»Warum hat der alte Mike bloß keinen Spion in diese blöde Tür eingebaut?«, flüsterte der dürre Soldat durch das dämmrige Licht.
Sie traten nun durch die Luke und zogen sie sorgfältig hinter sich zu. Dann standen sie eingeschlossen in einem kleinen Raum, durch den eine Reihe dicker Rohre mit Ventilen liefen. Vor ihnen am Boden lag ein schwerer Eisenrost: der Einstieg in den Abwasserkanal. In der Enge hallte das Plätschern der Tropfen wider und vereinte sich mit dem Quieken der Ratten, die durch die labyrinthische Kloake unter ihnen wuselten.
Wegen der dürftigen Lichtverhältnisse sah man die Metalltreppe nach oben kaum, doch die Zwei waren schon so häufig hier gewesen, dass sie genau wussten, wo sie aufragte und wie behutsam sie auf die wackligen Stufen treten mussten.
Langsam und leise begannen sie ihren Aufstieg in die tote Welt an der Oberfläche.
Kapitel 2
Sierra Leone, Westafrika, zwölf Jahre früher
Ratterndes Maschinengewehrfeuer pflanzte sich weiter durch das üppig grüne Tal fort, getragen vom Wind und zurückgeworfen von den niedrigen Hügeln zu beiden Seiten des Flusses.
Der Angriff war vorüber.
Die erschütternd lauten Explosionen durchschlagender Sprengstoffe, das abwechselnd helle und dumpfe Knallen der Schüsse, wenn sie losbrachen oder ihr Ziel trafen, sowie die anhaltenden, qualvollen Schreie der Sterbenden wurden von Siegesjubel und vor Freude in die Luft abgegebener Salven aus Kalaschnikow-MGs abgelöst.
Männer riefen einander mit aufgeregten Stimmen etwas zu und bellten Befehle, während die Rebellen das verwüstete Dorf durchstreiften und die verbliebenen Hütten auf den Kopf stellten, die noch nicht eingestürzt, sondern den Verheerungen des kurzen, aber brutalen Gefechts entgangen waren.
Die selbstbewussten Rebellen, ein bunter Haufen in nicht zueinanderpassenden Militäruniformen und Zivilkleidung, stolzierten überheblich durch die Verwüstung und suchten die Trümmer nach allem ab, was sich noch verwenden oder verkaufen ließ.
Den Grund dafür, warum sie überhaupt kämpften, bedachten sie dabei niemals, und ihre Grausamkeit fand kein Ende. Ihre Befehlshaber setzten sie gemeinhin auf eine Offensive an, und sie gehorchten, ohne je etwas zu hinterfragen. Warum es geschah, war für sie bedeutungslos, ganz im Gegensatz zu ihrer Gier nach Blut und Beute.
Bei den Rebellen handelte es sich nicht um Soldaten; sie besaßen keinerlei militärische Fertigkeiten oder Kenntnisse, und viele von ihnen waren schon als Kinder aus Dörfern oder Städten entführt worden, genötigt zu kämpfen und um Gräueltaten zu verüben. Ihre Kommandanten, die Warlords, hielten sie mit Drogen und dem Versprechen bei der Stange, sie zu belohnen – eine Hirnwäsche, die sie verwildert und im Angesicht des Leides, das sie verursachten, gleichgültig gemacht hatte. Ihnen ging es um nichts anderes als ums Plündern, Vergewaltigen und Morden.
Jetzt waren sie berauscht vor Begeisterung über ihren Erfolg, hielten sich für tapfere, hehre Krieger im Kampf für eine Sache, die es rechtfertigte, jeden abzuschlachten, den sie als Gegner ansahen.
Während ihres Beutezugs stimmten sie Sprechchöre und Gesänge an, feuerten weiter mit ihren Gewehren in die Luft und beanspruchten einen ruhmreichen Sieg gegen ihren Feind für sich. Auch hinterher, wenn die Wirkung des Cocktails aus Drogen und Adrenalin in ihrem Blut schließlich nachließ, wenn die Angst, die durch ihre Körper geströmt war, dem Stolz wich, erkannten sie ihn nicht – empfanden ihn nicht, den Schmerz und Kummer, den sie in dem einst so friedlichen Dorf verbreitet hatten.
Sie suchten die Erde mit gelbstichigen, glänzenden Augen nach ihrer Belohnung ab, ohne auf die verstümmelten Leichen zu achten, die ringsherum lagen: Männer, Frauen und Kinder in ihrem noch warmen Blut, niedergemetzelt wie Nutzvieh.
