»Natürlich. Solch eine günstige Gelegenheit bietet sich nicht alle Tage.«
»Wieso nicht? Parker ist doch nicht der einzige Mann in London, der sich in Chemie auskennt.«
»Er ist im Moment derjenige, der mit Gift Geld verdienen will. Das erspart uns viele Schwierigkeiten. Zudem kann uns sein Chef das Zeug liefern, das wir für die eigene Produktion benötigen.«
»Verstehe ich nicht.« Strickton stopfte sich die Taschentuchenden in die tropfenden Nasenlöcher und nieste diskret.
»Liegt doch auf der Hand, Strickton. Wir brauchen doch nur Doc Snyders Laden auszuräumen und uns irgendwo neu einzurichten. Der Chef ist draufgekommen.«
»Donnerwetter«, sagte Strickton ehrfürchtig, »das ist raffiniert. Damit können wir Geld scheffeln.«
»Das schwebt dem Chef auch vor, Strickton.«
»Haben wir schon die passenden Räume für unsere Giftfabrik?«
»Haben wir. Laß dich überraschen!«
»Wann fahren wir zu Parker?«
»Sobald er zu erreichen ist. Im Moment ist er unterwegs. Ich habe schon ein paarmal versucht, ihn anzurufen. Er antwortete nicht.«
»Hoffentlich hat er sich nicht abgesetzt?«
»Nicht sehr wahrscheinlich. Wo sollte er den Koks denn sonst loswerden?«
»Vielleicht bei Lefty Candels?«
»Glaube ich nicht. Woher sollte er ihn kennen?« Ben Turpins wurde trotz seiner Behauptung nachdenklich.
»Woher hat er von uns gewußt?« fragte Strickton. »Wieso hat er ausgerechnet im ›Dragoon‹ seine Ware angeboten? Das kann kein Zufall gewesen sein.«
»Also schön, schicken wir ein paar Leute zu Candels.« Ben Turpins griff nach dem Telefon. »Sollte Candels uns in die Quere kommen wollen, kann er sich auf was gefaßt machen. Ich warte nur darauf, ihm ein Bein stellen zu können.«
*
Lefty Candels hatte sehr aufmerksam zugehört. Er nippte an seinem unverdünnten Whisky und sah zu den Billardtischchen hinüber, die im Obergeschoß seines Etablissements standen. Candels war der Inhaber dieses alten Gebäudes, in dem sich im Erdgeschoß eine Bar und ein kleines Varieté befanden.
Neben dem Eingang befand sich eine breite Treppe, die hinauf in den Billardsaal und zu den Büro- und Privaträumen des Unternehmens führte. Lefty Candels war der ungekrönte König dieses Hafenviertels. Doch das genügte ihm nicht. Nach Verbüßung einer längeren Haftstrafe war sein Appetit gewaltig gewachsen. Er wollte seinen Einflußbereich weiter ausdehnen und in das ganz große Geschäft vorstoßen.
Lefty Candels war schmal und klein. Rein äußerlich glich er einem Italiener. Seine Manieren konnten sich sehen lassen. Hinter Gittern hatte er an einem Fernkurs für gutes Benehmen teilgenommen. Das zahlte sich jetzt aus. Nichts an ihm erinnerte mehr an den ausgekochten und harten Gangster.
Candels trug mit Vorliebe dunkle Anzüge und diskret gemusterte Krawatten. Sein dunkelbraunes Gesicht war glatt und gepflegt. Seine noch dunkleren Augen drückten eine milde Unterwürfigkeit aus. Im Grunde seines Wesens aber war Candels ein reißender und gefährlicher Wolf geblieben.
»Lassen Sie die Ware mal sehen«, sagte er plötzlich und wandte sich seinem Besucher zu. Daß es sich um Josuah Parker handelte, versteht sich am Rande. Der Butler fuhr zweigleisig. Er sorgte für echte Konkurrenz. Er wollte nicht nur die Koksgangster der India Docks, sondern auch deren Konkurrenz in einem großen Aufwaschen hinter Schloß und Riegel bringen.
Aber noch war es nicht soweit. Parker war damit beschäftigt, die Leimruten auszulegen.
Er griff in seine Westentasche und holte ein kleines Glasröhrchen hervor. Candels griff blitzschnell danach, entkorkte es und schnupperte am weißgrauen Inhalt. Zufrieden nickte er.
