*
Es war früher Nachmittag, als der staubbedeckte Reiter vor dem kleinen Holzschild hielt.
Sunset.
Da stand es, kaum leserlich.
Sieben Häuser, ebenso viele Schuppen und Scheunen, ein paar Corrals und ein Saloon.
Nein, einen Sheriff gab es nicht, erklärte ein alter Mann dem staubigen Reiter.
Wyatt suchte den Saloon auf.
Als er aus der blendenden Helle in den schummerigen Raum kam, konnte er fast nichts erkennen.
Dann aber drang die krächzende Stimme einer Frau an sein Ohr: »Was wollen Sie?«
»Einen Brandy, Madam –«
Dann sah er die Frau an. Sie war ellenlang und dürr, dazu sehr schlampig gekleidet. Als sei vor ihm stand und sprach, schlug dem Marshal übler Fuselgeruch entgegen.
»Well, Junge, du kriegst den besten!«
Wyatt lehnte sich auf die schmierige Theke.
»Woher kommst du, Junge?« fragte die Frau, während sie ihm das Glas hinschob und sich selbst die Flasche an den Hals setzte.
»Aus dem Süden.«
»Ah. Ärger unterwegs gehabt?«
»Es geht. Vorgestern traf ich auf eine Bande von Pferdedieben. Sie waren, glaube ich, auch hier –«
Die Frau antwortete nicht.
Wyatt warf einen Silberdollar auf das abgeschabte Thekenblech. »Trinken Sie einen auf mein Wohl, Madam!«
»Madam –?« Die Frau ließ die beiden Silben zwischen ihren Lippen zergehen. »Wie sich das anhört. Du bist ein Gentleman, Junge.«
»Hier haben sie auch einen Gaul gestohlen.«
»Ja, ich glaube sogar zwei.«
»Ja, ich glaube, sie sagten es.«
Wyatt tat gelangweilt. »Wenn es keinen braven Burschen getroffen hat, geht es.«
»Hm, Ronny Clay ist ziemlich arm. Aber Gerrit – ich weiß nicht...« Die Frau hüstelte dünn.
Wie Gongschläge hämmerten die beiden Namen in Wyatts Kopf. »Ist Clay noch in der Stadt?«
»Nein, er ist doch auf der Ranch beschäftigt, draußen bei den Hills.«
Wyatt sog an seiner Zigarre. Er war die Ruhe und Gleichgültigkeit in Person. »Ich suche einen Job. Ob ich mal vorspreche?«
»Bei Hellmers? Vielleicht. Der Alte braucht manchmal Leute.«
Und dann hatte es der fremde, staubige Reiter plötzlich eilig.
Er zahlte und ging.
Zwei Stunden später erreichte er die Hellmers Ranch, draußen vor den Hügeln.
Der Vormann war ein untersetzter Bursche mit gutmütigem Hundegesicht. Als er sprach, konnte er die texanische Herkunft nicht verleugnen.
»Ronny – he, der sitzt da drüben auf dem Pfahl am Corral, anstatt zu arbeiten.«
»Vielleicht ist er sauer, weil sie seinen Gaul in der Stadt geklaut haben?«
»Kann sein. Sind Sie ein Freund von ihm?«
»Eigentlich nicht. – Ist er schon lange hier?«
»Ja, zwei Jahre.«
»Und war er in letzter Zeit weg?«
Der Vormann zog die Brauen zusammen. »He, Sie fragen wie ein Richter.«
Wyatt lachte und reichte dem Cowboy eine Zigarre. »Na, wie ist das?«
Der Weidereiter biß das Zigarrenmundstück ab und spie es aus. »No, wo sollte er gewesen sein. Mal in der Stadt drüben. Wo sollen die Jungen hier schon hin...«
Als Wyatt nach Sunset zurückritt, wußte er, daß der Mörder Jack Nortons und Sam O’Brians Gerrit hieß.
In der Frühe des nächsten Morgens stand er an der kleinen Poststation kurz vor Sunset.
Der Posthalter war ein griesgrämiger Bursche mit tränenden, kranken Augen und zitternden, gichtigen Händen.
»Yeah«, sagte er mürrisch, »die Overland hält immer hier.«
Erst nach langen Fragen erfuhr Wyatt, daß nur selten Leute ein- oder ausstiegen.
»Ein Mann?« knurrte der Posthalter. »Wie soll er denn ausgesehen haben?«
Yeah, wie sah der Mörder aus?
»Ein kräftiger, nicht allzu großer Bursche. Grünliche Augen hat er...«
Der Alte schüttelte den Kopf.
Da fragte Wyatt schnell: »Wann haben Sie Gerrit eigentlich zum letztenmal gesehen?«
»Gerrit?« Der Mann blickte auf. Dann lachte er. »Den sieht man immer zum letztenmal, und dann ist er plötzlich wieder hier...«
Dave Gerrit war in der Nähe auf einer Farm als Sohn eines Kuhtreibers geboren. Er mußte in den dreißiger Jahren sein. Die Leute kannten ihn alle. Und doch wußte niemand etwas von ihm. Hin und wieder kam er her. Ja, im Winter war er hier – und vor ein paar Tagen.
Drüben im Ort hatten sie ihm den Gaul gestohlen.
Aber er mußte Geld haben, sonst hätte er ja nicht die Overland nehmen können.
Die Overland nach Norden.
Von Sunset, das die Postkutschenlinie nicht direkt berührte, führte die Overland-Linie scharf nordwestlich am südwestlichen Zipfel der Moqui-Reservates vorbei nach Tuba.
Wyatt folgte ihrer Spur.
Auf der Pferdewechselstation in Tuba kannten sie Gerrit nicht mehr. Aber sie hatten den Mann, den Wyatt nun nach der Beschreibung des Sunset Posthalters besser schildern konnte, gesehen.
Er war weitergefahren.
Nach Kean.
Von dort über die Grenze nach Utah hinein.
In Rainbow Bridge mußte Wyatt einen vollen Tag forschen, bis er sicher erfuhr, daß Gerrit weiter nach Norden gefahren war, nach Glies.
Von dort nach Tidwell und hinauf nach Price. Die Overland führte weiter nördlich nach Santaquil und schließlich am windungsreichen Henrys Sage Creek entlang nach Wyoming hinein.
Dreiundzwanzig Tage später ritt der harte Missourier haargenau auf die Südspitze des Jacksonsees zu.
Dave Gerrit war auch hier vor ihm in der Overland gewesen.
Er war auf der Landstation bei Estley ausgestiegen.
Und hier verlor sich die Spur im tauenden Schnee.
Mit der Beharrlichkeit eines Indianers suchte der Marshal die Umgebung ab.
Vierzehn Tage lang.
Dann stand er am westlichen Seeufer und blickte auf die Wellen, die drüben irgendwo in Ufernähe den toten Sheriff mit sich fort in die Tiefe des Bergsees gespült hatten.
Der Mörder aber war entkommen.
So weit hatte der zähe Missourier seine Spur verfolgt. Und nun hatte sie der Tauwind verwischt.
Dave Gerrit!
*
Es war zwei Wochen später.
Wyatt ritt in den Abendstunden in Survey ein.
Zwar hatte er hier nicht gerade Freunde, aber immerhin konnte er sich an den County-Sheriff wenden, der ja ein beweglicher Mann war.
McNally war nicht in der Stadt, als Wyatt im Office nach ihm fragte.
Aber am nächsten Morgen saß er hinter