Die wichtigsten Werke von Johann Karl Wezel. Johann Karl Wezel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Karl Wezel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222193
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zu bringen, und daß alsdann Selmann ein Frauenzimmergesicht erblickte, dessen Reiz und Anmut durch eine schmelzende Traurigkeit unwiderstehlich wurde. – So ginge es gewiß in einem gewöhnlichen Romane zu; aber in meiner Geschichte nimmt die Sache eine andre Wendung. – Der Wirt bringt kein Licht, und Selmann bleibt also von den unwiderstehlichen Reizungen eines traurigen Frauenzimmergesichts unangefochten. Was hilft ihm aber das? Entwischt er gleich den Qualen der Liebe, so hat doch seine Menschenfreundlichkeit ihm einmal eine Wunde geschlagen, die so sehr schmerzt als der Pfeil der Liebe; er war gerührt; er wollte dieser fremden Unglücklichen helfen und wußte nicht wie. Eine traurige Lage für ein empfindendes Herz! – Endlich brach er mit vollem Strome der Empfindung in die Frage aus: »Was kann ich tun, Madam? Reden Sie! Befehlen Sie! Alles, was in meiner Gewalt steht, wage ich für Sie.« – Dies sagte er mit einer ungeduldigen Hitze.

      »Sie sind zu gütig!« war die Antwort. »Wenn ich Sie bemühen dürfte – doch nein! das hieße Ihre Güte mißbrauchen –«

      »Reden Sie! Ohne Umstände!«

      »Wenn ich Sie bemühen dürfte, mit mir auf meine Stube zu kommen, und – Ihr großmütiger edler Ton läßt mich hoffen, daß Sie mir wenigstens vergeben werden, wenn Sie mir auch meine Bitte versagen – und mir eine Schwester bereden helfen, mich meinem Schicksale zu überlassen. Sie begleitet mich bei der Aufsuchung meines Mannes; sie liebt mich so übertrieben – ich muß es so nennen! –, daß sie von Mann und Kindern flieht, um meinen Schmerz mit mir zu teilen. Wenden Sie alle Ihre Beredsamkeit an, Sie zur Zurückkehr ihrer Familie zu bewegen. Wenn Sie nicht der sind, den ich liebe, den ich suche, so sein Sie wenigstens mein Tröster, mein Ratgeber! Ihr edles empfindendes Herz ...«

      »Madam, ich leide unendlich für Sie. Führen Sie mich, wohin Sie wollen! Fodern Sie, was Sie wollen! Ich folge Ihnen, ich versuche es.«

      »Großmütiger Mann! So kommen Sie dann – Doch ich muß mich schämen! nach einer so kurzen Bekanntschaft Ihnen schon so viel zuzumuten! – Nein, Ihr Edelmut –«

      »Um des Himmels willen, keine Bedenklichkeiten! – Wo ist Ihre Stube?«

      Und so faßte er sie bei der Hand, führte sie zur Tür hinaus und wanderte nach ihrer Stube zu.

      Und Tobias? – Die ehrliche Seele hatte genug mit sich zu tun, um Leib und Geist in erträglichem Zustande beisammen zu erhalten, und war daher nichts weniger als vermögend, an der vorhergehenden Szene lebhaften Anteil zu nehmen. Gewisse Leute, bei denen die Empfindung mehr in der Seele als in dem Körper sitzt, mehr in jene durch erlernte Grundsätze und Nachahmung hineingepflanzt als in diesem von Natur aufgewachsen ist und deswegen, wie eine durch die Kunst gereifte Frucht, innerhalb der Mittelmäßigkeit bleibt – diese Leute, unter welche auch Tobias gehört, bedürfen einer besonders günstigen Disposition des Körpers, um in Empfindungen gesetzt zu werden. Wenn ihr Magen und folglich auch der Kopf – denn beide sind geschworne Freunde, was einer tut, äfft der andre nach – bei böser Laune sind, so kann kein Stachel tief genug in das Herz dringen, um es zu verwunden; es ist ein schlaffes Tuch, das jedem Stiche nachgibt. – Diese Verfassung des Magens – da er einen ganzen Tag auf einem Pferde mit dem unsanftesten Schritte, in holprichten Wegen herumgerüttelt, zweimal vom Pferde geworfen worden und einmal in die unseligste Aufwallung des Zorns geraten war – alles heftige Bewegungen, die einen großen Aufwand am Blute erfodern! – die daher entstehende Verfassung des Magens, sage ich, muß ihn bei jedem billigen Beurteiler hinlänglich entschuldigen, daß er bei jenem rührenden Vorgange in der Ecke stund, sich anfangs fürchtete, dann wieder beruhigte, Selmannen und der Unbekannten nachfolgte, als sie gingen, und da ihn diese ihre Tür vor der Nase zuschloß, mit einer der Verwunderung ähnlichen Miene drei Minuten lang vor der Türe stehenblieb, dann langsam in seine Stube zurückging, sich auf dem Boden auf gut kynisch ausstreckte und – schlief.

      Nach einiger Ruhe wurde er aufgeweckt. Als er die Augen aufschlug, fand er die Stube helle, einen Stuhl, einen Tisch, ein Licht darauf und – was er in der Zeitordnung zuerst bemerkte – nach aller wahrscheinlichen Vermutung des Geruchs ein ganz gutes Essen dabei, das er auch, sobald er aufstund, in natura erblickte, worauf ihn der Mann, der ihn aufgeweckt hatte, berichtete, daß er essen sollte, und fortging.

