daß die Götter sie verstoßen mußten
115. Und diesem Bilde schließt sich auch die Sage von Lykaon und seinem Geschlechte in Arkadien an, so wie in anderer Hinsicht die von den thebanischen Sparten, dem aus Drachenzähnen emporgesproßten Geschlechte, welches sich wie die Giganten in wahnsinniger Streitbarkeit selbst aufreibt. Culturgeschichtliche Bilder sind die sehr beliebten von einer primitiven Rohheit der Menschen, welche zuerst wie die Thiere in Höhlen und Wäldern gelebt hätten
116, dann allmälig durch Götter und Heroen von den Gefahren ihres Daseins befreit und durch Mittheilung der Culturfrüchte und andere milde Stiftungen zu menschlicher Sitte emporgehoben seien; wobei also auch wieder die Voraussetzung zu Grunde liegt daß der Mensch nur unter göttlichem Beistande zu dem geworden ist wodurch er sich von den Thieren unterscheidet. Endlich eine geschichtliche Erzählung von der Vorzeit, wenigstens hielt man sie für geschichtlich, geben solche alte Landschafts- und Stammsagen, wo die späteren Geschlechter und Stämme sich von einem ersten Menschen und Erzieher seines Volkes ableiteten, dergleichen es wieder in sehr verschiedenen Gegenden gab. Die allgemeinste Anerkennung erlangte mit der Zeit die Unterscheidung eines ersten und eines zweiten Geschlechtes, von denen das erste, das
pelasgische, von dem argivischen
Phoroneus abgeleitet zu werden pflegte, das zweite, das
hellenische, von
Deukalion. Die Sage von Phoroneus und seinem Geschlechte
117 ist peloponnesischen Ursprungs, daher man sich die pelasgischen Stämme gewöhnlich von jener Halbinsel aus über das nördliche Griechenland verbreitet dachte; dahingegen die Deukalionssage vorzüglich in Thessalien und am Parnaß zu Hause war. Eine große Fluth, die Sinfluth der griechischen Sage, vernichtet alle früheren Geschlechter bis auf das eine Paar, Deukalion und Pyrrha, von welchen jener wie der biblische Noah eine Personification sowohl der Fluth als der aus ihr von neuem erstehenden Landescultur zu sein scheint, sowohl in der historischen Bedeutung der großen Fluth, nach welcher neue Staaten entstanden, als in der jährlichen Ueberfluthung des Winters und der Wiedergeburt des Landes durch den Frühling
118, diese eine Personification der fruchtbaren und durch ihren Waizenbau berühmten Fluren am Fuße der Othrys, auf welchem Gebirge die ältere Sage auch den Kasten des Deukalion landen ließ
119. Dagegen ist nachmals, vermuthlich unter dem Einflusse von Delphi, der Gipfel des Parnaß zum Orte der Landung und die alte Stadt Lykoreia auf diesem Berge, deren Bevölkerung sich später nach Delphi zog, zur ersten Gründung Deukalions geworden
120; daher namentlich Apollodor 1, 7, 2 und Ovid M. 1, 260–415 die Sage in diesem Zusammenhange erzählen. Zeus und das Orakel befiehlt ihnen die Gebeine der Mutter d. h. das Gestein des Gebirgs hinter sich zu werfen, aus welchem sodann eine neue Saat von Menschen emporschießt, aus den von Deukalion geworfenen Steinen die Männer, aus den von Pyrrha geworfenen die Frauen, ein Geschlecht der Steine d. h. ein hartes und dauerhaftes Geschlecht, wie schon Pindar mit den Worten spielte
121. Deukalion selbst ist Vater des Hellen, dessen Söhne und Enkel die einzelnen Stämme der Hellenen begründen, Aeoler Dorer Achaeer und Ionen. Eine scheinbare Geschichte wie gesagt, denn bei genauerer Untersuchung ergiebt sich auch von diesen Traditionen daß sie auf ganz mythischen Thatsachen und auf genealogischen Combinationen beruhen, welche letztere zwar ziemlich alt sind
122, aber nichts desto weniger für willkürlich gelten müssen und für die Geschichte nicht zu brauchen sind. Genug auf diese Weise entstand das seitdem ziemlich allgemein angewendete Sagensystem wo zuerst das sogenannte Geschlecht des Phoroneus d. h. eine Geschichte der Pelasger, dann das sogenannte Geschlecht des Deukalion d. h. eine Geschichte der Hellenen, endlich eine sogenannte Atthis d. h. eine mythische Geschichte von Attika abgehandelt wurde
123.
