»War es seine Idee, Miss Morefield kidnappen zu lassen?« fragte Mike Rander.
»An ein Kidnapping hat er wohl nicht gedacht. Er wollte Miss Morefield nur ausnehmen. Als er falsche Papiere gebrauchte, geriet er an die Gelben Drachen. Und diese Gangster witterten sofort ein viel größeres Geschäft. Einzelheiten kennen Sie ja.«
»Liz Carrels mußte also Jane Morefield spielen«, sagte Mike Rander. »Deshalb mußte Vermögensverwalter Croften sterben, als er nach Hongkong kam.«
»Nur aus diesem Grund. Er hätte den Betrug sofort durchschaut.«
»Erstaunlich, daß Miss Morefield sich nach dem Kidnapping weigerte, Schecks zu unterschreiben und Geld abzuheben.«
»Sie spielte mit ihrem Leben. Die Gelben Drachen hätten sie bestimmt gezwungen, mitzuspielen. Zu Miss Morefields Glück stand ja Liz Carrels zur Verfügung, die diese Rolle übernehmen konnte. Das war und ist der Grund, warum man Miss Morefield nicht durch die Folter gefügig machte.«
»Aber wie zum Henker erfuhren die Gelben Drachen von Croftens Ankunft und von unserer Landung?« wollte Mike Rander nun noch wissen.
»Das geht auf das Konto unseres ehrenwerten Mr. Li Wang.« Inspektor McParish schmunzelte. »Wir haben ihn uns sofort gekauft. Zuerst hat er alles abgestritten, doch seine Freunde verrieten ihn. Miss May Tai Hing gab uns den richtigen Tip. Sie war in den Plan ja eingeweiht worden.
Li Wang rief Miss Morefields Verwandte in Miami an und stellte sich als ihr chinesischer Berater vor. Miss Morefields Onkel Bannon rückte ahnungslos mit der Sprache heraus und kündigte Croftens und Ihre Ankunft an. Die Gelben Drachen waren also bestens informiert.«
»Demnach ist Li Wang also ein Gelber Drache gewesen?«
»Und ob! Und ich, ausgerechnet ich, Inspektor McParish von der Polizei, muß Ihnen raten, sich an Li Wang zu wenden. Unverzeihlich! Gut, daß daraus nichts passiert ist!«
»Was wird mit der Chinesin May Tai Hing geschehen?«
»Man wird sie anklagen und aburteilen. Sie hielt Miss Carrels unter Druck, und sie war es, die Ihren Butler und Miss Carrels durch die Schlammlawine ins Meer befördern wollte. Lassen Sie sich nicht täuschen, Rander, dieses Mädchen sieht sehr attraktiv aus, aber sie ist auch sehr gefährlich.«
»Wir werden sie nicht mehr sehen«, meinte Rander. »Unsere Maschine geht in einer guten Stunde. Wir werden Miss Morefield zurück in die Staaten bringen.«
»Und anschließend einen neuen Fall übernehmen, wie ich in aller Bescheidenheit bemerken möchte«, schaltete sich Josuah Parker ein. »Man bedarf unserer schnellen Hilfe. Es handelt sich um einen Fall von höchster Dringlichkeit.«
»Was steht denn auf dem Programm?« fragte McParish lächelnd.
»Organisierter Warenhausdiebstahl, mit Verlaub zu sagen«, antwortete Parker würdevoll, »ein Problem, dem ich schon jetzt einige Reize abgewinnen kann.«
»Ich möchte nicht in der Haut dieser Kerle stecken«, antwortete McParish und lächelte plötzlich nicht mehr. Er sah den Butler nachdenklich und auch ein wenig hochachtungsvoll an …
*
»Bedanken Sie sich bei meinem Butler«, sagte Mike Rander eine Stunde später zu Jane Morefield. »Er hat Sie schließlich aufgespürt und aus den Klauen der Gelben Drachen befreit.«
»Ich will nicht mehr daran denken«, antwortete Jane Morefield, die frisch und jugendlich aussah. »Es waren ja schreckliche Wochen, die mich an den Rand der Verzweiflung brachten.«
»Ihr Bedarf an Abenteuern dürfte gedeckt sein«, meinte der Anwalt trocken. »Auch das unterscheidet Sie von Mr. Parker. Er jagt den Abenteuern förmlich nach.«
»Kennt er keine Angst?« fragte Jane Morefield leise.
»Ich weiß es wirklich nicht. Er gibt mir immer wieder neue Rätsel auf.«
Jane Morefield näherte sich dem Butler, der sich diskret zurückgehalten hatte.
