In vielen deutschen Märchen ist der schlummernde Königssohn, der Schläfer, Siebenschläfer, Scheinschläfer eine Figur wie aus Selbstanklage und dunkler Verheißung gewebt. Leicht versank der Deutsche in sich selbst, verlor sich, vergaß sich, verspielte sich, versäumte die Stunde, die Gelegenheit, die Tat. Kehrte er aber einmal sein Inwendiges nach außen, so war seine Tat so heftig, wie vorher der Traum von ihr glühend. Es mußte aber ein Unbedingtes sein, ein Höheres, gleichsam nicht mehr das Ding, sondern Gott, was ihn wandelte. Dann bot er sich zum Opfer an, und das Opfer war ihm selbstverständlich, die eigene Person stets der Preis, den er ohne Prahlerei, mit vollkommener Einfachheit des Gemütes einsetzte.
Niemand kann kleiner sein als der Deutsche, wenn ihn die Alltäglichkeit beherrscht, niemand platter und lichtloser; niemand aber auch größer, wenn das Unbedingte an ihn herantritt, das Pathos großer Ereignisse ihn hinaufreißt. In keiner Sprache gibt es ein Wort, das den Zustand unnützer und spielerischer Wehrhaftigkeit so in den Bereich des Komischen stellte wie das Wort Spießbürger; aber in keiner auch ein Wort, das höchste Tugend so karg und metallen ausdrückte, wie das Wort Held. Spießbürger und Held, das sind die Pole deutschen Lebens, und daß aus einem Spießbürger ein Held werden kann, hat der Deutsche in jeder Stunde der Gefahr bewiesen. Hierzu brauchte er nur den Glauben an die Gerechtigkeit der Sache; es durfte nur der Sache nichts Erschlichenes anhaften, nichts Künstliches, nichts Verfeinertes, nichts Advokatisches; sie mußte sozusagen rauh und urtümlich sein und ihn im Mittelpunkt des Herzens treffen, dann wurde sein Herz zum Mittelpunkt der Welt.
Seine Anteilnahme kann bis zur Unbequemlichkeit lärmen, doch seine Begeisterung ist fast immer von stiller Art. Romanischen Völkern eignet oft eine Begeisterung ohne Tiefe, eine müßige und eitle, der begleitenden Tat ermangelnde; deutsche Begeisterung ist wie Essenfeuer; Hammer und Amboß, Huf und Schwert sind nicht weit davon entfernt. Der still Begeisterte, mehr Erglühte als Entflammte, das ist der Mensch, der des Fanatismus nicht fähig ist, und die Zustände jenseit der Selbstbesinnung finden wir beim Deutschen mehr im Gebiet des Religiösen und rein Geistigen, der Mystik und des Prophetentums, als in dem der Politik und des gemeinen Lebens.
So ist auch das Exzentrische dem deutschen Wesen fremd; seine Anlage ist konzentrisch. Er ist gefaßt; er weiß um seine Grenzen, wennschon sein Verlangen stets nach dem Grenzenlosen geht. Er ist beschaulich, bleibt aber nicht im Bilde ruhen, sondern verirrt sich gern in die Labyrinthe der Spekulation. Alles muß für ihn Bezug haben, Verbindung, Folge, – insoweit es das Geistige betrifft; daher seine Schwerfälligkeit, seine Pedanterie, sein Respekt vor dem Wissen, sein Zuviel an Schulbildung, sein Mangel an Glätte, an Schmiegsamkeit und an Manier. Insoweit es aber das Gemüthafte betrifft, braucht er keinen Bezug und achtet keine Folge; da wird ihm die Welt zum einheitlichen Gebilde, das Schicksal ein gerechter Herr, und in seiner Seele ist die Menschheit.
Wichtig vor allem ist ihm die Scholle; erstes Gesetz, die Hantierung, die er gelernt, zur Vollkommenheit auszubilden; einem Herrn zu dienen Bedürfnis und Freude; einen großen Gedanken in seiner Brust zu hegen und zu wärmen beinahe Kultus. In den Zeiten seiner politischen Unreife übersah er, daß die Scholle nur ein winziger Teil des Ganzen ist und segensvoller gedeiht, wenn auf der Nachbarscholle nicht der beargwöhnte Gegner, sondern der mitwirkende Freund haust; bedachte er nicht, daß die Hantierung vom Allgemeinen aus- und zum Allgemeinen zurückgehen muß, damit ineinanderwachsende Kräfte durch Überlieferung erstarken und erblühen können und nicht das einzelne vereinzelt mit sich selber stirbt; mißkannte er, daß es keinen Herrn gibt, der nicht der Diener seiner Diener ist; versäumte es, sich zum Herren seiner Herren zu machen und so, im Geflecht von Ordnung und Herrschaft, von Bürgerpflichten und Herrenrechten, von Herrenpflichten und Bürgerrechten das glückliche Glied eines glücklichen Volkes zu werden.
