Ich wunderte mich, was hinter diesem »auch so« wohl steckte, aber Magda war nicht errötet.
Sie fuhr fort: »Soweit kenne ich die Menschen doch, dass ich sagen kann: Herr Heinze ist ein innerlich vollkommen sauberer, anständiger Mann, auf den ich mich jetzt blindlings verlasse. Und wenn du mich für vertrauensselig hältst, Erwin, so genügt dir vielleicht der Beweis aus unseren Büchern: Wir haben unseren Umsatz in diesem Herbst um das Anderthalbfache gesteigert. Das wäre doch wohl kaum der Fall, wenn Herr Heinze uns die Kunden weggeschnappt hätte!« Sie sah mich mit triumphierenden, freudeglänzenden Augen an.
Ich sagte eisig: »Die Zahlen allein beweisen auch noch nichts. Du sagst, die Ernte war gut, und das Wetter war einem frühen Drusch bestimmt günstig, da kann der Umsatz für eine kurze Zeit sehr wohl steigen und einem dabei doch Kunden verlorengehen … Übrigens, ich erinnere mich gar nicht, war dieser Heinze nicht verheiratet?«
»Doch!« nickte Magda. »Aber er ist seit einem Jahr geschieden.«
»Soso«, antwortete ich möglichst gleichgültig. »Also geschieden. – Natürlich schuldig geschieden?«
»Wie du auch fragen kannst!«, rief Magda beinahe zornig. »Ich habe dir doch gesagt: Er ist ein ganz sauberer Mann. Natürlich lag die Schuld auf der anderen Seite!«
»Natürlich …«, wiederholte ich ein wenig spöttisch. »Entschuldige nur, du bist ja direkt begeistert von diesem Mann, Magda!«
Einen Augenblick zögerte sie, dann antwortete sie mit fester Stimme: »Das bin ich auch, Erwin!«
Wir sahen uns eine lange Zeit stumm an. Viel Ungesagtes lag in der Luft. Selbst Oberwachtmeister Fritsch hatte was gemerkt, er hatte sich auf seinem Stuhl vorgelehnt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, und betrachtete uns beide gespannt. Übrigens war die übliche Sprechstundenzeit längst überschritten.
62
»Hast du die Scheidung schon eingeleitet?«, fragte ich schließlich mit leiser Stimme.
»Ja«, antwortete sie ebenso leise. »Gestern …«
Wieder trat tiefe Stille zwischen uns ein. Plötzlich sahen wir uns beide nach dem Oberwachtmeister Fritsch um, der mit einem Ruck von seinem Stuhl aufgestanden war und mit seinen Schlüsseln klapperte.
»Na ja«, sagte er fast verlegen, »eigentlich ist die Sprechzeit rum, aber meinetwegen – noch zehn Minuten.« Und er ging zum Fenster, wo er uns ostentativ den Rücken kehrte.
»Erwin«, flüsterte Magda hastig, »ich habe lange mit mir gekämpft, es kam mir so schlecht vor, dich in dieser Lage im Stich zu lassen. Aber dann, als ich vom Medizinalrat hörte, dass deine Sache gut steht, dass du vielleicht schon in Kürze entlassen wirst …«
Sie sah mich flehend an, aber ich schwieg. Ich half ihr mit keinem Wort, in mir herrschte ein verzweifelter, wilder Zorn über diese Verräterin.