Als ihr Befehlshaber im Lastwagen hupte, galt ihnen dies als Zeichen zum Aufbruch. Frohen Mutes kehrten die Rebellen zu ihren Fahrzeugen zurück, wobei sie ihre Beute und zwei gefesselte Weiße hinter sich herschleiften. Sie traten die Gefangenen und schrien sie an, noch während sie diese auf die Ladefläche des Lasters wuchteten, teilten Schläge mit ihren Fäusten oder Gewehrkolben aus, bis die Männer zusammenbrachen, blutüberströmte Häufchen Elend aus angeschwollenem Fleisch.
Die Motoren heulten auf, und die großen Reifen wirbelten Staubwolken auf, einen Schleier vor ihrer Abfahrt aus der Gegend, woraufhin ihre feierlichen Schüsse stetig leiser wurden. Zurück blieb nur noch ein Bild der Vernichtung.
Die Rebellen verließen das Dorf mit ihrem Raubgut.
Ätzender schwarzer Qualm stieg im heißen Wind empor, der zwischen den Ruinen der Hütten und der kleinen Gehöfte wehte, verdeckte den blutgetränkten Boden, die Zerstörung und den Schrecken, der sich nur wenige Augenblicke zuvor hier abgespielt hatte. Die verklingenden Schüsse begleiteten das Prasseln der Flammen, während sich die Feuersbrunst weiter ausbreitete und alles verschlang, worauf sie traf.
Lautes Sirren erklang, als Tausende aasfressende Insekten begierig über der zerrütteten Siedlung hinabstiegen, um sich an den Leichen der Dorfbewohner gütlich zu tun.
Kein Gebäude blieb von der Auseinandersetzung unbescholten. Behausungen wie Gemeindestätten lagen in Trümmern, ihre Dächer waren eingestürzt, und die leckenden Flammen verzehrten in einem fort alles, was sie erfassten. Einige Wände aus Lehmziegeln, die stehen geblieben waren, glühten und zerfielen langsam aufgrund der starken Hitze.
Ein zurückgelassenes Fahrzeug – eines der vielen, mit denen die blutrünstigen Rebellen in dem ahnungslosen Ort eingefallen waren, stand schwelend am Rand. Seine Stahlkarosserie war verbogen und von Kugeln durchlöchert worden, ein Opfer des erbitterten Feuergefechts, das die Kämpfenden abgehalten hatten.
Immer noch am Lenkrad saß die bis auf die Knochen verkohlte Leiche einer der Aggressoren. Seine Finger klammerten sich noch immer ans Steuer, während sein schwarzer grinsender Schädel mit leeren Augenhöhlen auf die erbärmlichen Reste des Dorfes starrte.
Unzählige Körper lagen verstreut herum, teilweise aber auch dicht nebeneinander auf dem Gelände. Familien, die gemeinsam gestorben waren, als reglose Haufen am Boden, noch so aneinandergeklammert, wie sie es kurz vor ihrem Tod getan hatten. Andere waren allein gefallen, ohne sich in den letzten Momenten ihres Lebens an jemandem festhalten zu können, niedergemetzelt und massakriert von jenen erbarmungslosen Monstern, die beim Hinrichten eines jeden, der ihnen in die Hände gefallen war, gelacht und gesungen hatten.
Das Ausmaß des Blutbads und die Zahl der schrecklichen Wunden, die sie erlitten hatten, zeugten vom geteilten Leid dieser unglückseligen Menschen.
Niemand war verschont worden.
Die Kinder des Dorfes hatten das gleiche Schicksal wie ihre Eltern erlitten: Sie waren rigoros erschossen, mit Macheten zerstückelt oder mit Knüppeln erschlagen worden. Niemand hatte ihre Schreie des Entsetzens und Schmerzes oder ihr Flehen um Gnade erhört, während ihre Peiniger vergewaltigend und mordend in einer Orgie des Blutes durch den Ort gepflügt waren.
An der Kreuzung in der Mitte lagen vier nackte, hellhäutige Leichen im Sand. Ihre enthaupteten Körper wurden in der Mittagssonne erwärmt, während ihr Blut ringsherum in die Erde sickerte.
Es handelte sich bei ihnen um britische Soldaten.
Sie waren offensichtlich dem Hagel der Gewalt zum Opfer gefallen, hatten jedoch verbissen gekämpft, um die wehrlosen Dorfbewohner vor den Angreifern zu verteidigen. Auch diese hatten nicht wenige Verluste im Zuge des Kampfes zu beklagen, doch die Soldaten waren zuletzt doch unterlegen gewesen. Als ihre Munition zu Neige gegangen war, hatten sie sich mit aufgesteckten Bajonetten und bloßen Händen gegen die gnadenlosen Rebellen zur Wehr gesetzt, aber schließlich doch einer nach dem anderen versagt.
Jetzt lagen sie niedergemetzelt da, ein wirklich würdeloser Anblick. Die Rebellen hatten sie ihrer Ausrüstung, Kleider und persönlicher Habseligkeiten beraubt und alles als Kriegsandenken davongetragen.
Vor