»Wer ist denn das?«
»Ach, so Leute … Aber wenn ich denke, ich haue mit zwei Koffern voll Wäsche ab und lasse hier einen Koffer mit Geld und Schmuck stehen, dann möchte ich mir selbst den Kopf abbeißen. Ein bisschen musste mich noch suchen lassen. Prost, Enno!«
»Prost, Emil! Warum sollste nich noch ein bisschen suchen? Die Nacht ist lang, und wir bezahlen die Lichtrechnung doch nicht. Aber was ich dich fragen wollte: Wo willst du denn mit deinen Koffern hin?«
»Wieso? Was meinste denn damit, Enno?«
»Na, wo du die hinbringen willst? Wohl in deine Wohnung?«
»Na, denkste, ich schaff sie aufs Fundamt? Klar schaff ich die in meine Wohnung, bei meine Otti. Und morgen früh nischt wie ab damit in die Münzstraße und die ganze Sore verscheuert, damit der Vogel wieder zwitschert!«
Enno ließ den Korken am Flaschenhals zwitschern. »Hör mal lieber, wie der Vogel zwitschert! Prost, Emil! Ich, wenn ich du wäre, ich machte das nicht wie du, in die Wohnung und überhaupt bei die Frau – was braucht die Frau von deinen Nebeneinnahmen zu wissen? Nein, ich, wenn ich du wäre, ich machte es wie ich, nämlich, ich gäbe die Koffer auf dem Stettiner in die Gepäckaufbewahrung, und den Hinterlegungsschein, den schickte ich mir selbst, aber postlagernd. Dann könnte nie was bei mir gefunden werden, und keiner könnte mir was beweisen.«
»Das hast du dir nicht unflott ausgedacht, Enno«, sagte Barkhausen beifällig. »Und wann holste dir den Kram wieder?«
»Na, wenn die Luft wieder rein ist, Emil, denn doch!«
»Und wovon lebste so lange?«
»Na, ich hab dir doch gesagt, ich gehe bei die Tutti. Wenn ich der erzähle, was ich für ’n Ding gedreht habe, nimmt sie mich liebend mit beiden Backen auf!«
»Gut, sehr gut!«, stimmte Barkhausen zu. »Und wenn du auf den Stettiner gehst, mach ich auf den Anhalter. Weißte, das fällt weniger auf!«
»Auch nicht schlecht ausgedacht, Emil, hast auch ein helles Köpfchen!«
»Man kommt unter Leute«, sagte Barkhausen bescheiden. »Man hört dies und das. Der Mensch ist wie ’ne Kuh, er lernt immer noch zu.«
»Recht haste! Na, denn prost, Emil!«
»Prost, Enno!«
Eine Weile lang betrachteten sie sich schweigend, mit wohlgefälligem Auge und nahmen ab und zu einen. Dann sagte Barkhausen: »Wenn du dich umdrehst, Enno, es braucht aber nicht gleich sein, hinter dir steht ein Radio, der hat mindestens seine zehn Röhren. Den möchte ich mir gerne einpacken.«
»Das mach, das tu, Emil! Radio ist immer gut, zum Behalten und zum Verkaufen! Immer ist Radio gut!«
»Na, denn wollen wir mal sehen, ob wir das Ding in einen Koffer verstauen können, und dann stopfen wir Wäsche rundherum.«
»Soll das gleich sein, oder trinken wir noch einen vorher?«
»Einen können wir vorher noch genehmigen, Enno. Aber nur einen!«
Also genehmigten sie einen und einen zweiten und einen dritten, und dann kamen sie langsam auf die Beine und mühten sich damit ab, einen großen Zehnröhren-Radioapparat in einen Handkoffer zu packen, der einen Volksempfänger gefasst hätte. Nach einer Weile angestrengten Arbeitens sagte Enno: »Es geht nich und es geht nich! Lass den ollen Scheißradio doch sein, Emil, nimm lieber ’nen Koffer mit Anzügen!«
»Meine Otti hört aber gerne Radio!«
»Ich denke, du willst deiner Ollen von dem ganzen Geschäft nichts erzählen? Du bist ja blau, Emil!«
»Und du und deine Tutti? Ihr seid ja alle beide blau! Wo haste denn deine Tutti?«
»Die zwitschert! Ich sage dir, und wie die zwitschert!« Und er lässt wieder den feuchten Korken am Flaschenhals zwitschern. »Nehmen wir noch einen!«
»Prost, Enno!«
Sie trinken, und Barkhausen fährt dann fort: »Aber den Radio, den möchte ich doch mitnehmen. Wenn das olle Dings durchaus nicht in den Koffer rein will, häng ich mir den Kasten mit einem Strick vor die Brust. Dann habe ich die Hände immer noch frei.«
»Das mach, Mensch. Na, denn wollen wir mal zusammenpacken!«
»Ja, das wollen wir. Wird Zeit!«
Aber sie bleiben beide stehen und starren einander blöde grinsend an.
»Wenn man denkt«, fängt Barkhausen dann wieder an, »es ist doch ein schönes Leben. All diese guten Sachen hier«, er nickt mit dem Kopf, »und wir können uns nehmen, was wir wollen, und tun noch direkt ein gutes Werk, wenn wir’s so ’ner Jüdschen fortnehmen, die doch alles gestohlen hat …«
»Da haste recht, Emil – ein gutes Werk tun wir, am deutschen Volk und unserm Führer. Das sind die guten Zeiten, wo er uns versprochen hat.«
»Und unser Führer hält Wort, der hält Wort, Enno!«
Sie betrachten sich gerührt, Tränen in den Augen.
»Was macht ihr denn hier, ihr beide?«, klingt eine scharfe Stimme von der Tür her.
Sie fahren zusammen und erblicken einen kleinen Burschen in brauner Uniform.
Dann nickt Barkhausen dem Enno langsam und traurig zu: »Das ist der Herr Baldur Persicke, von dem ich dir gesagt habe, Enno! Jetzt kommen die Schwierigkeiten!«
8. Kleine Überraschungen
Während die beiden Betrunkenen so miteinander sprechen, hat sich der ganze männliche Teil der Familie Persicke in der Stube versammelt. Zunächst dem Enno und Emil steht der kleine, drahtige Baldur, die Augen funkelnd hinter der scharf geschliffenen Brille, kurz hinter ihnen die beiden Brüder in ihren schwarzen SS-Uniformen, aber ohne Mützen, und nahe der Tür, als traue er dem Frieden nicht ganz, der alte Exkneipier Persicke. Auch die Familie Persicke ist alkoholisiert, aber bei ihr hat der Schnaps eine wesentlich andere Wirkung gehabt als bei den beiden Einbrechern. Sie sind nicht rührselig, dumm und vergesslich geworden, sondern die Persickes sind noch schärfer, noch gieriger, noch brutaler als in ihrem Normalzustand.
Baldur Persicke fragt scharf: »Nun, wird’s bald? Was macht ihr beide hier? Oder ist das etwa eure Wohnung?«
»Aber, Herr Persicke!«, sagt Barkhausen mit klagender Stimme.
Baldur tut, als erkenne er den Mann erst jetzt. »Aber das ist ja der Barkhausen aus der Kellerwohnung im Hinterhaus!«, ruft er ganz erstaunt seinen Brüdern zu. »Aber, Herr Barkhausen, was machen Sie denn hier?« Sein Erstaunen wandelt sich in Spott. »Wär’s nicht besser, Sie kümmerten sich – zumal mitten in der Nacht – ein bisschen um ihre Frau, das gute Ottichen? Ich habe so was gehört, es werden da Feste