Sie war so stolz und glücklich, die Tradition der Fahrenbachs fortführen zu dürfen.
Ihren Namen würde sie zwar ändern und nach der Hochzeit Sibelius heißen, wie Thomas, ihre große, ihre einzige Liebe, doch im Herzen würde sie immer eine Fahrenbach bleiben.
Das war man oder man war es nicht …, und sie war es.
Bettina lief weiter, stieß die schwere Eichentür auf, die ins Innere der Firma führte, begrüßte einen Mann aus dem Versand, der gerade mit einem Packen Kartons an ihr vorüberging, und als sie die Treppe hinauflaufen wollte, kam ihr Lisa entgegen, ihre Auszubildende.
»Guten Morgen, Frau Fahrenbach«, grüßte sie freundlich.
»Guten Morgen, Lisa …, wieso bist du schon hier? Du musst doch erst später anfangen.«
»Ich weiß, aber wir haben im Moment doch so viel zu tun, da wird jede Hand gebraucht. Da bin ich lieber hier als daheim noch eine Stunde länger herumzutrödeln.«
Mit Lisa hatte sie wirklich einen Glücksgriff getan, sie war engagiert und kam auch in der Berufsschule ganz hervorragend mit, obschon sie kein besonders gutes Schulabschlusszeugnis gehabt hatte und anderswo kaum eine Lehrstelle gefunden hätte. Bettina hatte sie nicht wegen des Zeugnisses eingestellt, sondern weil sie sympathisch war, und ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht.
Schon ihr Vater hatte immer gesagt, dass es auf den Menschen ankam und dass man sich nicht in erster Linie auf bedrucktes Papier verlassen sollte, sondern auf sein Gefühl.
»Eine lobenswerte Einstellung, Lisa. Aber du musst nicht übertreiben, glaubst du, ich bemerke nicht, dass du häufig früher da bist, abends länger bleibst und manchmal auch nach der Berufsschule in den Betrieb kommst, obwohl du da eigentlich frei hast?«
»Ich komme gern her, weil mir die Arbeit unheimlich viel Spaß macht, und wenn ich außerhalb meiner Arbeitszeit hier bin, da kann ich mich auch in anderen Bereichen umsehen. Der Herr Bischoff hat mir schon eine ganze Menge in der Produktion gezeigt, und sich da einigermaßen auszukennen ist doch auch wichtig. Oder im Vertrieb …, da langt es nicht, sich nur in der Theorie auszukennen. Ich weiß, wie man am portogünstigsten was verschickt und wie man Pakete richtig packt.«
»Lisa, was soll ich dazu sagen? Du bist ein Schatz, aber deine Einstellung ist richtig, mein Vater hat mich auch durch alle Abteilungen durchgejagt. Wenn du wirklich alles lernen willst, dann ändern wir einfach deinen Lehrplan und du kannst überall hineinschnuppern. Das Eigentliche darf allerdings dabei nicht auf der Strecke bleiben.«
»Wird es nicht, Frau Fahrenbach, ganz bestimmt nicht. Ich werde alles tun, um einen guten Lehrabschluss zu bekommen. Schließlich will ich mich vor Ihnen nicht blamieren. Sie haben mir eine Chance gegeben, und die will ich auch nutzen und Sie nicht enttäuschen.«
Bettina wollte etwas sagen, doch da erschien Toni am oberen Treppenabsatz, er war ein wenig aufgeregt.
»Ach, da bist du ja schon, Bettina«, sagte er, »ich wollte gerade zu dir kommen.«
»Wieso? Ist dein Telefon kaputt?«, versuchte sie zu scherzen, doch darauf ging er nicht ein.
»Nein, aber das, was ich dir zu sagen habe ist wichtig, darüber spricht man nicht am Telefon.«
Sie lächelte Lisa an, klopfte ihr auf die Schulter.
»Weiter so, Lisa, du bist auf dem richtigen Weg, und wenn du mal Probleme hast, dann komm zu mir.«
»Danke, Frau Fahrenbach.«
Lisa lief die Treppe hinunter, nein, man konnte wohl eher sagen sie hüpfte, während Bettina hinaufstieg.
»Hallo, Toni«, sagte sie, oben angekommen, »was gibt es denn so Dringendes?«
Er zog sie in sein Büro, drückte sie auf einen Stuhl.
Jetzt war Bettina aber auf das, was kommen würde, gespannt. Toni war ja richtig aufgeregt.
»Sitzt du gut?«, erkundigte er sich.