»Mr. Parker«, sagte Jane Morefield, »wie kann ich Ihnen nur danken?«
»Sie beschämen mich, Miss Morefield«, erwiderte der Butler. »Sie überschätzen meine Mitarbeit an diesem Fall. Ich tat auch nur das, was in bescheidenem Rahmen möglich war.«
»Eben dafür möchte ich Ihnen danken«, gab Miss Morefield zurück, stellte sich auf die Zehenspitzen und verabreichte dem Butler einen Kuß auf den Mund.
Parker fuhr ruckartig zusammen.
Er starrte Jane Morefield an. Seine Augen wurden groß. Er schluckte, warf sich in die Brust, schulterte seinen Universal-Regenschirm und ging wie beschwipst auf die wartende Maschine zu. Er schien sein Gleichgewicht verloren zu haben, denn er war weich in den Knien geworden und beschrieb eine leicht angedeutete Schlangenlinie auf dem Beton des Flughafens.
»Du lieber Himmel, was habe ich angerichtet?« fragte Jane Morefield, sich an Rander wendend.
»Sie haben den falschen Mann geküßt«, antwortete Rander. »Im übrigen sagte ich ja schon, daß Parkers Reaktionen immer überraschend sind. Er steckt halt voller Rätsel …!«
Josuah Parker ließ den mittelgroßen dicklichen Mann nicht aus den Augen.
Dieser etwa 40jährige Mann, gut gekleidet und recht selbstsicher, stand vor der langen Theke der Fotoabteilung und blätterte Prospekte durch. Rechts und links von ihm standen andere Käufer. Sie ließen sich Fotoapparate, Vorsatzlinsen und Ferngläser zeigen. Drei höfliche, aber bereits etwas nervös gewordene Verkäufer hatten alle Hände voll zu tun, um die Fragen der Kunden zu beantworten.
Es ging auf Mittag zu. Im ›Jackson‹, einem großen, vierstöckigen Warenhaus in San Francisco, herrschte starker Käuferandrang. Die Gänge zwischen den Verkaufstheken und Rundtischen waren dicht gefüllt. Die vielen Fahrstühle fuhren Sonderschichten, um die Kunden von einer Etage in die andere zu befördern. Die vielen Rolltreppen im ›Jackson‹ waren dicht besetzt.
Es herrschte genau jenes Gedränge, das Taschendiebe und trickreiche Gauner besonders schätzten. Sie konnten ungehindert und erfolgreich arbeiten. Und sich blitzschnell in der Menge verlieren, falls Gefahr drohte.
Es drohte ihnen Gefahr. Einmal von den fest angestellten Warenhausdetektiven. Vier an der Zahl waren es, die pro Vierstundenschicht durch das riesige Warenhaus schlenderten. Gefahr drohte den Gaunern aber auch vor allen Dingen von einem seltsam gekleideten Kunden, der an der Brüstung der zweiten Lichthofgalerie stand.
Dieser Mann trug einen schwarzen, altertümlich geschnittenen Covercoat, unter dem sich ein ebenfalls pechschwarzer Anzug befand. Dieser Mann hielt einen altväterlich gebundenen Regenschirm in der Hand und schmückte seinen Kopf mit einer schwarzen runden Melone.
Es handelte sich um den Butler Josuah Parker, der sich in die Überwachung des Warenhauses eingeschaltet hatte. Seit einigen Wochen machte eine gut und wahrscheinlich auch straff organisierte Bande von Ladendieben die Stadt unsicher. Alle Warenhäuser in Frisco, ob groß oder klein, wurden auf raffinierte Art und Weise heimgesucht und bestohlen.
Trotz der größten Wachsamkeit der Warenhaus-Detektive hatte man diesen Dieben bisher nicht beikommen können. Was in den Netzen der verstärkten Überwachung hängengeblieben war, waren nur kleine Fische, wie es im Fachjargon hieß.
Das ›Jackson‹ war von den Ladendieben besonders böse heimgesucht worden. Einmal, weil dieses Warenhaus besonders groß war, zum anderen, weil der Publikumsverkehr hier immer sehr stark war.
Um weiteren Verlusten vorzubeugen, war die Direktion des Warenhauses auf den Gedanken gekommen, einen Spezialisten zusätzlich zu engagieren. Man war auf den Butler Josuah Parker verfallen. Mundpropaganda und Tips der Polizei hatten auf Parker aufmerksam gemacht. In einschlägigen Fachkreisen galt Josuah Parker als zwar skurriler, aber auch