Endlich von den das Gemüth ergreifenden Wirkungen der Apollinischen Religion d. h. von der Apollinischen Musik Mantik und Kathartik, welche sämmtlich auf dasselbe Ziel einer außerordentlichen Erregung und Begeisterung, in welcher sich das Göttliche dem menschlichen Geiste offenbart, also auf Enthusiasmus und Ekstase hinauslaufen. Kein Cultus ist in dieser Hinsicht so reich wie der Apollinische und nur der des Zeus und des Dionysos lassen sich mit ihm vergleichen. Zum Zeus hat Apollo eben deswegen als sein Prophet594, als der begeisterte Verkündiger seines Willens ein eben so inniges Verhältniß als Athena, daher es von beiden heißt daß sie seine liebsten Kinder sind und zur Rechten des Vaters sitzen595. Aber auch Dionysos stand dem Apoll sehr nahe, da beiden wie gesagt dieses Element der enthusiastischen Gemüthserregung, welche sich als musische und poetische Begeisterung und als Weissagung und Reinigung offenbart, gemeinsam ist und in dieser Hinsicht nur ein gradueller, kein principieller Unterschied zwischen ihnen stattfindet (Strabo 10, 468). Eben deshalb wurden diese Götter oft neben einander verehrt, wie sich auch die heilige Sage von ihnen oft berührte, sowohl in den nördlichen Gegenden des Musen- und des Dionysosdienstes, am Olymp und an der Rhodope, als am Parnaß und zu Delphi, wo sie gemeinschaftliche Heiligthümer hatten und gemeinschaftlich gefeiert wurden, nur Apollo mehr in der schönen Dionysos in der winterlichen Jahreszeit. Aber auch in Attika, auf Chios, zu Olympia und sonst findet sich diese Verschmelzung der beiden Culte, daher sie auf Vasengemälden und anderen Bildwerken nicht selten neben einander und durch Parallelismus verbunden erscheinen.
Die erste und bekannteste dieser Arten des Apollinischen Enthusiasmus ist seine Musik, die bei seinen Festen in verschiedenen Stimmungen aufzutreten pflegte, aber immer den Gott des beseligenden und triumphirenden Lichtes bedeutet. Alle Apollinischen Feste waren voll von musikalischen und lyrischen Uebungen und insofern eine wahre Schule der empfindungsvollen Tonkunst, wie denn auch die Lyriker in Hymnen, Paeanen und Prosodien ihre besten Gaben an solchen Festen darzubringen pflegten. In Delphi nannte man den ersten pythischen Sänger und Sieger einen Kreter, in Delos den ältesten Hymnoden einen Lykier, also werden die Anfänge solcher Uebungen in jenen Gegenden zu suchen sein. Aber bald waren Delos und Delphi selbst die wichtigsten Apollinischen Kunstschulen. Dort erhielt sich das Andenken der alten Sänger durch jene religiösen Lieder zur Feier der Geburt, die von einer Generation zur andern gesungen wurden, wie das ehrwürdige Gedicht an den Delischen Apoll, das älteste unter den Homerischen Hymnen, an solche Traditionen ausdrücklich erinnert. Und auch die festliche Tracht, in welcher Apollo als Kitharöde und nach seinem Vorbilde alle Lautner und Sänger an seinen Festen zu erscheinen pflegten, namentlich auch bei den pythischen Wettkämpfen zu Delphi, war und blieb die ionische mit den weiten wallenden Gewändern, nicht die dorisch-hellenische. Dahingegen in andern Gegenden, wo der Apollinische Paean und das Lied von der Drachentödtung am meisten gepflegt wurde, die künstlichere Musik und Lyrik am besten gedieh, wie sie früher in den Gesangschulen von Kreta und Lesbos, später bei der Feier der Karneen und Gymnopaedien zu Sparta geübt wurde, ihren heiligen Mittelpunkt für ganz Griechenland aber in Delphi und seinem Gottesdienste gefunden hatte. Ist doch Apollo selbst der Sage nach in Delphi zuerst als Sänger eingezogen, an der Spitze der von ihm aus Kreta berufenen Priester, feierlichen Schrittes (καλὰ καὶ ὕψι βιβάς) und in duftenden Gewändern, die klingende Phorminx im Arme, wie der alte Hymnengesang ihn zu schildern pflegte und wie die bekannten pythischen Siegesdenkmäler und viele Vasenbilder ihn vergegenwärtigen596. Und nach seinem Vorbilde und unter seiner Obhut wurde nachmals der pythische Wettkampf in der Musik gestiftet, als dessen erste Sieger der Kreter Chrysothemis und die Thraker Philammon und Thamyris genannt wurden, denen sich in den alten Verzeichnissen eine lange Reihe anderer Künstler anschloß. Das immer sich wiederholende Thema und Grundschema dieser pythischen Wettübungen war der Drachenkampf und der pythische Nomos597, doch wurde dieser mit der Zeit immer kunstreicher ausgebildet, indem einige den Chor und die Orchestik hinzufügten598, andere die Instrumentalmusik immer mehr vervollkommneten. Das vorherrschende Instrument blieb die Apollinische Kithar oder Phorminx, die man auf so vielen Bildwerken in den Armen Apollons ruhend oder von ihm in der Entzückung emporgehoben sieht, das ernste Instrument mit der Alles ergreifenden und besänftigenden Wirkung, wie dieses Pindar in dem ersten pythischen Siegesgesange so unvergleichlich schön ausführt. Indessen fand doch auch die Flötenmusik sehr früh bei diesen Uebungen Aufnahme599. Apollo selbst aber wurde durch alle diese Uebungen und Sagen zum Gotte der Tonkunst und des Gesanges schlechthin, obwohl er diese Ehre genau genommen mit anderen Göttern theilte. Namentlich mit den Musen, deren Dienst ursprünglich dem des Zeus und des Dionysos näher stand als dem des Apollo, die aber bald mit diesem eine unzertrennliche Gruppe bildeten, in welcher Apollo nach der ältesten Auffassung nur die Kithar spielt, während die Musen dazu singen600. In dieser Verbindung aber galten sie nun für die beste Zierde aller Olympischen Göttermahle und überhaupt aller Feste und Freuden der Götter, die ohne die Saiten Apollons und den Gesang der Musen gar nicht zu denken waren601, so wie auch für die erste Quelle aller musikalischen und poetischen Begeisterung602. So hatte Apollon auch die Kithar nach der gewöhnlichen Sage zwar nicht erfunden, sondern er erhielt sie durch Tausch von Hermes. Aber er allein weiß sie doch erst zu gebrauchen und zwar zu solchen ernsten und erhabenen Gesängen, wie sie auch den Musen gewöhnlich in den Mund gelegt werden, von dem Ursprunge der Dinge und von den unsterblichen Göttern (Hom. H. Merc. 420 ff.). Noch andere Sagen erzählten von göttlichen Sängern, denen Apoll das Dasein oder ihre Kunst gegeben, obwohl auch hier zwischen der älteren und jüngeren Tradition wohl zu unterscheiden ist. Wieder andere von seinen musikalischen Antipathien, wie die von Marsyas, dem Silen