihr Geschirr war so fein und zart wie Zwirnsfäden. Billy hielt die Zügel in einer Hand, schien aber die nervösen jungen Tiere durch eine Art Willensübertragung zu lenken.
Es war keine lange Zeit zum Überlegen. Mit ihrem schnellen, wissenden Frauenblick sah Saxon nicht nur die neugierigen Kinder der Straße, sondern auch die Erwachsenen, deren Gesichter in offenen Türen und Fenstern und hinter beiseitegezogenen Gardinen hervorguckten. Mit der freien Hand hob Billy das Schutzleder und half ihr auf den Sitz neben sich. Der bequem gepolsterte Ledersitz mit der hohen Rückenlehne verlieh ihr ein Gefühl unsagbaren Wohlbehagens. Aber noch größeres Wohlbehagen fühlte sie an dem Manne selbst, an seiner Nähe, seinem Körper.
»Wie gefallen sie dir?« fragte er, indem er die Zügel mit beiden Händen ergriff und die Pferde antrieb, die sich sofort mit einer Schnelligkeit, die ihr etwas ganz Neues war, in Bewegung setzten. »Sie gehören meinem Chef. Solche Tiere kann man nicht mieten. Er lässt mich zuweilen mit ihnen fahren, damit sie Bewegung bekommen. Sieh nur King, das kann man Feuer nennen, nicht wahr? Ja, der andere ist auch fein. Prince heißt er. Aber man muss ihn fest im Zügel halten. He! Hast du gesehen, Saxon? Das ist ein Pferd, nicht wahr? Ja, das ist ein Pferd!«
Hinter ihnen ertönte das bewundernde Hurrageschrei der Kinder. Mit einem zufriedenen Seufzer setzte Saxon sich zurecht, sich bewusst, dass der glückliche Tag endlich begonnen hatte.
*
»Ich verstehe nichts von Pferden«, sagte Saxon. »Ich habe nie auf einem Pferd gesessen, und bin ich einmal ausgefahren, dann immer nur mit einem Einspänner, der meistens