»Dieser Pat Kennedy«, begann Lady Agatha unvermittelt, nachdem sie einen Moment die Stirn in nachdenkliche Falten gezogen hatte.
»Verzeihung, Mylady«, unterbrach der Butler. »Darf man vermuten, daß Mylady Mister Ed Kenney zu meinen geruhen?«
»Nichts anderes habe ich gesagt, Mister Parker«, behauptete die ältere Dame in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Mein Gedächtnis arbeitet hervorragend, vor allem, was Namen betrifft. Dieser Ed Kennedy, wollte ich sagen, handelte also mit Rauschgift, bis ich ihn entlarvte und dingfest machte.«
»Man bittet Mylady untertänigst um Verzeihung, aber falls meine bescheidene Wenigkeit sich nicht gründlich täuscht, gilt Mister Kenney als einer der fähigsten Safeknacker der Londoner Szene«, wandte der Butler vorsichtig ein.
»Auch gut«, überging Mylady den kleinen Unterschied. »Bei der Vielzahl von Fällen, die ich im Lauf der Jahre gelöst habe, kann schon mal eine Verwechslung Vorkommen. Schließlich bin ich kein seelenloser Computer.«
»Eine Feststellung, die man nur mit allem Nachdruck unterstreichen kann, Mylady«, meldete Parker sich zu Wort.
»Wie auch immer, Mister Parker«, fuhr Agatha Simpson fort und genehmigte sich den vierten Kreislaufbeschleuniger. »Was sucht ein professioneller Safeknacker in diesem verlassenen Dorf, wo es nicht mal eine richtige Bank gibt?«
»Fraglos ziehen Mylady in Betracht, daß Mister Kenney es auf den Safe des Hotels abgesehen haben könnte.«
»Selbstverständlich, Mister Parker«, versicherte die Detektivin umgehend. »Das war mein erster Gedanke, als ich das Trio heute morgen entdeckte.«
Schwungvoll hob sie das Glas zum Mund, ließ es aber plötzlich wieder sinken. Ein entsetzlicher Gedanke durchzuckte sie.
»Wo haben Sie meinen Schmuck verwahrt, Mister Parker?«
»Alle wertvollen Stücke befinden sich im Hotelsafe, wie Mylady es angeordnet haben«, gab der Butler wahrheitsgemäß Auskunft.
»Das soll ich angeordnet haben?« entrüstete sich Lady Simpson. »Ausgeschlossen!«
»Man bittet ausdrücklich um Nachsicht, falls meine Wenigkeit Myladys Weisung mißverstanden haben sollte«, entgegnete Parker. »Man handelte jedoch in bester Absicht, falls der Hinweis erlaubt ist. Wie Mylady bekannt sein dürfte, kommt die Versicherung des Hotels für Wertgegenstände, die aus den Zimmern entwendet werden, nicht auf.«
»Natürlich weiß ich das, Mister Parker«, erwiderte die resolute Dame derart heftig, daß die Gespräche an den Nachbartischen schlagartig verstummten. »Trotzdem bestehe ich darauf, daß Sie mir den Schmuck gleich nach der Rückkehr ins Hotel aufs Zimmer bringen. Ich kann selbst auf meine Werte aufpassen.«
»Was man keinesfalls bezweifeln möchte, Mylady«, warf Parker rasch ein, während seine Herrin Atem schöpfte.
»Glauben Sie, ich warte seelenruhig, bis dieser Kennedy mit seinen Komplizen den Hotelsafe ausgeräumt hat?« fuhr die ältere Dame fort, ohne zu bemerken, daß die Ohren an den Nachbartischen immer länger wurden. »Natürlich werde ich die Lümmel trotzdem im Auge behalten, Mister Parker. Was ist das eigentlich für ein merkwürdiges Knattern?« wollte die Detektivin nach einer Pause wissen, die wiederum der Pflege ihres Kreislaufs gewidmet war.
»Falls man sich nicht gründlich täuscht, dürfte es sich um einen Helikopter handeln«, gab der Butler die gewünschte Auskunft. Er hatte das rasch näher kommende Geräusch ebenfalls vernommen und hielt bereits nach dem Flugobjekt Ausschau, Da tauchte der kleine Brummer auch schon hinter einer Bergkuppe auf. Die Hoheitszeichen wiesen ihn eindeutig als Polizeihubschrauber aus. Knatternd schwebte der Helikopter über das Gasthaus und nahm Kurs auf die Ortschaft im Tal. Wenige Minuten später war er auf einer verschneiten Wiese in der Nachbarschaft des Hotels gelandet.
