Tamara sah den Anwalt erstaunt an. Ihre Miene hellte sich – was für sie typisch war – von der einen Sekunde zur anderen auf.
“Sie haben recht!“ rief sie. “Natürlich haben Sie recht. Ich muß an die Mädchen denken. Wie Sie sagen, werden beide ausnehmend hübsch und in der Lage sein, sich den Ehemann auszusuchen. Einen Mann, der vermögend ist, und den sie wirklich lieben.“
In Tamaras Blick lag plötzlich etwas so Weiches, daß der Anwalt in Gedanken abschweifte.
Bevor Kadine und ihre jüngere Schwester Walide je auch nur ans Heiraten denken, wird ihre Tante Tamara längst verheiratet sein, dachte er.
“Wenn Sie einen Moment warten, Miss Selincourt“, sagte er, “dann setze ich schnell den Brief an Ihren Verleger auf.“
“Gern“, antwortete Tamara.
Mr. Lawson ging in eines der anschließenden Büros, in denen Schreiber an ihren hohen Pulten saßen und die steile Feder behänd über Bücher und Schriftstücke gleiten ließen, die bewiesen, daß die Anwaltskanzlei Lawson, Cresey und Houghton führend war in dieser Stadt.
Tamara stand auf und ging wieder zum Fenster.
Alles, was an diesem Morgen passiert war, ging ihr durch den Kopf und machte sie ganz konfus.
Daß sie den Roman zurückziehen mußte, traf sie härter als sie sich vor Mr. Lawson hatte anmerken lassen.
Sie hatte gehofft, eine anständige Summe dafür zu bekommen, war ja bereits ihr erstes Buch gut bezahlt worden.
Es war ein dünnes Bändchen gewesen, der Verleger hatte ihr jedoch sehr positive Kritiken zugesandt.
In ihrem zweiten Buch hatte sie Abenteuer, Niederträchtigkeit und Romanze ineinander verquickt und hoffte, mit dieser Mischung den allgemeinen Geschmack getroffen zu haben. Bei dem bescheidenen Leben, das sie in Cornwall führte, hatte sie kaum die Gelegenheit, mit bekannten Persönlichkeiten der Gesellschaft in Kontakt zu kommen.
Ihre Phantasie war durch das angeregt worden, was sie über den grausamen, unsympathischen Herzog von Granchester gehört hatte, der seinen Bruder ignorierte, wie schon sein Vater es getan hatte.
Tamara hatte ihren Schwager geliebt und verehrt und jedes Mal, wenn sie die Feder eingetaucht hatte, um etwas Abwertendes über den Schurken zu schreiben, der die Hauptfigur in ihrer Novelle war, hatte sie das Gefühl gehabt, dem Herzog die Unmenschlichkeit heimzuzahlen.
Sie hatte das Manuskript absichtlich nicht Lord Ronald gezeigt, ehe sie es dem Verleger geschickt hatte.
Er war ein so guter, freundlicher Mensch gewesen und hätte sich wahrscheinlich gegen das Bild verwahrt, das sie von seinem Bruder gezeichnet hatte. Dabei bestand für ihn nicht der geringste Grund, seine Familie zu verteidigen. Wie einen Aussätzigen hatten sie ihn behandelt, doch er hatte nur über sie gelacht und nie ein vorwurfsvolles Wort gesagt.
“Was ich nicht begreife“, hatte Maika einmal gesagt, “ist, daß sie Ronald nicht vermissen. Er ist ein so fabelhafter Mensch und von einem solchen Charme, daß man denken sollte, sie bereuten ihre Hartherzigkeit.“
“Sie sind steif, versnobt und höchst unsympathisch“, hatte Tamara entgegnet, aber Maika hatte nur gelächelt.
“Mir macht es nichts aus, daß ich nicht auf dem Schloß wohne“, hatte sie gesagt. “Manchmal finde ich es bloß traurig, daß Ronald sich keine Pferde leisten und nicht an den großen Rennen in Ascot und Newmarket teilnehmen kann.“
“Ich kenne keinen glücklicheren Menschen als Ronald“, hatte Tamara gesagt. “Ich glaube nicht, daß er etwas vermisst. Die Gesellschaft interessiert ihn doch gar nicht. Er lebt ganz für dich und die Kinder.“
Maika hatte ihr einen Kuß gegeben.
