EINFÜHRUNG
1837 schrieb Honoré de Balzac die zweite, die erweiterte Fassung einer Furore machenden Künstlererzählung. Seine Novelle »Le chef-d’œuvre inconnu« spielt im Paris des 17. Jahrhunderts. Sie lässt den jungen Maler Nicolas Poussin sowie seinen Kollegen Porbus mit dem betagten Hofkünstler Frenhofer zusammentreffen. Seit zehn Jahren arbeitet Letzterer an einem Frauenporträt, das er indes allen Blicken verbirgt. Poussin brennt darauf, das Bild zu sehen, von dem jedermann munkelt, es sei ein Geniestreich. Um die Erlaubnis zu erhalten, bietet Poussin sogar seine Geliebte Gillette dem alten Maler als Modell an. Als Frenhofer schließlich das Gemälde auf der Staffelei enthüllt, sehen die Betrachter nur ein abstraktes Gewirr, ein Knäuel von Linien und Farbschichten. Einzig die Spitze eines herrlich gemalten Fußes ist als figuratives Überbleibsel im Chaos der Übermalungen zu identifizieren. Im Moment des Vorzeigens erkennt Frenhofer, dass Vollendungswahn von seinem Bild-Konzept nichts übriggelassen hat als ein unentwirrbares Netzwerk jahrelanger Korrekturen. Frenhofer fehlt noch das argumentative Zaubermittel späterer Avantgarde, statt des fertigen Werks den Weg zu ihm, das »work in progress« als das eigentliche Ziel auszugeben! In der Nacht darauf vernichtet er alle seine Werke und stirbt.