Da die Träger gewöhnt sind allein zu gehen und wir unsere persönlichen Gepäckstücke und diejenigen Sachen, die wir auf dem Marsche nötig hatten, auf unsere Loangos verteilen konnten, so brachen wir selbst erst einige Stunden nach dem Abgang der Kongoleute auf. Nach dankbarem Abschied von Mr. Hughes bestiegen wir nachmittags zwei Uhr das Boot, welches uns nach Ango-Ango führte, wo wir die Loangos wiedertrafen, die den Weg auf den Uferbergen genommen hatten. Noch ein letztes Händeschütteln mit den drei zurückbleibenden Herren der Expedition und den Angestellten des holländischen Hauses, und gegen drei Uhr begannen wir den Aufstieg zu den hohen Bergen, unmittelbar an deren Fuß die Faktorei gelegen ist: Premierleutnant Schulze, ich selbst, David Kornelius, Pansu, Malewo und sechzehn Loangoboys unter ihrem Headman Manuel.
Noch hatten wir nicht die Höhe erreicht, als es zu regnen begann, doch gab es einen als Tropenregen nur mäßigen und kurzdauernden Niederschlag, so daß die bald wieder hervorkommende Sonne uns lange vor Ankunft in dem als Lagerdorf in Aussicht genommenen Wonda nicht nur getrocknet, sondern auch reichlich in Schweiß gesetzt hatte, denn unser Pfad führte bergauf und bergab. An einigen Stellen konnte man den Aufbau der großartigen Berglandschaft aus Tonschiefergestein erkennen, doch ist dasselbe oberflächlich überall in den gelben oder rötlichen Laterit umgewandelt und mit ungezählten Mengen von rundlichen und großlöcherigen Brauneisensteinknollen jeglicher Größe, sowie scharfkantigen Quarzbruchstücken verschiedener Farbe bedeckt. Die Vegetation war, wie am ganzen unteren Kongo, gebildet durch tristes Kampinengras12, stellenweise unterbrochen durch Krüppelgesträuch (vor allem Anona senegalensis, aber auch manche Arten von Parinarium, Vitex, Münteria etc.), einzelne Palmen, Baumwoll- und Affenbrotbäume. Mehrere kleine Wasserläufe passierend – über die Pansus und Manuels breite Rücken und Schultern als Beförderungsmittel dienten – eilten wir ohne Aufenthalt in südöstlicher Richtung vorwärts, doch war die Sonne schon einige Zeit untergegangen und die Dunkelheit hatte sich eingestellt, als wir unser Lagerdorf erreichten, wo uns Pansu zu der Hütte führte, in der durchreisende Weiße gewöhnlich zu übernachten pflegten.
In Anbetracht der Neuheit und Ungewohntheit der Verhältnisse wird man sich nicht allzusehr wundern, wenn ich gestehe, daß wir am Abend des ersten Marschtages herzlich schlecht gegessen und in der Nacht noch schlechter geschlafen haben, da wir in der unverantwortlichen Hoffnung, daß es hier keine Moskitos gebe, sogar versäumt hatten, die Vorhänge über unseren Reisebetten anzubringen.
Einige Eier und eine Tasse Tee bildeten am frühen Morgen des 14. Dezember unseren Imbiß, nach dessen Einnahme der Marsch fortgesetzt wurde und zwar über ein Terrain, das dem am vorigen Tage durchmessenen in allem glich: in den steinbedeckten Lateritbergen, den tiefen Wasserrinnen und der Einförmigkeit und Öde der Vegetation – und so ist es auch mit ganz wenigen Ausnahmen bis San Salvador und auch später immer geblieben. Indessen passierten wir einige armselige Dörfer, in deren einem, am Rande eines bescheidenen Wässerchens, wir zur Mittagszeit einige Stunden rasteten. Am Nachmittag durchschritten wir den Bumi und Pambu und waren erstaunt – während die Wasser bisher stets nach Norden ihren Weg genommen hatten – dieselben nach Süden abfließen zu sehen. Offenbar gehören sie nicht mehr zum Stromsystem des Kongo.
In Tomboku, einem aus mehreren ziemlich weit voneinander entfernt liegenden Teilen bestehenden größeren Dorfe, machten wir Halt. Der Teil des Dorfes, in dem wir übernachteten, war der höchstgelegene und man hatte am Eintritt in das Palmenwäldchen, unter dem die Eingeborenen ihre Hütten errichtet haben, eine weite Aussicht auf das Gewirr von ungezählten Bergkegeln, die man vergeblich in ein System zu bringen sucht. Durch Pansus oder Malewos Vermittlung erhielten wir für einen etwas hohen Preis eine junge Ziege, sowie mehrere Hühner zu Kauf, für deren Zubereitung ich vorzog mich selbst zu interessieren, so daß wir ein in der Tat recht angenehmes Abendessen hatten. Die Nacht freilich in dumpfiger, schwarzrußiger Negerhütte brachte nur wenig Schlaf.