“Du bist mir oft ein richtiger Trost, Tamara“, hatte sie gesagt. “Manchmal denke ich, daß ich Ronald nicht aus seinen Kreisen hätte herausreißen dürfen. Was aber mich betrifft, so halte ich die ganze Welt und den Himmel in meinen Armen.“
Tamara hatte wie Mr. Lawson oft gedacht, daß es glücklichere Menschen nicht geben konnte. Wenn sich Ronald und Maika angesehen hatten, war ein Glühen in ihren Augen gewesen, das nicht von dieser Welt zu sein schien.
Wenn Ronald auch nur ein paar Stunden weg gewesen war, hatte Maika sehnlichst auf ihn gewartet und ihn beim Zurückkommen so heftig umarmt, als wolle sie ihn nie wieder weglassen.
Sie hatten sich so leidenschaftlich geküßt, als hätten sie sich gerade ineinander verliebt.
Aber nun waren sie beide nicht mehr da, und Tamara wußte, daß nur sie die Kinder lieben und versorgen konnte.
Mr. Lawson hat recht, dachte sie. Der Herzog soll mich für die Gouvernante halten. Es besteht keinerlei Grund, warum er mich wegschicken und eine neue Gouvernante für die Kinder engagieren sollte.
Mr. Lawson kam zurück.
“Hier ist der Brief an Ihren Verleger“, sagte er. “Ich habe ihn kurz und klar abgefaßt und darum gebeten, daß das Manuskript an die Kanzlei geschickt werden soll. Hier ist es sicherer. Wenn Sie es mitnehmen, weiß man nie, wem es in die Hände fällt.“
Tamara kam langsam zum Schreibtisch.
“Es tut mir leid, Miss Selincourt“, erklärte der Anwalt, als er merkte, wie sehr sie sich zwingen mußte. “Ich weiß, daß es Ihnen schwerfällt. aber es geht nun einmal nicht anders.“
Tamara nahm die Feder zur Hand.
“Lassen Sie sich dadurch nicht entmutigen“, fuhr Mr. Lawson fort. “In Ihrem nächsten Buch können Sie vielleicht angenehme Dinge über Schloß Granchester – und seinen Besitzer – berichten.“
“Da ist wohl der Wunsch der Vater des Gedankens“, entgegnete Tamara und lachte.
Sie unterschrieb den Brief und steckte die Feder wieder in den Halter.
“Ich werde versuchen, diese Novelle zu vergessen“, sagte sie. “Aber daß ich ihr wie einem tot geborenen Kind nachtrauere, dürfen Sie mir nicht übelnehmen.“
Der Anwalt lachte.
“Das ist eine typische Bemerkung für Sie, Miss Selincourt“, gestand er. “Auf Schloß Granchester allerdings sollten Sie mit solchen Bemerkungen vorsichtig sein. Ich bin davon überzeugt, daß die älteren Mitglieder der Familie schockiert sein würden.“
“Ich werde sowohl meine Zunge als auch meine Feder im Zaum halten“, versprach Tamara. “Mein nächstes Manuskript geht zur Vorsicht erst einmal an Sie, Mr. Lawson, ehe der Verleger es zu lesen bekommt. Dann können Sie jedes zynische Wort streichen.“
“Ich werde Sie an dieses Versprechen erinnern“, sagte der Anwalt mit einem Lächeln. “Ich will Sie schließlich nicht vor Gericht verteidigen müssen.“
“Und ich möchte nicht wegen einer Verleumdungsklage im Schuldturm landen“, erklärte Tamara mit spitzbübischem Gesicht.
“Ich schicke diesen Brief und den an den Herzog noch heute weg“, versprach Mr. Lawson. “Wenn es Ihnen recht ist, helfe ich Ihnen übermorgen beim Packen. Bis dahin werde ich auch die nötigen Arrangements für Ihre Reise getroffen haben.“
“Vielen Dank, Mr. Lawson.“ Tamara streckte beide Hände aus. “Ohne Sie wären wir verloren, die Kinder und ich.“
Mr. Lawson drückte Tamara beide Hände.
“Sie sind ein sehr tapferes Mädchen“, sagte er. “Ich wünschte nur, ich hätte Ihnen bessere Nachrichten mitteilen können. Aber wer weiß, vielleicht wendet