Demeas. (50) Heil dir, Timon, Krone unseres Stammes, Stütze der Athener, Vormann von Hellas! Längst warten deiner das versammelte Volk und die beiden Räte.60 Zuvor aber vernimm den Entwurf des Dekrets, den ich zu deinen Gunsten aufgesetzt habe:
»In Anbetracht dessen, dass Timon, der Sohn des Echekratides aus Kolyttos, ein rechtschaffener und dabei kluger Mann wie kein anderer in Hellas, sich jederzeit um das Gemeinwesen wohlverdient gemacht hat und Siegespreise im Faust- und im Ringkampf erhalten hat, im Wettlauf, im Wagenrennen mit dem Viergespann und mit dem Zweigespann der Fohlen, alles in einem Tag zu Olympia, …«
Timon. Aber ich bin ja noch nicht einmal als Zuschauer in Olympia gewesen.
Demeas. Macht nichts. Du wirst wohl später einmal dort zusehen, je mehr dergleichen hier drinsteht, desto besser.
»… ferner im vergangenen Jahr bei Acharnai61 sich für die Stadt sehr tapfer gewehrt und zwei Bataillone Peloponnesier zusammengehauen …«
Timon. (51) Wie? Ich bin ja, weil ich keine Waffen hatte, nicht einmal auf die Kriegsliste gekommen.
Demeas. Du sprichst gar zu gering von dir. Wir hingegen wären undankbar, wenn wir deiner Taten nicht gedächten.
»… desgleichen durch Gesetzesvorschläge, Gutachten und seine Amtsführung als Stratege der Polis ungemeine Dienste geleistet hat – in Erwägung all dessen beschließen der Rat und das Volk und die Volksversammlung, nach Phylen und Demen in Einzel- wie Gesamtabstimmung, dem Timon eine goldene Bildsäule neben der Athene auf der Burg setzen zu lassen, mit Strahlen ums Haupt62 und einem Donnerkeil in der rechten Hand, ferner ihn mit sieben goldenen Kränzen zu beschenken und diese Ehrenbezeigung heute an den Dionysien,63 welche Timon zu Ehren eben heute gefeiert werden sollen, im Theater bei der Aufführung neuer Tragödien öffentlich ausrufen zu lassen. Vorstehendes Dekret hat in Antrag gebracht Demeas, der Volksredner, Timons nächster Verwandter und Schüler. Denn auch ein trefflicher Redner ist Timon, und überhaupt alles, was er nur will.«
(52) Das wäre nun also mein Vorschlag. Auch wollte ich dir meinen Sohn vorstellen, den ich nach deinem Namen Timon genannt habe.
Timon. Wie das, Demeas? Du bist ja meines Wissens gar nicht verheiratet.
Demeas. Ich werde aber, so Gott will, übers Jahr heiraten, und weil das erste Kind, das ich zeugen werde, unfehlbar ein Knabe sein wird, so nenne ich ihn jetzt schon Timon.
Timon. Ob aus der Hochzeit etwas werden wird, wenn du – einen solchen Streich aufsitzen hast?
Demeas. Au! Wehe! Was soll das? Timon stürzt den Staat um! Timon schlägt freie Bürger und ist doch selbst weder Bürger noch frei geboren! Alsbald wirst du es zu büßen haben, vor allem, dass du Feuer in der Burg gelegt hast.
Timon: (53) Hat denn die Burg gebrannt? Du schändlicher Sykophant?
Demeas: Aber in die Schatzkammer bist du eingebrochen, daher dein Reichtum.
Timon: Sie ist ja nicht aufgebrochen worden. Also wird auch dies kein Mensch dir glauben.
Demeas. Sie wird aber aufgebrochen werden. Genug. Du hast sie jetzt schon ausgeleert.
Timon. Da hast du noch eine.
Demeas. Au! Mein Rücken!
Timon. Schrei mir nicht, oder du kriegst noch eine dritte. Das müsste sonderbar zugegangen sein, wenn ich unbewaffnet zwei Bataillone Spartaner hätte niedergehen lassen und könnte so ein einzelnes hundsföttisches Männlein nicht kleinkriegen. Wofür hätte ich denn in Olympia gesiegt, im Faust- und Ringkampf?