Der nächste Tag war anstrengender. Die Sonne schien bereits am frühen Morgen heiß auf uns hernieder, der gelbrote Boden – auf manchen marktplatzgroßen Stellen ohne eine Spur von Vegetation – reflektierte die Strahlen in einer für die Augen schmerzhaften Weise. Immer neue Bergkegel erhoben sich vor uns – am Bach Maunse im schattigen Ufergebüsch erst machten wir Halt, um die heißeste Tageszeit vorübergehen zu lassen. Am Nachmittag stiegen wir zum Plateau von Kainsa hinauf. Dasselbe fällt mit seinem östlichen Rande sehr scharf zum Tal des Lukangu ab, das auf beiden Seiten von 150 bis 200 Meter hohen mauerartigen Bergzügen begrenzt ist. Auf der Höhe desjenigen Plateaus erst wollte Pansu den Tagesmarsch beschließen. Halsbrecherische Gebirgswege im hier sichtbar werdenden Gneisgestein und über gewaltige Felsblöcke führten uns in kurzer Zeit zum Lukangu hinab, dessen tief eingeschnittenes Bett zur Zeit nur wenig Wasser führte, so daß dasselbe leicht durchwatet werden konnte, während die Uferböschungen den belasteten Leuten schwere Anstrengungen machten. Das Taldorf passierend hatten wir zu den östlichen Talwänden aufzusteigen und, auf dem Plateau angelangt, einem weiten und wasserlosen Pfade über ödeste Kampine zu folgen, bis wir völlig erschöpft nach Sonnenuntergang in Lukangesi ankamen, d.h. Premierleutnant Schulze, ich selbst, Malewo und Pansu. Geraume Zeit nachher, bei vollster Dunkelheit, stellten sich die Loangoleute und Kornelius ein, so daß wir erst zu später Abendstunde die Vorbereitungen zum Mahl und zur Ruhe treffen konnten.
Über das auf einer mit Palmen bestandenen Anhöhe gelegene Dorf Kinga – ein auf der Route vom Kongo nach San Salvador mehrfach vorkommender Dorfname – erreichten wir am folgenden Tage in Ntaila Bansa die Höhe der westlichen Talwände des Mposuflusses, auf dessen breite Niederung, sowie ferne östliche Bergzüge man eine weite Ausschau hat. Zum Tal herniedersteigend fanden wir vor dem Dorf der Bansa Mposu einen kleinen Marktplatz, eine kitanda, wo die Leute für blaue Glasperlen einige Vorräte erstehen konnten, wie Maniokbrot oder chiquanga (das ist ein Teig, hergestellt aus gewässerten und darauf in Mörsern gestampften Maniokwurzeln, der in geschlossenen Gefäßen im Wasserdampf aufgekocht worden ist und in Form von gepreßten Broten in Bananen- oder Phryniumblätter gewickelt zu Kauf gebracht wird), Erdnüsse oder ginguba, Planten und mit vielem roten Pfeffer, ndungu, gewürztes Schweinefleisch, mbisi ngulu.
Im Dorf hatten wir einen Zoll für die Benutzung der von den Eingeborenen aus einigen Baumstämmen und Lianen hergestellten Brücke über den Mposufluß zu bezahlen.
Die in San Salvador etablierten Handelshäuser und Missionen haben mit den Bewohnern des Mposudorfes, wie auch mit denen des Lundadorfes Kongo dia lemba, Verträge abgeschlossen, nach welchen ihre Trägerkarawanen gegen eine jährliche Abgabe unbehelligt passieren. Wir mußten uns in weitläufige Unterhandlungen mit den Dorfleuten einlassen, die zuerst einen unglaublich hohen Preis für die Erteilung der Erlaubnis, die Brücke zu benutzen, forderten, aber durch Pansus Vermittelung einigten wir uns schließlich auf vier Gewehre, also zwei Stücke von turkish red, einem bei den Eingeborenen damals sehr beliebten von der englischen Mission eingeführten roten Stoff. Ich war erstaunt, daß Pansu, Sohn des Königs von Kongo, in so demütiger Weise mit dem Chief des Dorfes verkehrte, denn ersterer kniete vor diesem nieder und begrüßte ihn mit mehrfachem Händeklatschen, bis er nach gnädigem Gegengruß die knieende in eine hockende Stellung veränderte und in die Verhandlungen eintrat. Allerdings gehen das Ansehen und die Würde der Männer nicht auf die Söhne, sondern auf die Schwestersöhne über. Dennoch war die Demütigung Pansus ein deutliches Anzeichen für die seinem Vater gebliebene geringe Macht.
Nachdem die Angelegenheit geordnet war, verließen wir das Dorf und kamen zur Brücke, deren Passage Klettertieren und Eingeborenen auch nicht allzu schwer wird, von einem Europäer aber ein schon nicht gewöhnliches Maß von Geschicklichkeit fordert. Die braunen Wasser des Mposu stürzen in beschleunigter Strömung in etwa zwanzig oder fünfundzwanzig Meter Breite zwischen mehrere Meter hohen Ufern in nördlicher Richtung dahin, um in Entfernung einiger Meilen die Lunda aufzunehmen und nordwestlich dem Kongo zuzufließen, wo der Mposu Vivi gegenüber einmündet. Den Weg eine kurze Strecke weiter verfolgend, hatten wir ein ausgedehntes morastiges Gebiet zu passieren, dessen Durchschreitung durch scharfkantige parallelziehende Kalksteinklippen – eine Bildung von geologischem Interesse – recht unbequem ist. Die Ränder dieses Sumpfes sind mit einem hübschen Bestand von Weinpalmen (Raphia vinifera), den Bambuspalmen der Kongesen, bedeckt, auf die aufmerksam zu machen Pansu und Malewo nicht unterließen,