Julian. Es ist nur die Frage, wie lang du's aushalten wirst.
Irene. Wie lange –? – Ja aber Julian, ich frage dich: Was soll mich veranlassen, aus einem solchen Paradies in den Sumpf zurückkehren, wo ich leider fünfundzwanzig Jahre meines Lebens verbracht habe? Was hab' ich denn überhaupt noch beim Theater zu suchen? Die bejahrten Fächer liegen mir nicht. Ich habe weder Neigung zur Heldenmutter noch zur spitzigen Dame, noch zur komischen Alten. Ich gedenke als Schloßfräulein zu sterben, als alte Jungfer sozusagen, und wenn alles gut geht, erscheine ich den Urenkeln meiner Schwester in hundert Jahren als weiße Dame. Mit einem Wort: Ich hab' das schönste Leben vor mir. – Was lachst denn?
Julian. Es freut mich, dich so lustig, – so jung wiederzusehen.
Irene. Das ist die Landluft, Julian. Das solltest du auch einmal auf längere Zeit versuchen. Herrlich! Ich hab' ja überhaupt meinen Beruf verfehlt: Der liebe Gott hat mich sicherlich zu einer Kuhdirn' oder zu einer Sennerin erschaffen wollen. Oder vielleicht zu einem Hirtenknaben. Ich hab' ja in Hosenrollen immer so gut ausgeschaut. – So. Darf ich dir auch gleich einschenken? Sie gießt ihm Tee ein. Hast du nichts dazu?
Julian. In der Tasche werden wohl noch ein paar Kakes sein. Er entnimmt der Reisetasche ein kleines Päckchen.
Irene. Danke. Famos.
Julian. Das ist übrigens eine ziemlich neue Schwärmerei von dir.
Irene. Die Kakes –?
Julian. Nein. Die Natur.
Irene. Wie kannst du das sagen? Ich habe die Natur immer unendlich geliebt. Denkst du nicht mehr an unsere Ausflüge von dazumal? Erinnerst du dich nicht, wie wir einmal an einem heißen Sommernachmittag im Wald eingeschlafen sind? Und denkst du nimmer an das Muttergottesbild oben auf dem Hügel, wo uns das Gewitter überrascht hat? . . . Ach Gott! Kein leerer Wahn, die Natur. Und gar später, wie die böse Zeit für mich gekommen ist, wie ich mich deinetwegen hab' umbringen wollen, ich Kamel . . . da war die Natur ganz einfach meine Rettung. Wirklich, Julian. Ich könnt' dir die Stelle noch zeigen, wo ich mich ins Gras geworfen und geweint hab'. Zehn Minuten vom Bahnhof, durch eine Akazienallee muß man gehen und dann weiter am Bach. Ja, ins Gras hab' ich mich geworfen und geweint und geheult. Es war nämlich ein Tag, wo du mich wieder einmal von deiner Türe davongejagt hast. Na, und wie ich eine halbe Stunde auf dem Gras gelegen war und mich recht ausgeweint hab', bin ich halt wieder aufgestanden – und bin auf der Wiese herumgelaufen. Wie ein kleiner Fratz, ganz allein für mich. Ich hab' mir die Augen ausgewischt, und es war mir eigentlich wieder ganz gut. Pause. Freilich, am nächsten Morgen bin ich wieder vor deiner Tür gewesen und hab' dich angejammert, und die Geschichte hat von vorn angefangen.
Es wird dunkler.
Julian. Daß du noch immer daran denkst.
Irene. Du doch auch. Na, und wer ist schließlich der Dumme von uns zweien gewesen? Wer? Frag' dich nur aufs Gewissen. Wer? . . . Bist du mit einer glücklicher gewesen als mit mir? Hat eine so an dir gehangen wie ich? Hat dich je eine andere so gern gehabt? . . . Gewiß nicht. Die dumme Geschichte, die mir dann im Engagement draußen passiert ist, meiner Seel', du hättest sie mir wirklich verzeihen können. Es ist wahrhaftig nicht so viel dran, wie ihr Männer immer draus macht – nämlich wenn's uns passiert. Sie trinken Tee.
Julian. Soll ich Licht machen?
Irene. Es ist ganz gemütlich in der Dämmerung.
Julian. »Nicht viel dran«, sagst du. Du magst ja recht haben. Aber wenn's einen trifft, wird man eben doch ziemlich rasend. Und wenn wir uns auch versöhnt hätten – es wäre doch nicht mehr das Rechte geworden. Es ist schon besser so. Wie's einmal verwunden war, sind wir ja die besten Freunde geworden und sind's geblieben. Das ist doch auch was sehr Schönes.