»Wir wollen es alles so einrichten, wie du es wünschst, Erwin«, fuhr Magda noch hastiger fort. »Willst du das Geschäft wieder übernehmen, gut. Wir sind auch bereit, ganz von hier fortzuziehen, Heinrich, ich meine Herr Heinze, will dir dann auch sein Geschäft abtreten. Sieh mich doch nicht so an, Erwin, es hilft doch nichts! Wir waren uns doch innerlich längst ganz fremd geworden, denke doch zurück an diese schrecklichen Zeiten, wo wir uns immer nur stritten! Es ist doch besser, wir trennen uns …?«
Ich schwieg noch immer; also daher dieses neue Kostüm, diese frische Farbe, der warme zitternde Unterton der Stimme! Ein neuer Mann – und schon gurrt das verliebte Täubchen! Den Mann ins Kittchen gebracht – und nun kommt der andere mit der »inneren Sauberkeit«, der Hochanständige, dem sie blindlings vertraut! Ich sah aufmerksam auf ihren weißen, schon ein wenig fett werdenden Hals; der Kehlkopf bewegte sich, die Gute verschluckte, von den eigenen Worten gerührt, wie man so sagt, ihre Tränen. Ich hätte diesen Hals so gerne mit meinen Händen umspannt, und ich hätte ihn, das schwöre ich, trotz aller Fritsches nicht wieder losgelassen! Aber ich hütete mich wohl, nur wenige Tage trennten mich noch von der Freiheit. Sie wollte ich nicht allein treffen, da blieb dieser andere, der Hochanständige, der die Schamlosigkeit besaß, einem kranken Mann die Frau zu stehlen!
Sie sah mich noch immer an, und als sie nun wieder zu sprechen anfing, war der Ton ihrer Stimme kälter geworden, sie bat mich nicht mehr. Um ihren Mund lag ein Zug von Entschlossenheit, selbst Härte. »Du siehst mich immer nur an und sagst kein Wort«, begann sie wieder. »Ich sehe es wohl, in deinen Augen droht etwas Schreckliches. Aber das kann mich nicht beirren, nichts kann mich mehr beirren. Einmal in meinem Leben will ich Glücklichsein kennenlernen. Ich habe dir so viele Jahre geopfert, deiner Schwäche, deinem Eigensinn, deinem unsinnigen Dünkel und Menschenhass und dem vor allem, was du deine Liebe nennst! Das ist eine seltsame Art von Liebe, die ich nur zu spüren bekam, wenn du Forderungen hattest – aber nie durfte ich welche haben! Nein, davon habe ich genug …«
Sie hätte wohl noch weiter so geredet, aber auch ich hatte genug, von diesen Tiraden nämlich. Nachdem das Ködern durch Süße misslungen war, sollte ich nun durch den Hass zermalmt werden. Ich beugte mich weit über den Tisch und spie ihr mitten ins Gesicht. »Ehebrecherin …!«, rief ich.
Bei diesem lauten Ausruf drehte sich der Oberwachtmeister Fritsch am Fenster rasch um und starrte einen Augenblick maßlos verblüfft auf dies Bild, das sich ihm bot: ich, über den Tisch gelehnt, der Magda mit verächtlichem und drohendem Blick ansah, und meine ehemalige Frau, die keine Bewegung machte, den über die totenbleiche Wange laufenden Speichel abzuwischen, sondern die meinen Blick unverwandt erwiderte, aus der tiefsten Tiefe ihrer braunen Augen heraus. Und während wir uns so ansahen, war mir, als dränge ich mit meinem Blick tief in diese Frau ein, versänke den Bruchteil einer Sekunde in ihr, erspürte einen Menschen, den ich nie gekannt …
Dann war das vorbei, denn der Oberwachtmeister Fritsch hatte mich bei den Schultern gepackt und schüttelte mich wütend. »Sie unverschämter Flegel!«, schrie er. »Wie können Sie sich so etwas erlauben? Dem Medizinalrat werde ich Sie anzeigen! Das ist eine anständige Frau, verstehen Sie?« Und er schüttelte mich wieder mit all seinen Kräften, dass mein Kopf haltlos hin und her flog.
»Lassen Sie den Mann los, Herr Wachtmeister!«, sagte Magda mit tiefer, völlig erschöpfter Stimme. »Er hat vollkommen recht: Ich bin eine Ehebrecherin.« Einen Augenblick hielt sie ein, als überlege sie etwas. Dann wandte sie sich mir zu, ihr Auge leuchtete wieder, wieder hatte ihre Stimme Klang. »Und ich bin froh darüber, dass ich es tat!«, sagte sie mir ins Gesicht.
Dann ging sie langsam aus dem