Ratsmädelgeschichten. Helene Böhlau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helene Böhlau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066113971
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nicht lange, da schlichen sie die Treppe hinab bis hinunter in den Hausflur und in dem Hausflur stießen sie sich vor lauter Unternehmungslust ein paarmal gegen die Thürpfosten; das war so ihre Art, sich miteinander zu vergnügen. Darauf liefen sie in bester Laune die Gasse hinunter auf den Markt und hatten alle Not und Sorge vergessen. Dort trafen sie einen Jungen, der ihr guter Freund war, den nahmen sie mit und vertrauten ihm alles. Dann schickten sie ihn in die Federwischmühle und warteten draußen vor der Thüre und ließen ihn dem Müller sagen: „Die Jungfer Veit in der Wünschengasse will um sechs Uhr mahlen lassen, einsäckiges Korn, und der Esel möchte kommen.“ Dann gingen sie in die Lottenmühle, in die Burgmühle, und überall mußte der Junge dieselbe Ausrichtung machen. Als sie aber vor der Gassenmühle standen, da sagte der Junge, er wolle lieber nicht hineingehen, denn es hätte mit Budang neulich etwas gesetzt, und da hätte er es abgekriegt. — Budang war der Sohn des Müllers, und der Müller hieß Loisette; dessen Vater war französischer Mundkoch am Hofe gewesen. Der Sohn hieß Heinrich und wurde von Jungen und Mädchen Budang genannt; weshalb, das war nicht recht bekannt. Wahrscheinlich hatten sie ihm einen französischen Namen geben wollen und kannten nur ein einziges Wort, das ihnen französisch vorkam, das war Pudding, das Gute, Süße, die Seltenheit, die mancher nur dem Namen nach kannte. So mochte wohl aus Pudding „Budang“ unter ihnen entstanden sein, denn sie sprachen alle sehr schlecht miteinander, gerade so, wie es auf den Weimarischen Gassen noch heute Mode ist.

      Die Gassenmühle war ein wunderliches Haus, hatte den Giebel nach der Straße zu, die sehr abschüssig ist und der Bornberg heißt. In einen ganz kleinen, dunklen Hof führte ein schmales Pförtchen. Durch den Hof aber floß ein klarer Bach, der ein großes, düsteres Mühlrad trieb.

      Die Gassenmühle hatte ein geheimnisvolles Aussehen, und man glaubte, daß es darin spuke.

      In der Mühle wohnte der Müller Loisette mit seiner Schwester Concordia und dem Sohne Heinrich, der auf der Gasse Budang genannt wurde. Der war ein hübscher Junge und etwas älter, als die Ratsmädel, sehr zierlich, mit krausem Haar und dunklen Augen. Er hatte sich den Schulbuben und Mädchen gegenüber in Respekt gesetzt; wodurch, wußten sie auch nicht recht, aber sie hatten Respekt vor ihm. Er war ein vorzüglicher Schüler, ließ sich nichts zu Schulden kommen und wußte, wenn es darauf ankam, eine tüchtige Faust zu führen, so daß manche von ihm schon etwas verspürt hatten.

      Er gehörte aber nicht zu dem Volke, das in dem Wäldchen sein Wesen trieb.

      Jetzt standen also Röse, Marie und der Junge vor der Mühle und keines wagte sich hinein. Da kam der Mühlknappe aus dem feuchten, kühlen Hofe und stellte sich breitspurig vor die Pforte, um eine Pfeife zu rauchen. Röse trieb den Jungen an, seine Ausrichtung zu machen, so daß er wohl oder übel gehen mußte, um seinen Spruch dem Knappen zu sagen.

      „Die Jungfer Veit in der Wünschengasse will mahlen lassen, einsäckiges Korn, und Ihr möchtet ihr einen Esel schicken, um sechs.“

      „Jawohl,“ sagte der Knappe, „heute um sechs.“

      Da schaute aber Budang zum Fenster heraus und guckte ein bißchen in die Luft und sah, ganz ohne etwas zu denken, die Ratsmädel stehen, erkannte den Jungen, dem er etwas aufgeblitzt hatte, und nickte ihm zu, als wollte er sagen: „Wir kennen uns schon.“

      „Das war dumm, daß Budang guckte,“ sagte Marie. Und sie gingen nun langsam in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, wieder zurück. Als sie die Treppe hinauf stiegen, rief die Mutter gerade nach ihnen, und sie antworteten etwas kleinlaut. „Kommt gleich herauf und geht in die Stube,“ sagte die Mutter. Sie hatte eine Schüssel in der Hand und mochte wohl in der Küche noch zu thun haben. „Geht nur, ich komme gleich,“ sagte sie, als die Mädchen noch standen und unentschlossen auf die Schüssel blickten. Im Zimmer war niemand, und Röse und Marie drückten sich, etwas unbehaglich gestimmt, am Fenster herum. Röse spielte mit dem Fingerhut der Mutter, ließ ihn auf dem Fensterbrett hin und her rollen, bis er hinunterfiel, und Marie schnippte mit der Schere einen festen, schönen Zwirnfaden in kleine Endchen. Es wurde ihnen mit der Zeit beklommen zu Mute. Da kam endlich die Mutter herein und sagte: „Ich bin recht bekümmert Euretwegen. Ihr seid doch schon große Mädchen und solltet verstehen, daß es Eurer Mutter manchmal sauer wird, mit allem fertig zu werden; aber da müssen mir fremde Leute sagen, was für faule, ungeratene Kinder ich habe. Ihr macht mir das Herz recht schwer.“

