»Grit, soll ich zu dir kommen?«, erkundigte sie sich behutsam.
»Und was willst du hier? Du kannst mir nicht helfen, du kannst mir Robertino nicht zurückbringen, der lebt jetzt in Mailand bei einer Frau, die so alt ist, dass sie seine Mutter sein könnte.« Wieder ein Schluchzen. »Dieses … dieses Schwein hat mich nur ausgenutzt, Ich könnte ihn umbringen … ich … ich liebe ihn doch so sehr.« Wieder dieses lange, unkontrollierte Schluchzen, doch diesmal legte Bettina nicht auf, sondern wartete ab, bis Grit sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.
»Wenn du nicht willst, dass ich zu dir komme, dann ruf doch Frieder an, vielleicht kann der dir helfen, ihr versteht euch doch so gut.«
»Frieder …, der hat eigene Probleme, außerdem – Bettina, ich will Robertino zurück … Ich geb dir jetzt seine Handynummer, ruf ihn an, sag ihm, wie sehr ich leide … Sag ihm, dass er zu mir zurückkommen soll.«
»Grit, du weißt doch, dass ich das nicht kann, er würde sofort auflegen, er weiß, was ich von ihm halte. Glaubst du, er würde mich anhören? Außerdem halte ich es für keine gute Idee. Er hat dich verlassen, diesmal, wie es scheint, endgültig. Akzeptiere doch einfach, dass es vorbei ist.« Zu deinem Besten fügte sie vorsichtshalber nicht hinzu.
»Ich will ihn aber, ich brauche ihn … Ich kann ohne ihn nicht leben.«
»Grit, du wirst es aber müssen, es sind schon viele Menschen verlassen worden, daran stirbt man nicht, darüber kommt man hinweg.«
»Aber ich will ihn«, lamentierte Grit herum.
Bettina verlor allmählich die Geduld, weil man mit Grit ohnehin in diesem trunkenen Zustand nicht vernünftig reden konnte.
»Die einzige Möglichkeit, ihn zurückzubekommen ist …«, das war gemein, aber sie musste es einfach aussprechen, vielleicht kam Grit dadurch zur Vernunft, »ihn zurückzukaufen.«
Es war unglaublich, sie sprang doch tatsächlich darauf an.
»Ich würde alles geben, mein Haus, mein Geld …«
Wieder folgte dieses fast schon hysterische Schluchzen.
Es hatte keinen Sinn, mit Grit weiter zu reden. Sie sollte sich ihren Rausch ausschlafen, vielleicht konnte man morgen mit ihr wie mit einem vernünftigen Menschen reden.
»Grit, lass uns morgen miteinander reden, so hat es doch keinen Sinn. Du bist betrunken … Morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus. Und, wie gesagt, wenn du möchtest, komme ich zu dir. Du bist aber auch auf dem Fahrenbach-Hof herzlich willkommen. Hier kannst du zu dir finden, und wenn du Abwechslung brauchst, findest du sie in Bad Helmbach.«
»Hör auf, mich zuzusülzen, ich will nicht, dass du kommst, ich will weder zu dir noch nach Bad Helmbach, ich will meinen Robertino wiederhaben.«
»Dabei kann ich dir leider nicht helfen, Grit.«
»Du begreifst nichts, du kannst nur wie ein Pastor reden. Weißt du was, du gehst mir so was von auf den Senkel, es tut mir leid, dass ich dich überhaupt angerufen habe. Insgeheim lachst du dir doch eins ins Fäustchen.«
Bettina wollte widersprechen, doch dazu kam sie nicht mehr. Grit hatte, wie fast immer sonst auch, einfach aufgelegt.
An gemütliches Fernsehen war jetzt nicht mehr zu denken. Grit tat ihr wirklich sehr leid, aber andererseits hatte ihr nichts Besseres passieren können, als von diesem Blutsauger verlassen zu werden. Dieser Mann hatte sie nie geliebt, sondern auf ihre Kosten nur ein schönes, komfortables Leben geführt. Grit war nur noch ein Schatten ihrer selbst gewesen. Sie würde es überwinden und sich klar darüber werden, wie ungesund diese Geschichte gewesen war, die von ihrer Seite fast schon an Hörigkeit grenzte. Für diesen Gigolo war sie doch nicht mehr als eine Marionette gewesen, bei der er alle Fäden in der Hand gehalten hatte.
