»Sie sind also verheirathet?« fragte ich endlich.
»Ja.«
»Glücklich?«
Er lachte. Sein Lachen klang eigentlich harmlos wie das Lachen eines Kindes; aber mich machte es schauern, ich weiß nicht warum.
»Glücklich?« sagte er, »was soll ich sagen? Thun Sie mir die Gnade und bedenken Sie einmal, was das ist: Glück! – Sind Sie Landwirth?«
»Nein.«
»Aber Sie verstehen etwas von der Landwirthschaft? Gewiß. Nun sehen Sie, das Glück, möchte ich so sagen, ist nicht wie ein Dorf oder Gut, das einem gehört, sondern wie eine Pacht. Ich bitte, verstehen Sie mich, wie eine Pacht. Wer sich da einrichten will für die Ewigkeit, wer brach liegen läßt nach der Ordnung, oder gar düngt, oder den Wald schont, oder junges Holz hegt, oder eine Straße baut« – er nahm sich wie verzweifelt beim Kopfe – »Herr Gott! der macht, als hätte er für seine Kinder zu sorgen. Da heißt es: was herausschlagen, das Jahr oder gar heute, ja nicht morgen. Da heißt es: das Feld aussaugen, den Wald verwüsten, die Weiden ruiniren, Gras wachsen lassen auf den Wegen, Scheunen, und wenn Alles zu Grunde gerichtet ist am Ende und der Stall jede Stunde einstürzen kann: gut, und auch der Speicher – um so besser! oder gar das Wohngebäude – unübertrefflich! unübertrefflich! Der hat’s genossen, der hat jubilirt. – Da haben Sie das Glück! Lustig! Lustig!«
Die neue Flasche Tokai wurde entkorkt und er schenkte fleißig ein.
»Was ist das Glück?« rief er, »der Athemzug, den ich mache. Da, sehen Sie!« – er hauchte in die Luft – »da haben Sie ihn! Sehen Sie! Sehen Sie ihn!« – er wies mit den Fingern hin – »Wo ist er jetzt? – Ein Augenblick, eine Secunde auf der Uhr, einmal klopft der Zeiger – vorbei! Das Lied, das die Wache singt! Hören Sie den letzten schwellenden Ton, wie er sich emporhebt und fliegt – und schwimmt nur so in der Luft. Man meint er könnte kein Ende nehmen. Er trägt uns fort, fort – immer fort! – da – da hat ihn die Nacht verschlungen – für immer – das ist das Glück.«
Wir schwiegen beide einige Zeit.
Endlich fragte er ziemlich heiter: »Verzeihen Sie, darf ich Sie fragen: warum sind denn alle Ehen unglücklich? oder doch die meisten! Was wollen Sie einwenden?«
»Ich? Nichts! gar nichts!«
»Also sehen Sie, es ist eine Thatsache! Aber ein Mensch, der das was so ist, annimmt, ohne darüber nachzudenken, oder sich dagegen zu stemmen, der ist so ein schwacher Mensch in jeder Beziehung. – Ich meine, man muß tragen, was nothwendig ist, was so bestimmt ist, oder was so in der Natur liegt, wie allenfalls der Winter, oder die Nacht, oder der Tod. Aber ist es auch nothwendig, daß die Ehen so in der Regel unglücklich sind? Ist da – nun Sie verstehen mich – eine Nothwendigkeit, eine Regel, wenn ich mich so ausdrücken darf: ein Gesetz in der Natur?«
Mein Mann fragte mit dem Eifer eines Gelehrten, der seinen Gegenstand erörtert. Er war offenbar seiner Sache gewiß und sah mich nicht im mindesten ernsthaft, sondern mit der liebenswürdigsten Neugierde an.
»Was macht so die meisten Ehen unglücklich?« wiederholte er, »verstehen Sie mich, Bruder?«
Ich sagte irgend Etwas, was man so gewöhnlich sagt.
Er unterbrach mich, entschuldigte sich und sprach weiter.
»Verzeihen Sie, aber das haben Sie aus den deutschen Büchern. Es ist so. Sie lesen sie gerne, das möchte ich glauben, ich auch, aber man bekommt so Ideen, so Phrasen – nun Sie verstehen mich ja. – Da könnte ich auch sagen: »Meine Frau war mir nicht genug,« oder »sie hat mich nicht verstanden« und »wie das furchtbar ist, wenn man so nicht verstanden wird,« wie ich so ein ganz origineller Mensch bin, so ein Original, wie ich so ganz originelle Gedanken habe und so ganz originelle Gefühle und wie ich mich so enttäuscht sehe und keine Frau finde, die mich versteht, aber doch immerfort suche – solche Phrasen wissen Sie – das ist aber Alles erlogen, Alles erlogen! Ueberhaupt, mein Bester, haben Sie schon bemerkt, wie eigentlich jeder Mensch ein Lügner ist? Nur gibt es zwei Arten und darnach kann man die Menschen eintheilen, in solche, welche andere belügen, das sind die materiellen Menschen, von denen man so in den Büchern liest und dann die Idealisten, wie die Deutschen sie nennen – die sich selbst belügen.«
Ich gestehe es, der Mann begann mich immer mehr zu interessieren.