Dies ist anders geworden. Es war ein Prozeß, so schwierig und langwierig, daß die Besten immer wieder an ihrer Hoffnung verzweifelten und das Blut edler Märtyrer vergeblich geopfert schien. Der Prozeß ist gewonnen. Das verflossene Jahrhundert hat die deutsche Nation wiedergeboren, sie aus romantischer Dämmerung an den lichten Tag der Geschichte geführt und ihr, in Pflicht und Liebe, in Neigung und Interesse das Reich der Realität geöffnet. »Der Realismus, welchen man rühmend oder zürnend die Signatur der Gegenwart nennt,« sagt Gustav Freytag, »ist in Kunst und Wissenschaft, im Glauben wie im Staate nichts als die erste Bildungsstufe einer aufsteigenden Generation, welche das Detail des gegenwärtigen Lebens nach allen Richtungen zu vergeistigen sucht, um dem Gemüt neuen Inhalt zu geben.«
Der Deutsche hat die ihm gemäße Art von Politik gefunden; ich möchte sie die Politik des unbeirrbaren Triebes nennen; die Politik der Entfaltung, der Erkenntnis und der Bestimmung. Sie kann der Winkelzüge, der veralteten Rezepte und geheimen Wege entraten, da sie auf den natürlichen Rechten des Geistes und Herzens ruht, nicht auf willkürlichen Machenschaften, sondern auf einer Notwendigkeit und einer welthistorischen Idee.
Der Siebenschläfer, aufgewacht ist er ja längst, hat sich auf diesem Planeten ein gewaltiges Haus gebaut. Gestern ist es unter Dach gebracht worden. Schon grüßen die Tannenreiser vom First.
Szene zwischen Friedrich dem Großen und Ziethen
Nach dem glücklich beendeten Siebenjährigen Krieg sah Friedrich unter seinen Tischgenossen vorzüglich gern den alten General Ziethen. Wenn gerade keine fürstlichen Personen zugegen waren, mußte Ziethen immer an der Seite des Königs sitzen. Einstmals hatte er ihn auch zum Mittagessen am Karfreitag eingeladen, aber Ziethen entschuldigte sich; er könne nicht erscheinen, weil er an diesem hohen Festtag immer zum heiligen Abendmahl gehe und dann lieber in seiner andächtigen Stimmung bleibe; er dürfe sich darin nicht unterbrechen und stören lassen. Als er das nächstemal zur königlichen Tafel in Sanssouci erschien und die Unterredung wie stets einen heiteren, fröhlichen und geistreichen Gang genommen hatte, wandte sich der König mit scherzender Miene an seinen Nachbar. »Nun, Ziethen,« sagte er, »wie ist Ihm das Abendmahl am Karfreitag bekommen? Hat Er den wahren Leib und das wahre Blut Christi auch ordentlich verdaut?« Ein lautes spöttisches Gelächter schallte durch den Saal der fröhlichen Gäste. Der alte Ziethen aber schüttelte sein graues Haupt, stand auf, und nachdem er sich vor seinem König tief gebeugt, antwortete er mit fester Stimme: »Eure Majestät wissen, daß ich im Kriege keine Gefahren fürchte und überall, wo es darauf ankam, für Sie und das Vaterland mein Leben gewagt habe. Diese Gesinnung beseelt mich auch heute noch, und wenn es nützt und Sie es befehlen, lege ich meinen Kopf gehorsam zu Ihren Füßen. Aber es gibt einen über uns, der ist mehr als Sie und ich und mehr als alle Menschen, das ist der Heiland und Erlöser der Welt, der für Sie gestorben und uns alle mit seinem Blut teuer erkauft hat. Diesen Heiligen lasse ich nicht antasten und verhöhnen, denn auf ihm beruht mein Glaube. Mit der Kraft dieses Glaubens hat Ihre brave Armee mutig gekämpft und gesiegt. Unterminieren Eure Majestät diesen Glauben, so unterminieren Sie die Staatswohlfahrt. Das ist gewißlich wahr. Halten zu Gnaden.«
Die Tafelgesellschaft war totenstill geworden. Der König war sichtbar ergriffen. Er erhob sich, reichte dem General die rechte Hand, legte die linke auf seine Schulter und sagte: »Glücklicher Ziethen! Möchte ich es auch glauben können! Ich habe allen Respekt vor Seinem Glauben. Bewahre Er ihn. Es soll nicht wieder geschehen.«
Kein Mensch hatte den Mut, ein Wort weiter zu reden. Auch der König fand zu einem andern Gespräch keinen schicklichen Übergang, er hob die Tafel auf und gab das Zeichen zur Entlassung. Dem General Ziethen befahl er: »Komme Er mit in mein Kabinett.«
Böttiger
Unter die große Zahl merkwürdiger Männer, die das achtzehnte Jahrhundert in Deutschland hervorbrachte, gehört auch Johann Friedrich von Böttiger, der zufällige Erfinder des Porzellans. Böttiger war ein geborener Sachse; er ward geboren zu Schleiz im Vogtlande,