Ob sie ihren Stolz überwinden und Grit noch mal anrufen sollte?
Diesen Gedanken verwarf sie gleich wieder. Grit war jetzt beleidigt. Sie würde nicht mehr abnehmen, zumals sie ja auch auf ihrem Display sehen konnte, wer der Anrufer war.
Arme, arme Grit!
Wie konnte sie ihr nur helfen, aus diesem emotionalen Tief wieder herauszukommen?
Bettina hatte nicht die geringste Ahnung.
Das Einzige, was Grit glücklich machen würde war Roberto, doch den konnte sie ihr nicht beschaffen, und das wollte sie auch gar nicht.
Bettina stand auf.
Das Feuer war längst erloschen, weil sie vergessen hatte neue Scheite aufzulegen. Aber das war auch in Ordnung so. Das Gespräch mit Grit hatte sie erschöpft. Sie war müde und würde jetzt ins Bett gehen in der Hoffnung, schnell einschlafen zu können und nicht von Gedanken an Grit verfolgt zu werden.
Bettina nahm ihr Glas, trank auf dem Weg zur Küche das letzte Schlückchen aus, dann stellte sie das Glas in den Geschirrspüler, verließ die Küche und wollte gerade die Treppe hinaufgehen, als das Telefon schrillte.
Grit!
Mit wenigen Schritten war sie am Apparat und meldete sich atemlos.
»Mit wem hast du denn Dauergespräche geführt?«
Es war Doris.
»Ich habe mir ja die Finger wundgewählt.«
Es war Doris, dachte sie erneut. Der Kelch, sich Grits Tiraden nochmals anhören zu müssen, war an ihr vorübergegangen.
»Ich habe mit Grit telefoniert«, sagte Bettina.
»Ach, du Ärmste, hat sie dich wieder rund gemacht, meine liebe Ex-Schwägerin?«
»Nein, sie ist ziemlich verzweifelt. Ihr Lover hat sie verlassen.«
»Na endlich«, rief Doris, »dann besteht ja jetzt die Chance, dass sie wieder vernünftig wird … Ist dieser Gigolo auf eine noch ergiebigere Goldader gestoßen?«
»Ja, offensichtlich. Es soll eine reiche Frau in Mailand sein, alt genug, um seine Mutter sein zu können.«
»Gott, wundert dich das, Bettina? Das ist dem doch völlig wurscht, Hauptsache, die Kohle stimmt.«
»Du sagst es.«
Bettina setzte sich auf eine Treppenstufe.
Wahrscheinlich rief Doris an, um ihr abzusagen, und damit sie nicht lange herumdrucksen musste, sprach sie es aus, was vermutlich eine Absage sein würde.
»Lass uns nicht länger über Grit sprechen, das Telefonat mit ihr hat mich ziemlich erschöpft, und jetzt bekomme ich wahrscheinlich auch noch eins von dir oben drauf.
Du hast es dir überlegt und kommst nicht mit nach Frankreich, stimmt’s?«
Doris begann zu lachen.
»Ich glaub, ich habe es dir schon mal gesagt, und jetzt wiederhole ich es. Als Hellseherin wärest du grottenschlecht und könntest damit dein Geld wahrscheinlich nicht verdienen. Falsch geraten, meine Liebe.
Ich komme mit, und meinen Urlaub habe ich auch schon klargemacht. Als er erfuhr, dass es um eine Reise mit dir geht, hat Herr Brodersen sofort ja gesagt. Ich soll dich übrigens von ihm herzlich grüßen.«
Wenn Bettina nicht schon säße, müsste sie es spätestens jetzt tun.
Sie würde nicht allein nach Frankreich fahren müssen, Doris würde sie begleiten.
»Danke.« Mehr konnte Bettina nicht sagen.
»Danke? Wofür? Für die Grüße meines Chefs oder weil ich mit auf’s Chateau komme?«
»Für beides, Doris, für beides … Ich bin so froh, dass du mich begleitest, um meinetwillen, aber auch deinetwegen.«
»Das glaube ich dir auch, und ich musste lange über das, was du sagtest, nachdenken. Es stimmt, dass ich einiges aufzuarbeiten habe. Ich bin nämlich wirklich eine von denen, die alles in die