Er trank noch ein Glas Tokai und war vollends im Fluß. Seine Augen schwammen, seine Zunge schwamm, seine Worte floßen nur so.
»Nun Herr, was macht die Ehe unglücklich?« sagte er und legte seine Hände auf meine Achseln, als wolle er mich an sein Herz drücken – »denken Sie sich, Herr – die Kinder!«
Ich war überrascht.
»Aber lieber Freund,« sagte ich, »sehen Sie einmal diesen Juden an, wie elend er da lebt und sein Weib – würden sie nicht auseinanderlaufen wie Hunde, wenn nicht die Kinder wären und die Liebe zu den Kindern?«
Er nickte eifrig mit dem Kopfe und hob die Hände flach gegen mich empor, als wollte er mich segnen. »So ist es, so ist es, Bruder! Das eben, das allein, – das, das! – Hören Sie nur meine Geschichte.
Ich war so ein Bursche, was soll ich Ihnen sagen, ein Tölpel. Ich fürchtete mich vor den Frauen. Wenn ich zu Pferde war, da war ich ein Mann. Oder ich nahm die Büchse und ging durch das Feld, in den Wald, in das Gebirge – ich will Ihnen aber keine Anekdoten erzählen von meinen Jagden – genug, wenn ich dem Bären begegnete, ließ ich ihn ganz nahe kommen und sagte nur: Hopp Bruder! – da stand er auf, daß ich seinen Athem fühlte und ich schoß ihn, gerade auf den weißen Fleck hin, in die Brust. Aber wenn ich ein Weib sah, ging ich aus dem Wege. Sprach sie mich an, wurde ich roth, stotterte – so ein Tölpel, wissen Sie. Ich meinte immer noch, ein Weib habe nur längeres Haar als wir und längere Kleider und das sei Alles. So ein Tölpel! Sie wissen ja, wie man bei uns ist. Nicht einmal die Dienstleute sprechen so von diesen Sachen, man wächst auf und es kommt einem der Bart beinahe und man weiß nicht warum einem das Herz schlägt, wenn man so ein Weib sieht. So ein Tölpel! sag’ ich Ihnen.
Da meinte ich, ich hätte Amerika entdeckt oder wenigstens einen neuen Planeten, wie ich endlich wußte. – Bedenken Sie nur, daß die Kinder nicht aus dem Wasser gezogen werden, wie die Krebse. Gut. Da verliebte ich mich auf einmal. Ich weiß selbst nicht wie. – Aber ich langweile Sie, gewiß?«
»Nein, ich bitte –«
»Gut. Ich verliebe mich. Da hatte mein seliger Vater, da hatte er so eine Idee, uns tanzen zu lassen, nämlich meine Schwester und mich. Da kam so ein kleiner Franzose mit seiner Geige und dann kamen die Gutsbesitzer aus der Nähe mit ihren Söhnen und Töchtern. Es war eine lustige Gesellschaft so von Nachbarn. Jeder kannte den andern und war guter Dinge, nur ich zitterte am ganzen Leibe. Mein kleiner Franzose aber besinnt sich nicht, stellt seine Paare auf wie’s ihm einfällt, erwischt mich beim Ermel und erwischt auch ein Fräulein von unserem Nachbarn, ein Kind sag ich Ihnen. Sie stolperte noch über ihr Kleid und hatte blonde Zöpfe bis hinab.
Da standen wir nun und sie hielt meine Hand – denn ich – ich war Ihnen todt; so tanzen wir. Aber ich sehe sie gar nicht an, nur unsere Hände brennen so ineinander. Bis zuletzt, da heißt es: »Messieurs!« – Man tritt vor seine Dame, klappt die Absätze zusammen, läßt den Kopf auf die Brust fallen, wie wenn er abgehackt wäre, macht seinen Arm krumm, nimmt sie bei den Fingerspitzen und küßt die Hand. Das Blut schoß mir zu Kopfe. Sie machte nur so einen Knix und wie ich meinen Kopf hob. da war sie ganz roth und hatte Augen – was für Augen!«
Er schloß die seinen und lehnte sich zurück.
»Bravo, Messieurs!« ich war erlöst. Von da an tanzte ich nicht mehr mit ihr.
Sie war die Tochter eines Nachbars. Schön! – was soll ich Ihnen sagen – schön! so vornehm, möchte ich sagen. – Jede Woche war eine Tanzstunde. Ich sprach nicht einmal mit ihr, aber wenn sie so den Kosak tanzte, den Arm zierlich eingestemmt, stachen meine Augen nur so in sie und sah sie dann auf mich, pfiff ich wohl und drehte mich auf dem Absatz um. Die anderen