Corliss lachte traurig.
»Es ist mein heiliger Ernst! Ich bin zwar Ihr Angestellter, aber ich bin älter als Sie und weiß, was ich rede. Da ist so ein gewisses Fräulein in Dawson, mit der möchte ich Sie gerne zusammen sehen. Könnte eine ganz gute Mischung geben.«
Auf Schlittenreisen, wenn man immer in einem Raum haust und dieselben Decken benutzt, werden Männer entweder Feinde oder Brüder. Corliss dachte gar nicht daran, Bishops Anspielung als eine Unverschämtheit zu betrachten. Er wurde nur nachdenklich.
»Warum gehen Sie nicht drauflos und kapern sich das Mädel? Wollen Sie mir erzählen, dass Sie nicht verliebt in sie sind? Das hat mir mein kleiner Finger zugejuckt, wie ich Sie zum ersten Mal in meinem Leben gesehen hab’! Damals, in Happy Camp. Da sind Sie aus Ihrer Hütte herausgetreten und haben ausgesehen wie einer, der aus den Wolken fällt. Aber jetzt ist der Augenblick da, und der kommt nicht wieder. Stellen Sie sich vor, da war mal eine gewisse Annie. Das war ein Mädel, was Besseres kann ich mir nicht vorstellen, für mich nämlich. Alle zehn Finger leck’ ich mir heute noch ab, wenn ich an sie denke. Von früh bis spät auf den Beinen, blitzsauber. Aber ich hab’ die Zeit verstreichen lassen, immer mit dem verfluchten Gold vor den Augen. Kommt da eines Tages so ein großer schwarzer Kanadier an, ein Holzhändler, macht Männchen über Männchen und verdreht ihr ein bisschen den Kopf. Macht nichts, denke ich mir, noch einmal geh’ ich auf die Goldsuche, und dann komme ich als Millionär zurück. Schnecken, Herr Pfarrer! Ich bin ohne die Million zurückgekommen … und sie war schon längst seine Frau. Da ist jetzt das Stinktier bei Ihrem Mädel, der Kerl, dem ich damals einen Nasenstüber gegeben habe. Schwänzelt um sie herum und verdreht seine Glubschaugen. Was tun Sie? Laufen durch die Welt und halten sich nicht an die Sache. Mein lieber Corliss, an einem schönen Frosttag werden wir zusammen in Dawson einhinken, und da werden Sie ein wunderschönes Pärchen vorfinden, Ihr Fräulein Braut und das Stinktier als Ehegemahl. Und was haben Sie dann? Einen Dreck und eine Fotografie.«
Corliss drehte sich um und sagte: »Wunderschön wäre es, wenn Sie jetzt endgültig das Maul hielten, Bishop.«
»Wer? Ich?«
»Nein, Sie!«
Bishop war gekränkt, aber dann hörte er Corliss lachen und dachte gar nicht mehr daran, zu schweigen.
»Ich will Ihnen in aller Freundschaft sagen, was Sie zu tun haben: sobald wir zurück sind, waschen Sie sich die Hände, binden sich einen sauberen Kragen um, gehen zu Ihrem Mädel, machen für jede Stunde und für jeden Tag etwas anderes mit ihr aus und legen so viel Beschlag auf ihre Zeit, dass das Stinktier einfach in einer Versenkung verschwindet. Wenn Sie die Sache dann so weit getrieben haben, dass man Sie anlächelt, wenn Sie kommen, und ein Maul zieht, wenn Sie gehen, dann greifen Sie gefälligst mit ihren beiden Vorderflossen zu, nehmen die Kleine mit einem Arm oben rum und mit einem Arm so um die Mitte und ziehen die ganze Geschichte so fest an sich, dass keine Briefmarke mehr dazwischen Platz hat. Dann wird Ihnen noch allerlei von selber einfallen, was dazugehört, und dann sagen Sie: Morgen spreche ich mit deinem Vater. Wie es dann weiter ausgeht, das kann ich Ihnen allerdings auch nicht sagen. Manchmal wird so was mit der Zeit immer schöner, man hat auch von Fällen gehört, die weniger erfreulich verliefen. Aber heiraten müssen Sie auf jeden Fall. Das soll eine Geschichte zum Totlachen sein, die muss jeder mal versucht haben. Am besten, ehe einer zu alt dazu ist und schließlich nichts leistet, wenn es drauf ankommt.«
Er trank, dampfte und dachte nach. Dann schloss er: »Dem Stinktier, falls es sich mausig machen sollte, kleben Sie eine in den Bauch oder an die Stelle, wo ich damals aus Versehen hingekommen bin mit meinem Händchen. Dann merkt er gleich, dass er Ihnen nicht sehr sympathisch ist, denn für dergleichen hat er ein ungeheuer zartes Empfinden, und zieht sich zurück. Sie haben’s ganz bestimmt nicht erst nötig, ihm den Schädel einzuschlagen.«
Damit stand Bishop auf, kratzte sich, wo es ihn juckte, das heißt überall, und ging nach geraumer Zeit hinaus, um die Hunde zu füttern.
