Felix. Vater, was sich ereignet hat, können wir nicht wissen. Denkbar wäre ja jedenfalls, daß Johanna irgend einen Vorsatz gefaßt hatte, von dem sie wieder abkommt. Vielleicht ist sie in ein paar Stunden oder Tagen wieder hier.
Wegrat. Du glaubst . . . du hältst es für möglich?
Felix. Für möglich – ja. Aber wenn sie nicht käme . . . den Plan, von dem ich gestern sprach mit dir, Vater, den geb' ich selbstverständlich auf. Unter diesen Verhältnissen denk' ich nicht daran, mich so weit und auf so lange Zeit von dir zu entfernen.
Wegrat zu Julian. Nun will er mir gar ein Opfer bringen!
Felix. Vielleicht ließe es sich auch veranlassen, daß ich hierher transferiert werde.
Wegrat. Nein, Felix, du weißt wohl, daß ich das nicht annehme.
Felix. Es ist kein Opfer. Ich versichere dich, Vater, ich bleibe bei dir, weil ich jetzt nicht fort könnte.
Wegrat. O Felix, du könntest – du wirst können. Um meinetwillen sollst du nicht hierbleiben – darfst du nicht hierbleiben. Ich wüßte nicht, inwiefern mir damit gedient sein sollte, daß du diesen Plan aufgibst, den du mit solcher Begeisterung aufgegriffen hast. Ich fände es unverzeihlich von dir, zurückzutreten, und sträflich von mir, es von dir anzunehmen. Sei doch glücklich, daß sich nun endlich für dich ein Weg eröffnet, auf dem du vielleicht alles finden wirst, wonach deine Wünsche gehen. Ich selbst bin glücklich, Felix. Du würdest dein Lebenlang darunter leiden, wenn du diese Gelegenheit versäumtest.
Felix. Aber seit gestern kann sich viel, unendlich viel geändert haben – für dich und für mich.
Wegrat. Für mich – vielleicht. – Aber nichts mehr davon. Ich duld' es nicht, ich nehme ein Opfer nicht an. Ich würde es ja annehmen, wenn ich irgend einen besonderen Vorteil für mich darin sähe. Aber ich hätte dich ja dann nicht mehr, als wenn du fort wärst . . . weniger . . . gar nicht. Das Schicksal, das über uns hereinbricht, soll nicht zu all seiner eingeborenen Macht auch die schlimmere haben, daß es uns in unserer Verwirrung Dinge tun läßt, die unserm Wesen zuwider sind. Irgend einmal kommen wir doch über das Unglück hinweg, und wär' es das furchtbarste. Aber was wir gegen unser tiefstes Innere verbrochen haben, das ist dann nicht mehr gut zu machen. Zu Julian gewendet. Ist's nicht so, Julian?
Julian. Du hast vollkommen recht.
Felix. Ich danke dir, Vater. Ich danke dir, daß du es mir so leicht machst, dir beizustimmen.
Wegrat. Es ist gut, Felix . . . In den paar Wochen, die du noch in Europa bleibst, wird man ja noch manches mit einander reden können, – vielleicht mehr als in den letzten Jahren. Wahrhaftig, man weiß nicht viel von einander . . . Ah, ich bin müde. Die ganze Nacht sind wir wachgesessen.
Felix. Willst du dich nicht ein wenig ausruhen, Vater?
Wegrat. Ausruhen . . . Du bleibst zu Hause, Felix, nicht wahr?
Felix. Ja, ich will warten. Was soll man anders tun?
Wegrat. Ich zermartere mir den Kopf . . . Warum hat sie nichts zu mir gesprochen? Warum hab' ich nichts von ihr gewußt? Warum bin ich ihr so fern gewesen? Er geht ab.
Fünfte Szene
Julian und Felix.
Felix. Und dieser Mann wurde belogen – sein Leben lang – von uns allen.
Julian. Es gibt auf dieser Welt keine Sünde, kein Verbrechen, keinen Betrug, der nicht gutzumachen ist. Und gerade für das, was hier geschehen ist, sollte es keine Sühne und kein Vergessen geben?