      Röse und Marie, als wären sie bis dahin blind gewesen, sahen mit einem Male, wie ihre Mutter so blaß war, und wie sich schon ein paar graue Fädchen durch ihr dichtes Haar zogen, und das bewegte sie. Sie sahen auch, daß ihre Augen rot geweint waren. Keine wagte etwas zu erwidern, aber beiden klopfte das Herz, und sie wünschten in diesem Augenblicke nichts weiter, als die Mutter möge nicht so traurig aussehen. Lieber hätten sie vom Vater einen gehörigen Sermon bekommen, der würde ihnen das Herz nicht so beschwert haben, wie die wenigen, ruhigen Worte der Mutter, die dieser so ganz aus der Seele kamen.

      „Morgen,“ sagte die Frau Rat, „werdet Ihr zu der Jungfer Concordia Loisette gehen, die wird Euch Nähstunden geben und zweimal die Woche einen französischen Unterricht. Ich ermahne Euch zu nichts. Macht, was Ihr wollt! denn wenn Euch Euer Herz nicht sagt, was Ihr von heute ab zu thun habt, ist jede Rede unnütz.“ Damit ging die Mutter wieder an ihre Geschäfte.

      „So! Das meinte sie vorhin auf dem Flur, wir sollen zu den Loisettens,“ sagte Röse und sah Marie bedenklich an. „Das hat uns die Veiten gut eingebrockt.“ Da schlug die Wanduhr in der Stube halb sechs, und beide sahen vor sich hin und schwiegen.

      „Marie,“ sagte Röse kleinlaut, „in einer halben Stunde sind die Esel da.“ Wie sie Marien anblickte, sah sie, daß diese eine erbärmliche Miene zog, und daß ihr eine Thräne schon bis herunter an das runde Kinn gelaufen war. „Hast Du Angst?“ fragte Röse mit etwas unsicherer Stimme.

      „Ja!“ sagte Marie schwer bedrückt, denn es war ein böses Zusammentreffen, der Mutter bedeutungsvolle Mahnung, die Aussicht, schon am nächsten Tage in der Gassenmühle zu Jungfer Loisette gehen zu müssen, und der Unfug, den sie gegen die Jüdin eingeleitet hatten. Wie bald konnten sie nun erwarten, daß die Müller von allen Seiten der Stadt sich in der Gasse vor dem Hause der Jungfer versammeln würden, und daß es da Hallo gäbe, das war vorauszusehen.

      Röse, die eine ruhigere Gemütsart als ihre Schwester hatte und sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ, sagte: „Ach was! herauskommen wird es schon nicht, und was wird denn Großes dabei sein, einmal einen solchen Drachen zu ärgern. Wir gehen jetzt gleich hinauf zu Corniceliusens,“ das waren Beutlersleute, die der Jüdin gerade gegenüber wohnten, „und wenn es losgeht,“ fuhr die leichtsinnige Röse fort, „dann laufen wir hinunter in die Thorfahrt und gucken durch die Spalte.“ Sie machten sich also schnell auf die Beine, um noch hinüber zu den Nachbarn zu kommen. Diese freuten sich, als die Ratsmädchen bei ihnen eintraten, denn sie standen auf sehr gutem Fuße miteinander, und der Beutlermeister sagte zu seiner Frau: „Geh und hole doch von den Backpflaumen!“

      Die Ratsmädchen waren schon oft so regaliert worden; aber heute konnten sie sich auch nicht zu einer einzigen entschließen; denn vor lauter Aufregung und Angst wurde ihnen das Schlucken schwer, und sie betrachteten die guten Pflaumen, als wären es Kieselsteine. Sie wagten nicht, an das Fenster zu treten, und stellten sich beide neben den Meister Cornicelius, der an einer Bauern-Lederhose arbeitete, mit seiner kurzen, festen Nadel und dem blankgewichsten Faden ausholte und in das Leder einstach, stetig und unaufhaltsam, als wäre er durch ein Uhrwerk aufgezogen und könnte erst aufhören, wenn dieses abgelaufen sei.

      „Ja, ja, ja!“ sagte der Beutler und schaute während seiner Arbeit mit einem freundlichen Blick zu den Mädchen auf, die neben ihm standen und zusahen. „Für wen wird denn die Lederhose?“ fragte Röse, die es für nötig fand, etwas zu reden.

      „Die ist auf Vorrat, Röschen,“ erwiderte der Beutler, ohne innezuhalten.

      „Ja, was ist denn das?“ rief mit einem Male die Beutlersfrau und trat ans Fenster. „Kinder, kommt schnell einmal her!“ Den Ratsmädchen aber wurde es angst und bange; da hatten sie die Bescherung. Unten vor der Thüre der dicken Nanni waren die Müller mit samt den Eseln angelangt; die Jungfer war eben auch schon aus dem Hause getreten, und der Lärm ging los. Die Nachbarsleute