*
Wieder einmal war Fronas Empfangszimmer voll von Menschen gewesen, darunter ein Franzose, Baron Courbertin, den St. Vincent eingeführt hatte. Die beiden standen auf Neckfuß miteinander. Sie kannten sich aus langvergangenen Tagen, hatten in Yokohama das Kirschblütenfest gefeiert, wussten viel von Geishas und dem Fudschijama zu berichten. Eine Zeit lang hatte Courbertin das Wort geführt, aber dann spürte er Gregorys Missbehagen, und als ein ritterlicher Freund zog er ihn auf, wie man eine Spieluhr aufzieht.
»Jetz abbe Sie sick lang in Réserve geallten! Vincent, ick kennen Sie nickt wieder! Wo ist die Elan? Die alte Elan? Ick sprecken und sprecken – Sie macke silence, allons donc, sprecke Sie!«
Es war nicht schwer, den Geografen zum Reden zu bringen. Er ließ eine Kanugeschichte vom Stapel, bei der sich allen Zuhörern die Haare sträubten. Er war mit einem feigen Kameraden den Kanonstrom hinuntergereist. Vor den Weißroß-Schnellen war der Bursche ausgestiegen und hatte es ihm allein überlassen, sich durch die Strudel zu kämpfen. Seine Nussschale von Boot war über die Schnellen getanzt, schwere Brecher waren über die Reling geschlagen und hatten das Boot fast zum Kentern gebracht. Auf Haaresbreite war er an tödlichen Riffen vorbeigeschifft, um endlich nach einer Todesfahrt von nur wenigen Minuten, die für ihn eine Ewigkeit voll von Schrecknissen bedeutete, ans sichere Ufer zu treten. Dann hatte er viele Stunden warten müssen, bis sein Kamerad ihn zu Fuß einholte.
»Eine feige Bestie!« rief einer aus der Gesellschaft.
»Sagen Sie das nicht«, belehrte ihn St. Vincent. »Persönlicher Mut ist nichts anderes als Nervensache. Man hat ihn, oder man hat ihn nicht, manche Menschen versagen in der Lebensgefahr und finden danach den Mut, sich beispielsweise selbst umzubringen. Ist es nicht merkwürdig, dass jemand um sein Leben zittert und doch stark genug ist, es von sich zu werfen?«
»Aber Sie! Aber Sie!« rief Frau Sheffield. »Wie viel tausend Mal haben Sie dem Tod ins Auge gesehen, und man hört es aus jedem Ihrer Worte, dass Sie nicht mit der Wimper gezuckt haben!«
Frau Sheffield lud St. Vincent und den Baron zum Abendessen ein, der Zufall brachte es mit sich, dass Frona und Corliss zusammen den Heimweg antraten. In schweigender Übereinkunft bogen sie zu einem großen Rundweg um Dawson aus, überkreuzten zahllose Fußwege und Schlittenpfade und kamen in die tiefe, schweigende Einsamkeit eines Winterabends in Alaska. Die Sonne hatte an diesem Tag kaum eine Stunde lang ein