(54) Aber was sehe ich? Kommt hier nicht Thrasykles, der Philosoph? Wahrhaftig er ist’s. Wie der Mensch mit vorgestrecktem Bart, mit hochgezogenen Augenbrauen und in stolzer Selbstgefälligkeit mit sich selbst spricht, wie er so finster um sich blickt, wie seine Haare auf der Stirn zu Berge stehen – ein leibhaftiger Boreas oder Triton,64 wie sie Zeuxis65 malte! Dieser Mann mit dem einfachen Äußeren, dem gravitätischen Gang und dem bescheidenen Anzug deklamiert des Morgens Wunder wie viel von Tugend, schimpft auf die, welche ihre Freude am Wohlleben haben, und zeigt, wie schön es ist, sich mit Wenigem zu begnügen. Derselbe aber, wenn er nach dem Bad zu einem Gastmahl kommt, fordert alsbald einen großen Becher und trinkt drauflos. Je stärker der Wein, desto lieber. Bald ist es so, als ob er aus dem Strom der Lethe getrunken hätte. Seine Aufführung widerstreitet gar so sehr seinen des Morgens geäußerten Vorträgen. Wie ein Habicht fällt er über die Speisen her, stößt den Nachbarn mit dem Ellenbogen weg, hat den Bart mit Brühe besudelt und schlingt alles hinunter wie ein hungriger Hund, über den Teller gebückt, als ob er dort »das höchste Gut«66 zu finden hoffe. Endlich schmiert er noch das Letzte recht sorgfältig mit dem Zeigefinger zusammen, um von der pikanten Brühe auch keinen Tropfen zurückzulassen.
(55) Dazwischen klagt er beständig, dass er zu kurz gekommen sei, auch wenn er den ganzen Kuchen oder ein Ferkel allein bekommen hätte. Hierauf trinkt er. Nicht etwa nur, um zu Gesang und Tanz begeistert zu werden, sondern (was immer die Frucht solcher Unersättlichkeit ist) bis er grob schimpft und Händel anfängt. Mit dem Becher in der Hand schwatzt er unaufhörlich und obendrein von Selbstbeherrschung und Sittsamkeit, während ihm übel ist vom Übermaß und seine lallende Zunge Gelächter erregt. Eine Magenerleichterung macht diesen Auftritten ein Ende, und nun heben ihn einige auf und tragen ihn aus der Gesellschaft, während er die Flötenspielerin nicht fahren lassen will, die er mit beiden Händen gefasst hält. Allein, auch wenn er nüchtern ist, steht er den lügenhaftesten, frechsten und geldgierigsten Menschen in nichts nach. Von den Schmeichlern ist er einer der ersten, zum falschen Schwur jederzeit bereit, Heuchelei und Betrug gehen vor ihm her, die Unverschämtheit ist seine Begleiterin. Kurz, es ist ein rares, in jeder Hinsicht unverbesserliches, vollkommenes Stück von einem Weisen. Aber er soll seinen Lohn kriegen, der Ehrenmann. – Ach, da kommt er. Nun, du hast lange auf dich warten lassen, Thrasykles!
Thrasykles. (56) Ich komme, mein Timon, aber nicht in der gleichen Absicht, wie diese gemeinen Menschen da, die aus Bewunderung deines großen Reichtums und in der Hoffnung, Gold und Silber und kostbare Gerichte von dir zu erhalten, zusammenströmen und zu diesem Zweck gegen einen so geraden und freigiebigen Mann, wie du einer bist, alle Schmeichlerkünste aufbieten. Du weißt, ein Stück Gerstenbrot nebst einer Zwiebel oder etwas Kresse ist meine ganze und liebste Mahlzeit, und wenn ich recht üppig leben will, streue ich ein paar Körnchen Salz darauf. Mein Trank kommt aus dem öffentlichen Brunnen. Dieser abgetragene grobe Wollmantel ist mir lieber als das schönste Purpurkleid, und das Gold hat in meinen Augen keinen größeren Wert als Kieselsteine. Ich komme nur um deinetwillen, um die vor dem vielfältigen und unheilbaren Schaden zu bewahren, in welchen schon viele durch das schlimmste und gefährlichste aller Dinge, nämlich den Reichtum geraten sind. Wenn du mir also folgen willst, so wirf am liebsten deinen ganzen Schatz ins Meer. Einem so edlen Mann, der die Schätze der Weisheit zu finden weiß, kann er ja doch nichts helfen. Jedoch nicht gar zu tief, mein Freund, nur bis etwa an die Hüften, nicht weit von der Brandung, geh ins Wasser und wirf ihn dann, nur von mir beobachtet, ins Meer.
(57) Sofern dir aber dies nicht gefällt, gibt es noch einen anderen und besseren Weg, dein Gold in aller Geschwindigkeit aus dem Haus zu schaffen, ohne dass du es nötig hast, auch nur einen Groschen behalten zu müssen. Teile es unter die Bedürftige aus: Dem einen gibst du fünf Drachmen, dem anderen eine Mine, dem Dritten ein halbes Talent. Ein Philosoph verdient, das Doppelte und Dreifache zu bekommen. Ich aber (wohlgemerkt, ich bitte nicht für mich, sondern um es unter die Notleidenden meiner Freunde zu verteilen) bin zufrieden, wenn du mir hier meinen Schnappsack vollmachst. Zwar fasst er nicht mehr als zwei äginetische Medimnoi67 – allein der Philosoph muss sich mit wenigem begnügen und darf über seinen Ranzen hinaus