Felix. Sollten Sie es nicht verstehen? . . . Hier hat man die Lüge ins Ewige getrieben. Darüber kann ich nicht weg. Und die das getan hat, war meine Mutter, – der sie dahin gebracht hat, waren Sie, – und die Lüge bin ich selbst, solange ich für einen gelte, der ich nicht bin.
Julian. So laß uns die Wahrheit sagen, Felix. – Ich stelle mich jedem Richter, den du wählst, füge mich jedem Spruch, der über mich verhängt wird. – Soll gerade ich auf immer verdammt sein? Soll ich, der einzige unter allen, die gefehlt haben, niemals sagen dürfen: »Es ist gesühnt«?
Felix. Es ist zu spät. Ein Geständnis hebt eine Schuld nur auf, solange der Schuldige dafür bezahlen kann. Diese Frist, Sie fühlen es wohl selbst, ist längst abgelaufen.
Sechste Szene
Felix, Julian und Sala.
Felix. Herr von Sala! Sie haben mir etwas zu sagen?
Sala. Ja. – Guten Morgen, Julian . . . Bleiben Sie, Julian. Es ist mir willkommen, daß ich einen Zeugen habe. Zu Felix. Sie sind entschlossen, die Expedition mitzumachen?
Felix. Das bin ich.
Sala. Ich auch. Aber es wäre möglich, daß einer von uns von dem Entschlüsse abstehen wird.
Felix. Herr von Sala . . .?
Sala. Es wäre nicht in der Ordnung, könnte man finden, sich mit jemandem auf eine so weite Reise begeben, der einen vielleicht lieber totschösse, wenn er einen vollkommen kennte.
Felix. Herr von Sala, wo ist meine Schwester?
Sala. Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, wo sie in diesem Augenblicke ist. Gestern Abend, eh' Sie kamen, hat sie mich zum letztenmal verlassen.
Felix. Herr von Sala –
Sala. Ihr Abschiedswort an mich war: Auf morgen. Sie sehen, daß ich heute früh allen Grund hatte, überrascht zu sein, als Sie bei mir erschienen. Erlauben Sie mir ferner, Ihnen zu sagen, daß ich gerade gestern Johanna bat, meine Frau zu werden, was sie lebhaft zu erschüttern schien. Diese Mitteilung mache ich Ihnen keineswegs, um etwas zu beschönigen. Denn in meiner Bitte lag nicht die Absicht, irgend ein Unrecht gut zu machen, sondern es war wahrscheinlich nur eine Laune – wie mancherlei anderes. Es handelt sich nur darum, daß Sie die Wahrheit erfahren. Ich stehe Ihnen also in jeder Weise zur Verfügung. – Das zu sagen, hielt ich für durchaus notwendig, ehe wir am Ende in den Fall kommen, zusammen in die Tiefen der Erde hinabzusteigen oder vielleicht unter einem Zelte zu schlafen.
Felix nach einer langen Pause. Herr von Sala . . . wir werden nicht unter einem Zelte schlafen.
Sala. Wie?
Felix. So weit geht Ihre Reise nicht mehr. Große Pause.
Sala. So . . . Ich verstehe Sie. Sie sind dessen sicher?
Felix. Vollkommen. – Pause.
Sala. Johanna wußte es?
Felix. Ja.
Sala. Ich danke Ihnen. – O, Sie können ruhig meine Hand nehmen. Die Angelegenheit ist ja so ritterlich geordnet als nur möglich. – Nun? . . . Es ist nicht einmal üblich, die Hand demjenigen zu verweigern, der zu Boden liegt.
Felix reicht ihm die Hand. Dann: Und wo mag sie sein?
Sala. Ich weiß es nicht.
Felix. Machte sie keinerlei Andeutungen?
Sala. Keine.
Felix. Aber haben Sie keine Vermutung? Hat sie vielleicht irgend welche Verbindung angeknüpft – im Ausland? Hat sie irgendwo Freundinnen oder Freunde, von denen mir nichts bekannt ist?
Sala. Nicht, daß ich wüßte.
Felix. Glauben Sie, daß sie noch lebt?
Sala. Ich weiß nicht.
Felix. Wollen Sie nicht mehr reden, Herr von Sala?
Sala.