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Sätze rauschten an Bettina vorüber wie ein Wildbach. Nichts davon nahm sie bewusst wahr. Nur die zuerst gehörten Worte »Hallo, meine Schöne« und »Morgen zum Frühstück werde ich bei dir sein«, hatten sich in ihr festgekrallt.
Jan …
Warum war sie jetzt so durcheinander?
Sie hatte schließlich gewusst, dass dieser Augenblick kommen würde, sie hatte ihn sogar herbeigesehnt, damit endlich Klarheit geschafft wurde.
Ihr wurde bewusst, dass sie ihm überhaupt nicht antwortete, und Jan schien das zunächst ebenfalls nicht bemerkt zu haben, bis er ihr die Frage stellte: »Hat dir die Freude auf unser Wiedersehen die Sprache verschlagen?« Er schien allerbester Laune zu sein.
Sie musste sich zusammenreißen!
Er durfte nicht merken, dass etwas nicht stimmte, denn dann wäre sie gezwungen, ihm die Wahrheit am Telefon zu sagen. Und genau das wollte sie nicht, das hatte sie bislang erfolgreich vermeiden können.
»Ich …, äh …, ich bin hier mitten auf dem Marktplatz«, stammelte sie, und das war nicht gelogen, »und andauernd grüßen mich irgendwelche Leute«, das wiederum stimmte nicht.
Er lachte.
»Ach so, ich hatte vergessen, dass du in Fahrenbach bekannt bist wie ein bunter Hund. Kann mir vorstellen, wie nervend es ist, aber weißt du, meine Schöne, es ist doch auch alles gesagt. Ich kann es kaum erwarten, dich zu küssen, in meine Arme zu schließen, du hast mir so sehr gefehlt … In den nächsten Wochen werde ich nichts weiter tun, als das Beisammensein mit dir zu genießen, und wir werden auch unsere Hochzeit vorantreiben. Ich weiß doch, wie wichtig es für dich ist, verheiratet zu sein.«
Bettina musste schlucken.
Wie wichtig es ihr war, verheiratet zu sein? Sie wusste, dass Jan früher ein Heiratsmuffel gewesen war, aber nachdem er sich aus freien Stücken mit ihr verlobt hatte, war sie der Ansicht gewesen, dass es auch für ihn ein Bedürfnis geworden war, die Frau, die er liebte, zu heiraten.
Stop! Wohin verirrten sich ihre Gedanken?
Wenn alles beim Alten gewesen wäre, hätte sie sich jetzt über seine Worte ganz bestimmt geärgert. Aber sie würde ihn doch überhaupt nicht mehr heiraten.
»Ich freue mich auf morgen, ich liebe dich.«
Bestimmt erwartete er, und das wäre auch normal gewesen, dass sie jetzt auch ein »Ich liebe dich« ins Telefon flüsterte. Aber das konnte sie nicht!
»Ich muss Schluss machen«, flüsterte sie, »da kommt schon wieder jemand, bis morgen …«
Sie knipste das Gespräch weg, schmiss ihr Telefon wie ein giftiges Reptil auf den Beifahrersitz, dann legte sie ihren Kopf aufs Lenkrad.
Bettina war fix und fertig.
Sie war ein aufrichtiger Mensch, Ränkespiele, Lügen, Unaufrichtigkeiten aller Art waren ihr verhasst. Dieses kurze Telefonat hatte sie mehr Kraft gekostet als eine zähe Verhandlung mit ihrer Bank oder einem schwierigen Kunden oder Lieferanten.
Jan würde kommen!
Jan war so arglos!
Er freute sich auf sie, und sie würde ihn ins offene Messer laufen lassen. So war es doch, oder?
Nur – wäre es nicht viel grausamer gewesen, wenn sie es ihm am Telefon gesagt hätte? Wenn sie ihm gesagt hätte, dass es aus war zwischen ihnen, dass sie zu Thomas, ihrer alten, ihrer einzigen Liebe, zurückgekehrt war? Wenn sie ihm am Telefon gesagt hätte, dass sie Thomas heiraten würde …
Nein, das ging nicht!
Das hatte Jan nicht verdient!
Er war ein wunderbarer, wenn auch ein wenig egozentrischer Mensch. Er war ein Mann, für den der Job immer an erster Stelle stehen würde, doch das hatte sie gewusst. Sie und Jan hatten auf jeden Fall eine schöne Zeit gehabt, und wenn Thomas nicht so beharrlich gewesen wäre, wenn er sich nicht immer wieder in ihr Leben geschoben hätte, dann wäre sie bei Jan geblieben. Und sie hätten bestimmt auch gut zusammengelebt.
Gut …
Gut, aber nicht einmalig, großartig, phantastisch wie es mit Tom war. Jetzt kannte sie die Unterschiede und im Vergleich zu dem, was jetzt stattfand, war das Leben mit Jan nicht mehr als wohltemperiert …, ein wenig Schmalspur gewesen.
Wenn sie dieses Gespräch doch bloß schon hinter sich hätte. Im Augenblick fühlte sie sich so, dass sie am liebsten in ein Mauseloch gekrochen wäre. Aber das ging nicht, und das war auch nicht ihr Naturell, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen.
Sie zuckte zusammen, als jemand an ihre Autoscheibe klopfte.
Sie blickte zur Seite und schaute in Toms und Jörgs lachende Gesichter. Die beiden schienen ausnehmend guter Laune zu sein.
Bettina riss sich zusammen und stieg mit noch immer puddingweichen Knien aus dem Auto, um sich direkt in Toms Arme fallen zu lassen.
»Was ist los?«, erkundigte er sich besorgt. »Geht es dir nicht gut?«
»Das kann man so sagen.«
»Was ist passiert?«
»Ich hatte gerade einen Anruf … Jan kommt zurück … Er wird morgen früh hier sein.«
»Na, das ist doch wunderbar«, mischte Jörg sich ein. »Da kannst du endlich tabula rasa machen. So wie es jetzt läuft, das ist für alle Beteiligten nicht gut.«
Jörg hatte recht, das wusste sie selbst.
»Es ist ja gut, dass er endlich kommt, nur ich fühle mich so schlecht. Jan ist vollkommen ahnungslos und glaubt, zwischen uns sei alles in Ordnung. Statt mit ihm über unsere Hochzeit zu sprechen, muss ich ihm … den Dolchstoß versetzen.«
Jörg begann zu lachen.
»Das hört sich ja an wie eine griechische Tragödie. Kleine Schwester, dramatisiere jetzt nicht. Das, was du jetzt erlebst, ist Normalität. Paare kommen zusammen, Paare trennen sich. Es ist doch nobel von dir, es ihm persönlich sagen zu wollen. Andere machen das mit knappen Worten per SMS, dafür gibt es sogar prominente Leute.«
»Ach, du meinst da diesen Ex-Tennisspieler. Ehrlich mal, der ist für mich kein Maßstab. Der ist von sich ja so was von überzeugt, dass er wahrscheinlich vor lauter Entzücken sein Spiegelbild küsst. Dabei hat er doch in seinem Leben nichts weiter gemacht