Irene. Ja. Heut bin ich auch ganz zufrieden. Aber damals –! O Gott, was war das für eine Zeit! Du weißt ja doch nichts davon. Nachher hab' ich dich erst so recht geliebt, – nachher, als ich dich durch meinen Leichtsinn verloren hatte. Ja, da hat sich erst sozusagen die wahre Treue in mir entwickelt. Denn was ich später erlebt habe . . . Aber es ist nicht zu verlangen, daß ein Mann so was versteht.
Julian. Ich versteh's ganz gut, Irene. Du kannst mir's glauben.
Irene. Im übrigen will ich dir was sagen, Julian; es war doch nur die gerechte Strafe für uns beide.
Julian. Für uns beide?
Irene. Ja. Darauf bin ich schon lang gekommen. Die gerechte Strafe.
Julian. Für uns beide?
Irene. Ja. Für dich auch.
Julian. Ja, wie meinst du das?
Irene. Wir haben's nicht anders verdient.
Julian. Wir? . . . Wieso denn?
Irene ernst. Du bist ja so gescheit, Julian. Was glaubst du: Wär' das damals geschehen – meinst du, ich hätt' so was anstellen können, wenn wir – ein Kind . . . wenn wir – das Kind gehabt hätten? Frag' dich doch aufs Gewissen, Julian – glaubst du's? Ich nicht, und du auch nicht. Alles wär' anders gekommen. Alles. Wir wären zusammen geblieben, wir hätten noch ein paar Kinder gekriegt, wir hätten uns geheiratet, wir möchten zusammen leben. Ich wär' nicht ein altes Schloßfräulein und du wärst nicht –
Julian. Ein alter Junggesell.
Irene. Na, wenn du's selber sagst. Und die Hauptsache: Wir hätten ein Kind. Ich hätt' ein Kind. Pause.
Julian ist im Zimmer auf- und abgegangen. Was soll das alles, Irene? Warum sprichst du wieder von allen diesen vergessenen –
Irene. Vergessenen?
Julian. – Vergangenen Dingen?
Irene. Vergangen sind sie freilich. Aber draußen auf dem Land hat man viel Zeit. Alles mögliche geht einem durch den Kopf. Und gar, wenn man andere Kinder sieht – die Lori hat nämlich zwei Buben –, fällt einem so manches ein. Neulich war's beinahe wie eine Vision.
Julian. Was denn?
Irene. Ich bin übers Feld gegangen gegen Abend. Das tu' ich manchmal, ganz allein. Weit und breit war niemand. Unten das Dorf ist auch ganz still dagelegen. Und ich spazier' so weiter, immer weiter gegen den Wald zu. Und plötzlich war ich nicht mehr allein. Du warst da. Und zwischen uns beiden das Kind. Das haben wir so an der Hand geführt – unser kleines Kind. Ärgerlich, um nicht zu weinen. Es ist ja zu dumm. Ich weiß doch, das Kind wär' jetzt ein Bengel von dreiundzwanzig Jahren, wär' vielleicht ein Lump oder ein schlechtes Mädel. Oder wär' vielleicht schon tot. Oder es wär' irgendwo draußen in der Welt und wir hätten gar nichts mehr von ihm . . . ja, ja. – Aber einmal hätten wir es doch gehabt, einmal war's doch ein kleines Kind gewesen und hätt' uns gern gehabt. Und . . . Sie kann nicht weiter. Stille.
Julian weich. Irene, rede dich doch nicht in solche Dinge hinein.
Irene. Das ist kein Hineinreden.
Julian. Gräm' dich nicht. Nimm's doch, wie es ist. Du hast anderes erlebt, vielleicht besseres. Dein Leben war reicher, als ein Mutterleben hätte sein können . . . Du warst eine Künstlerin.
Irene vor sich hin. Ich pfeif drauf.
Julian. Eine große, eine berühmte – das will doch was heißen. Du hast auch noch mancherlei anderes, sehr schönes erlebt – nach mir. Ich weiß es ja.
Irene. Was hab' ich davon? Was will das alles bedeuten? Eine Frau, die kein Kind hat, ist gar nie eine Frau gewesen. Aber eine, die einmal eins hätte haben können – haben müssen, und die – Blick. – – nicht Mutter geworden ist, das ist eine . . . ah! Aber das kann ja kein Mann verstehen! Das kann ja keiner verstehen! Der beste von euch ist in diesen Dingen