Fußnote
109 Asios b. Paus. 8, 1, 2 ἀντίϑεον δὲ Πελασγὸν ἐν ὑψικόμοισιν ὄρεσσιν γαῖα μέλαιν' ἀνέδωκεν ἵνα ϑνητῶν γένος εἴη.
110 Hesiod W. T. 108 ὡς ὁμόϑεν γεγάασι ϑεοὶ ϑνητοὶ τ' ἄνϑρωποι. Pindar N. 6, 1 ἓν ἀνδρῶν ἓν ϑεῶν γένος, ἐκ μιᾶς δὲ πνέομεν ματρὸς ἀμφότεροι.
111 S. das merkwürdige Fragment eines ungenannten Dichters, wahrscheinlich Pindars, bei Schneidewin Philol. 1, 421–442, wo viele Autochthonen aufgezählt werden. Vgl. Censorin. d. d. n. 4, Harpokr. v. αὐτόχϑονες u. meinen Aufsatz im Philologus Bd. 7.
112 Od. 19, 163 οὐ γὰρ ἀπὸ δρυός ἐσσι παλαιφάτου οὐδ' ἀπὸ πέτρης, vgl. Schoemann op. 2, 136 sqq. 413 u. m. Aufs. im Philol. 7, 20 ff. Ohne Zweifel ist bei diesen Bildern sowohl auf die Härte des Stoffs als auf das Zufällige, Spontane der Entstehung zu achten, in welcher Beziehung die Heroen oder Menschen von guter Herkunft oft den γηγενεῖς oder terrae filiis entgegengesetzt werden, Philol. l. c. 46. Doch beweist die weite Verbreitung dieser Fabeln daß die ältere Grundlage des Gedankens die kosmogonische ist. So wurden nach kleinasiatischem Glauben die phrygischen Korybanten baumartig (δενδροφυεῖς) von der großen Mutter der Gebirge emporgetrieben und Attis und Adonis sollen gleichfalls aus Bäumen entstanden sein. Derselbe Glaube findet sich aber auch in den Vedas, im alten Italien (Röm. Myth. 341), und im alten Deutschland wie in der Edda, Grimm D. M. 527. 537.
113 Pindar l. c. εἴτε προσελαναῖον Ἀρκαδία δῖον Πελασγόν. Daher die Ἀρκάδες προσέληνοι, vgl. Apollon. Rh. 4, 264 Schol., Heyne opusc. 2, 334 sqq. Nach Hesych galten auch die arkadischen Nymphen für προσεληνίδες. Ueber βεκκεσέληνος d. i. ἀρχαῖος Arist. Nub. 398 und das Alter des Mondes s. Pott Ibb. für Philol. 1859 Suppl. 305.
114 Hesiod b. Orig. c. Cels. 4 p. 216 ξυναὶ γὰρ τότε δαῖτες ἔσαν, ξυνοὶ δὲ ϑόωκοι ἀϑανάτοισι ϑεοῖσι καταϑνητοῖς τ' ἀνϑρώποις.
115 Pindar Ol. 1, 54 εἰ δὲ δή τιν' ἄνδρα ϑνατὸν Ὀλύμπου σκοποὶ ἐτίμασαν, ἦν Τάνταλος οὗτος· αλλὰ γὰρ καταπέψαι μέγαν ὄλβον οὐκ ἐδυνάσϑη, κόρῳ δ' ἕλεν ἄταν ὑπέροπλον: das Grundthema von sehr vielen gleichartigen Sagen.
116 Unter den Göttern sind es vorzüglich Demeter u. Dionysos welche die Cultur bringen, unter den Titanen und Heroen Prometheus u. Palamedes, s. Aesch. Prom. 447 ff. u. das Fragment b. Nauck trag. gr. p. 713 n. 393. Sehr weit ausgeführt sind die Schilderungen der rohen Urzeit bei Kritias und Moschion, ib. p. 598 und 633. Gewöhnlich liegt die Vorstellung von den rohen und blödsinnigen γηγενεῖς zu Grunde, welche namentlich seit Aristoteles von den Culturhistorikern immer weiter ins Einzelne ausgeführt wurde, s. Philol. 6, 44 ff.,