      Das ist ein Feenschloß! Der Mann, der ihm diese erfreuliche Szene öffnete – wenn er ihm doch nach dem Rücken gesehn hätte! – gewiß ein bucklichter Zwerg! ein verwandelter Liebhaber! – Ei, ei! mein Held von Feen gespeist, bedient! Wie leicht könnte seinem Geschichtsschreiber von dieser Ehre etwas zugute kommen!

      Aber wie mag das nur zugehen? – Wenn er vielleicht gar in den Palast der Circe geraten wäre? – So muß er ein Ulysses werden! und – ich hüpfe! ich schreibe dann eine Odyssee und werde zu Wasser und Lande unsterblich wie Homer!

      Zwar – man zerbreche sich doch nie bei Sachen, die auf diesem Erdenrunde vorgehen, die Köpfe, um ausfündig zu machen, wie es zugeht. Der Ausgang wird es lehren, spricht, deucht mich, Salomo, der Weise, und diesen erwartete Tobias so weise als ein Salomo, bis sein ganzer Tisch abgespeist war. Er sah sich um und erblickte eine Streu mit Betten, für ihn so einladenden Betten, daß er den Ausgang noch länger zu erwarten beschloß und aller Unruhe über seine Verzögerung gute Nacht gab.

       Inhaltsverzeichnis

      Wie gesagt! – es ist nichts Neues unter der Sonne! Man forsche nicht neugierig, sondern erwarte wie Tobias, der Weise, gelassen den Ausgang. Wenn meine Leser diesem Beispiele folgen wollten, so brauchte ich itzt eine Menge nicht zu erzählen – doch sie hören ja gern erzählen! – Also sei es!

      Die unbekannte Verlaßne, die im vorigen Absatze bei völliger Dunkelheit mit Selmannen auf das Theater trat und sich deswegen vergriff und irrigerweise ihren Mann in ihm zu finden dachte, war nebst ihrer vorgeblichen Schwester – was dächte man? – ein Frauenzimmer, das richtig alle Messen besuchte, um mit ihren Reizen und ihrem Verstande zu wuchern. Nach dieser Ankündigung läßt sich leicht schließen, daß ich keine gemeine Buhlschwester darunter gedacht wissen will; sie war es auch nicht. Nicht jedem bot sie sich feil, nicht jedem überließ sie sich, der die Gebühren bezahlte; nein, sie hatte ein außerordentlich feines Point d'honneur. Niemand wurde in ihre Gegenwart gelassen, der unter zweitausend jährliche Einkünfte hatte, und niemanden betrog sie unter hundert Dukaten. – Zwar, was sage ich? – betrog sie? – Wenn sie das hörte! Sie schoß aus ihren pechschwarzen Augen einen Blitz auf mich, der manchem Menschenherze schon so gefährlich gewesen ist, und machte mich wohl gar zur Strafe in sich – verliebt? – Ich sitze ja hier hinter lauter Büchern, dem Plato, Xenophon, Antonin, die werden mich schon schützen.

      Um aber doch ihre Delikatesse zu schonen, sei es hiermit gesagt, daß sie nicht betrog, sondern hinterging und sich, was ihr nicht zu verdenken war, für ihre Mühe reichlich bezahlen ließ. Sie verdiente es auch; denn sie machte bei jeder Beute, die sie haschen wollte, einen so großen Aufwand von Verstand, Witz und den übrigen dichterischen Talenten als Shakespeare und alle seine Brüder und Zunftgenossen. Jedes ihrer verliebten Spiele war eine nach einem durchdachten Plane ausgeführte Komödie oder Tragödie, wobei sie selbst die Hauptrolle und meistens meisterlich spielte. Nie hatte sie eine von den gemeinen Absichten dieser Sirenen, die aus Gewinnsucht oder Wollust unbesonnene Mannspersonen verführen. Sie hätte sich selbst gehaßt, wenn sie so unedle Triebfedern bei sich entdeckt hätte. Ihr Ehrgeiz ging viel höher; sie wollte dem männlichen Geschlechte seine Schwachheit und die Überlegenheit des ihrigen fühlen lassen. Daher wählte sie jederzeit einen hartnäckigen tapfern Gegner, wo ihr der Sieg schwer für ihre eigne Tapferkeit desto rühmlicher war. Nie suchte sie unbedachtsame Jünglinge oder ausschweifende Männer ins Netz zu locken; ja, sobald sie an einem den geringsten Schein von Liederlichkeit bemerkte, so wurde er als ein untüchtiges Subjekt für sie angesehen, und wenn diese Bemerkung erst geschah, da sich die Aktion schon angefangen hatte, so brach sie sogleich mitten in der Ausführung ihres Plans ab und ließ den Unwürdigen, nach einer hinlänglichen Geldstrafe, aus dem Felde ziehn. Ihre Anbeter, an denen sie ihre weibliche Fechterkunst zeigte, mußten Männer von der bewährtesten Tugend, der aufgeklärtesten Vernunft und der geprüftesten Aufführung sein. Die männliche