»Ein Polizeihubschrauber?« wiederholte Agatha Simpson, nachdem Parker seine Beobachtung mitgeteilt hatte. »Was schließe ich daraus, Mister Parker?«
»Mylady dürften der Vermutung zuneigen, daß sich in Llanfynydd eine Straftat ereignet hat, deren Bearbeitung die Kapazität der örtlichen Polizeikräfte übersteigt«, antwortete der Butler in seiner gelassenen Art.
»Mein Schmuck!« kreischte die Detektivin postwendend und sprang auf. »Habe ich’s nicht gleich gesagt? Wo sind meine Skier, Mister Parker?«
Vergeblich versuchte der Butler, seiner Herrin eine Talfahrt im Sessellift schmackhaft zu machen.
»Unsinn!« empörte sie sich. »Das geht doch viel zu langsam.«
Parker blieb keine Wahl. Gehorsam schnallte er seiner Herrin die Skier unter und gab ihr die Stöcke in die Hand. Unaufhaltsam nahmen die Dinge ihren Lauf...
*
Mylady hatte nicht zuviel versprochen: Was an diesem denkwürdigen Januartag die Piste hinunterfegte, war schon eher ein weißer Wirbelsturm. In grenzenlosem Selbstvertrauen hatte die ältere Dame die Talfahrt angetreten.
Entsetzte Schreie wurden hörbar. Blitzartig verbreitete sich die Schreckensnachricht auf der ganzen Piste. In heilloser Panik versuchten mehr oder weniger wendige Skiläufer, eine Gasse für diese Naturkatastrophe in Menschengestalt freizumachen.
Familienväter rissen ihre Kinder von den Schlitten und warfen sich mit gewagten Hechtsprüngen seitwärts in den Schnee – den kreischenden Nachwuchs im Arm.
Nicht alle schafften es, der breiten Wolke aus Pulverschnee zu entrinnen, die sich wie eine Lawine zu Tal wälzte.
Ein älterer Herr mit Monokel, der ohnehin gewisse Schwierigkeiten mit den gleitenden Brettern unter den Füßen hatte, gewahrte das Unheil erst, als Lady Agatha, den »Hut« tief in die Stirn gezogen, über die Spitzen seiner Skier hinwegfegte.
Plötzlich zeigte der etwas steif wirkende Skiläufer eine Beweglichkeit, die man ihm keineswegs zugetraut hätte. Seine ausgesprochen akrobatische Darbietung endete jedoch mit einem Kopfstand im Schnee, so daß von dem rüstigen Sportler nur noch die zappelnden Füße mit den Skiern daran zu sehen waren.
Auf diese Weise blieben dem Bedauernswerten immerhin die Flüche erspart, die Agatha Simpson ihm über die Schulter nachsandte.
Vergeblich versuchte Parker, das Tempo seiner ungestümen Herrin zu halten. Er hätte schon die Pfunde eines Schwergewichtsboxers auf die Bretter bringen müssen, um in diesem ungleichen Rennen nicht zu unterliegen.
Hilflos sah er zu, wie die couragierte Dame furchtlos auf einen Betonpfeiler des Sessellifts zuraste, als würde das Hindernis im letzten Moment von selbst ausweichen. Wie durch Zufall verlagerte Agatha Simpson jedoch ihr Gewicht auf den rechten Fuß und schoß um Haaresbreite an dem Hindernis vorbei.
Doch die nächste Klippe rückte unaufhaltsam näher.
Unter den Wintersportgästen, die am Kassenhäuschen nach gut britischer Art um Karten Schlange standen, brach eine Panik aus, als der Wirbelsturm auf Skiern Kurs auf das hölzerne Gebäude nahm.
Mylady dagegen schien diese Art der Fortbewegung ausgesprochen zu genießen. Gutgelaunt gab sie sich mit den Skistöcken noch zusätzlichen Schwung.
Irgendwie würde die hinderliche Menschenmenge, die inzwischen vor Angst die Scheibe des Kassenhäuschens eingedrückt hatte, schon rechtzeitig weichen. Wozu beschäftigte sie schließlich einen Butler, der sich um solche und andere Details zu kümmern hatte?
Wo war eigentlich Mister Parker? Fast hatte sie ihn vergessen. Sekunden vor der Katastrophe fiel er ihr plötzlich wieder ein.
Der Tatsache, daß Mylady sich in diesem Moment neugierig nach ihrem Butler umwandte, war es zu verdanken, daß die Talfahrt der korpulenten Dame nicht noch schlimmere Folgen zeitigte.
Myladys Skier reagierten auf die Verlagerung des Körpergewichts mit einer geringfügigen Kursänderung, die man nur als segensreich bezeichnen konnte. Die vor Entsetzen erstarrten Wintersportgäste atmeten hörbar auf, als Lady Agatha in einer beeindruckenden Schneefahne auf