Sie musste lachen.
»Ja, aber komm, Toni, schieß endlich los.«
Er lehnte sich an seinen Schreibtisch.
»Mortimer & Hazelwood …«, begann er.
»Die Mortimer & Hazelwood«, fiel Bettina ihm ins Wort, denn sie kannte den Namen nur im Zusammenhang damit, dass es sich um den größten und umsatzstärksten Spirituosenhersteller Amerikas handelte. Und sie fragte sich natürlich, wie Toni auf die kam, die spielten doch in einer ganz anderen Liga als sie hier in ihrem verträumten Fahrenbach, auch wenn sie sich schon einen guten Namen gemacht hatten.
»Ja, Bettina, die«, er betonte das ›die‹, »Mortimer & Hazelwood, aber, verflixt noch mal, lass mich doch mal einen Satz beenden und unterbrich mich nicht dauernd.«
»Hey, komm wieder runter, Toni, ich hab dich nur einmal unterbrochen und verspreche hiermit hoch und heilig, es kein zweites Mal zu tun … Hand auf’s Herz.«
Das demonstrierte sie auch gleich, was wiederum ihn zum Lachen brachte und wieder versöhnlich stimmte.
»Ist schon gut, also, lange Rede kurzer Sinn … Die wollen unser Kräutergold in den USA produzieren, wenn es nicht anders geht, in Lizenz, aber eigentlich sind sie heiß darauf, dir alle Rechte am Kräutergold abzukaufen.«
»Und wie kommen die auf uns?«
»Nun, die beobachten weltweit den Markt, Kräutergold ist mehrfach ausgezeichnet worden, hat eine wichtige Goldmedaille bekommen, so was spricht sich bis Amerika durch.«
»Sie können von uns Fertigprodukte erwerben, aber ich lasse doch nicht in Lizenz produzieren. Da muss ich die Rezeptur preisgeben, die seit Generationen im Familienbesitz ist, und verkaufen … Toni, ehrlich mal, ich kann doch nicht das Herzstück der Fahrenbachs weggeben, nicht für alles Geld der Welt.«
»Das sehe ich auch so, Bettina, aber es ist doch schon gigantisch, welche Kreise das zu ziehen beginnt, selbst in den USA ist man auf uns aufmerksam geworden … Welche Märkte tun sich da auf.«
»Toni, komm zurück auf den Boden, bleib realistisch, unser Kräutergold eignet sich nicht zum Massenprodukt, die Qualität würde darunter leiden, mehr als hundert Kräuter, Früchte und Gewürze, die kann man nicht so einfach zusammenschütten, die Qualitätsunterschiede sind zu groß. Es kommt doch sehr darauf an, wo Kräuter wachsen, wie dort die Bodenbeschaffenheit ist … Ach, lass uns nicht weiter darüber reden. Das ist etwas, was in dieser Form nicht geht, weil ich niemals verkaufen werde, und Amerika … Klein und fein ginge, aber nicht in so marktbeherrschender Position, wie Mortimer & Hazelwood es praktiziert.«
»Sie wollen mit uns reden«, sagte er.
»Kein Problem, Toni, das kannst du machen, du weißt über alles bestens Bescheid, und deine Englischkenntnisse sind hervorragend.«
»Bettina, du bist die Chefin, bestimmt wollen sie mit dir reden.«
»Und du bist mein Stellvertreter und kannst über Kapazitäten oder Ähnliches viel besser reden als ich. Außerdem …, in der nächsten Zeit kann kein Geschäft der Welt so wichtig für mich sein, als dass ich mich deswegen von dem Wichtigsten ablenken lassen würde, nämlich meiner Hochzeit.«
Er lächelte sie an.
»Okay, ich kümmere mich … Du freust dich sehr auf die Hochzeit mit Thomas, stimmt’s?«
»Ich kann es kaum erwarten, weil das die Krönung meiner Liebe sein wird. Ach, Toni, weißt du, machmal kann ich mein Glück überhaupt noch nicht fassen. Erst all diese Widerstände, und nun läuft alles so glatt, und ich bin die glücklichste Frau der Welt.«
»Du hast dieses Glück, weiß Gott, verdient, Bettina«, sagte er, »aber mit dieser Aufregung, das kann ich so gut verstehen, ich hatte das Gefühl auch vor meiner Hochzeit mit Babette. Und, Bettina, aus meiner eigenen Erfahrung kann ich dir nur sagen, dass hinterher alles noch viel, viel schöner