»Scheint zu stimmen«, sagte er dann. Nach der Geschmacksprobe nickte er noch mal. »Wieviel davon können Sie besorgen?«
»Das kommt auf Ihr Angebot an.«
»Irrtum, Parker. Das kommt darauf an, wieviel ich haben will!«
»Sie setzen mich in Erstaunen.«
»Sie werden sich gleich noch mehr wundern.« Candels Lippen wurden schmal wie Messerrücken. »Wir werden uns die Ware holen, verstanden?«
»Wie darf ich das verstehen, Mr. Candels?«
»Trottel wie Sie muß man hochnehmen«, argumentierte Candels selbstzufrieden. »Sie haben Ihre Karten zu schnell auf den Tisch gelegt.«
»Sie wollen einen alten, gebrechlichen Mann betrügen?«
»Ich will Sie nur vor Ärger bewahren, Parker. Halten Sie sich in Zukunft aus solchen Geschäften heraus. Davon verstehen Sie nichts. Sie werden so lange mein Gast bleiben, bis meine Jungens die Ware geholt haben!«
»Und mein Geld?«
»Sie sind schon bezahlt.«
»Ich fürchte, ich habe Sie nicht recht verstanden.«
»Mann, Sie leben noch! Das ist mehr wert als Geld! Geht Ihnen jetzt ein Licht auf?«
»Aber ich könnte Ihnen doch noch sehr viel mehr Ware besorgen«, erklärte Parker. Er sah plötzlich wirklich alt und verbraucht aus.
»Lieber nicht«, sagte Candels. »Ein einziger fetter Fischzug ist mehr wert als alle Versprechungen. Und Ihnen gebe ich den guten Rat, so schnell wie möglich zu verschwinden.«
»Kann es nicht schon jetzt sein?« Parker griff nach seiner schwarzen steifen Melone und wollte gehen. Candels grinste. Er nickte in die Dämmerung des Billardsaales hinein. Wie aus dem Boden gewachsen, standen plötzlich drei kräftig aussehende Männer vor Parker.
»Erst die Ware, Parker, dann können Sie abschwirren! Gehen wir in mein Büro. Dann können Sie mir sagen, wo Sie das Zeug versteckt halten. Ich wette, daß Sie ganz schnell reden werden!«
Parker senkte den Kopf. Er sah wohl ein, daß er in die Falle gegangen war.
Hatte er diesen Lefty Candels unterschätzt? Hatte Parker nun doch zu hoch gespielt?
Ohne Protest ließ er sich förmlich abführen. Was hätte er auch gegen seine drei muskelstarken Bewacher ausrichten können? Es sah so aus, als sei er von Lefty Candels überspielt worden …
*
Josuah Parker saß steif und würdevoll in dem harten Bürosessel. Zwei Männer bewachten ihn. Sie machten es sich leicht, zumal sie ja keine Ahnung hatten, wer Parker eigentlich war. Sie sahen in ihm nur einen alten, müden Mann. Gefahr konnte von ihm bestimmt nicht ausgehen. Solch einen Greis erledigte man ihrer Meinung nach mit der linken Hand.
Die beiden Bewacher litten unter Langeweile. Sie spielten, konnten diesem Spiel aber nur wenig Reiz abgewinnen, da sie sich beide zu gut kannten.
Parker ergriff die Initiative.
»Ist es gestattet«, fragte er höflich, »sich an diesem netten Unterhaltungsspiel zu beteiligen?«
»Unterhaltungsspiel?« Einer der beiden Bewacher lachte auf. »Mann, hier können Sie die Hosen verlieren. Haben Sie’s noch nie gespielt?«
»Nur davon gehört«, räumte Parker ein. »Es würde mich reizen, mein Glück zu versuchen.«
Die beiden Gauner sahen sich schnell an. Sie verstanden sich auf Anhieb. Sie witterten eine echte Chance, nicht nur ihr Barvermögen aufzubessern, sondern auch die Zeit totzuschlagen.
»Erklär ihm die Spielregeln, Mac«, sagte der Gauner, der sich Butch nannte. »Wir werden mit harten Bandagen spielen. Mindesteinsatz fünf Shilling.«
Mac befaßte sich mit dem Butler. Er setzte ihm die Regeln auseinander.