Bevor ich mit dem intensiven Fotografieren beginne, schreite ich das Areal ab. Ich stehe vor dem steinernen Halbrund der Apsis im Osten. Ich blicke gen Westen. Eine Schranke trennte einst das Gotteshaus in den Gemeinderaum und den Mönchschor. Vor der Schranke zum Gemeinderaum stand einst ein Altar, dessen Fundament zum Teil noch freigelegt werden konnte.
Im Gemeinderaum gab es – anders als heute – keine Sitzbänke für die Gottesdienstbesucher. Steinerne Bankette entlang der Außenwände, so entnehme ich den Ausgrabungsberichten, dienten als Sitzgelegenheiten.
Der Grundriss des Klosters tom Roden
1327 kam es zu heftigen Kämpfen zwischen Höxter und Corvey. Auszubaden hatte den Konflikt vor allem »tom Roden«. Es wurde zerstört… und wieder aufgebaut. Belegt ist urkundlich, dass anno 1422 der Kirche »Maria Magdalena« von »tom Roden« einen neuen Altar erhielt, zu Ehren der »Maria Solitaria«, der »Maria in der Einsamkeit«. 1456 wiederum wurde »tom Roden« geplündert.
Der letzte Propst von »tom Roden« – Johann von der Lippe – verließ das Kloster 1501. Er zog nach Höxter. Damit war das nahe Ende des Klosters absehbar. Wir wissen, wann es endgültig aufgegeben wurde, nämlich anno 1538. In jenem Jahr verwaiste der sakrale Komplex. Die letzten Mönche packten ihre Habseligkeiten. Natürlich nahmen sie alles von Wert mit. Sie bauten auch den Fußboden aus und schleppten das Material weg, vermutlich nach Höxter.
Damals stürzte wohl auch die Decke der Kirche ein, warum auch immer. Mag sein, dass sie durch Blitzschlag in Brand geriet, mag sein, dass »kriegerische Einwirkung« zur Katastrophe führte. Ohne Dach war die Ruine den Einflüssen von Wind und Wetter ausgesetzt. Die Mauern brachen zusammen, die Trümmer dienten als Steinbruch. So dürfte das einstige stolze Gotteshaus nach und nach bis auf die Grundmauern abgetragen worden sein. Das gilt auch für die zur Kirche der Maria Magdalena gehörenden Klostergebäude.
1618 bis 1648 tobte der »Dreißigjährige Krieg«. Höxter und Corvey benötigten erhebliche Mengen an Baumaterial, um Häuser und das Kloster Corvey wieder neu aufzubauen. Da diente die Ruine von »tom Roden« als »Steinbruch«. Trotzdem soll es gegen Ende des 17. Jahrhunderts »tom Roden« noch als Ruine gegeben haben. Auch die verbleibenden Mauern wurden nach und nach abgetragen. Wo einst das Kloster stand, wurden Felder angelegt. »Tom Roden« geriet in Vergessenheit. Der Standort des einst altehrwürdigen Klosters verschwand unter Äckern.
Zwei Gräber im Gemeinderaum der Kirche wurden bei den Ausgrabungen gefunden. Wurden hier einst die heute nicht mehr bekannten Stifter des Klosters »tom Roden« beigesetzt? Ließen die beiden Unbekannten einst »tom Roden« bauen? Und haben sie den Komplex dem Kloster von Corvey zum Geschenk gemacht? Vielleicht geschah dies nicht ganz uneigennützig? Wurde, als Gegenleistung für die großzügige Gabe, regelmäßig an den Gräbern der beiden Stifter gebetet? Wollten sie auf diese Weise erreichen, dass man ihrer gedachte und durch Fürbitten etwas für ihr ewiges Seelenheil tat? Es mag sogar vertraglich genau vereinbart worden sein, wann und wie oft der Stifter wie gedacht werden musste.
Im zwölften Jahrhundert war die finanzielle Seite von Kloster Corvey nicht gerade eine rosige. Grabungsbefunde deuten aber darauf hin, dass »tom Roden« just in jener Zeit gebaut wurde. Ein Säulenkapitell aus dem zwölften Jahrhundert wurde im Klosterbereich ausgegraben… aus der Entstehungszeit der Anlage? Oder lag die Gründungszeit noch weiter zurück? Seine Glanzzeit erlebte das Kloster vermutlich im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert. Im fünfzehnten Jahrhundert war das Kloster wohl noch bewohnt, das lassen Keramikfunde vermuten, die am Boden von zwei Brunnen geborgen wurden. Zerbrochenes Geschirr wurde ja oft in alten Brunnenschächten entsorgt. Heute werden beide Brunnen von »zivilisierten« Besuchern gern und ausgiebig als große Abfalleimer missbraucht. Unrat wird hineingeworfen, was auch nicht durch Anbringung von eisernen Gittern verhindert werden kann. Diese Missachtung eines altehrwürdigen sakralen Areals wirft ein beschämendes Licht auf heutige Besucher.
Zu Beginn des dritten nachchristlichen Jahrtausends wird gern postuliert, dass der Islam zu Deutschland gehört. Vor allem aber gehört das Christentum zu Deutschland. Unsere Wurzeln sind, auch wenn das manche befremden mag, christlich. Wir sollten wirklich einmal darüber nachdenken, wie wir mit unserem eigenen historischen Erbe umgehen. Ich glaube, da ist ein Umdenken dringend erforderlich! Respekt vor fremden Kulturen sollte eine Selbstverständlichkeit sein und wird auch von Politikern lautstark eingefordert. Respekt vor der eigenen Kultur wird allerdings von manchen Zeitgenossen herablassend belächelt, die so gern das hässliche Wortgebilde »multikulti« im Munde führen.
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