»Hätte ich schöne Kleider, dann ja«, meinte Ida; »aber er war auch schön!«
»Wer?« Rosa errötete.
»Der junge Herr dort von Lanins. Mit dem hätte ich gern getanzt. Er war der Allerschönste. Nicht?«
»Was verstehst du davon?« versetzte Rosa unsicher.
»Schon recht«, erwiderte Ida ruhig; »wenn ich auch nichts davon verstehe, so weiß ich doch, dass er schön ist. Wenn er mit Ihnen tanzte, Fräulein Rosa, dann machte er ganz große Augen, das habe ich auch gesehen. Soll ich ihn rufen?«
»Ihn rufen? Warum?«
»Von drüben kann er ja leicht herüberkommen. Ich meinte, Sie wollen ihn sehen.«
»Oh, ich nicht!« rief Rosa und blickte zerstreut zu den Dächern auf. »Tu, was du willst.«
»Wollen Sie hier warten, Fräulein Rosa?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ruhe ich mich hier noch aus. Aber – du weißt, Ida – mir ist es gleichgültig, ob jemand kommt oder nicht. Ich wollte nur mit dir sprechen.«
»Schon recht«, bemerkte Ida und schurrte mit ihren abgetragenen Schuhen über die Straße, die Laninsche Treppe hinan. Rosa trippelte unschlüssig hin und her. Sollte sie weitergehen? Sollte sie bleiben? Sie lehnte sich an die Türe des Trödlerladens und schaute den Schwalben nach – mit einem hübschen Gesicht, das an nichts Besonderes zu denken schien. Endlich kam Ida wieder – langsam und gähnend herangeschlichen. »Er wird gleich kommen«, berichtete sie und setzte sich auf die Türschwelle.
»Ida – du hast doch nicht…?« rief Rosa. »Nun, mir gilt es gleich, ob jemand kommt oder nicht. Ich habe niemanden rufen lassen. Ich nicht.«
»Gut! So kommt er zu mir.« Dabei zuckte Ida die Achseln, schloss halb die Augen und saß schläfrig und ruhig da, wie ein altes, bleiches Weib, das all die Jugendtorheiten kennt und verachtet. Die Glocke an Lanins Ladentür erklang, und Ambrosius eilte auf die Straße hinab, ohne Hut, buntgestickte Pantoffeln an den Füßen und ein stolzes Lächeln auf den Lippen.
»Ein wenig in Negligé«, schrie er schon von weitem. Dann stellte er sich vor Rosa hin, eine Hand in die Seite gestemmt. »Aber bei Gott! Ich habe wunde Füße von gestern. Wie geht es dir? Hm – ach so, wir sind nicht allein. Wie geht es Ihnen, mein gnädiges Fräulein?« Dabei lachte er geheimnisvoll.
»Gut, recht gut, Herr von Tellerat«, erwiderte Rosa und wiegte verlegen ihren Oberkörper.
»Kommen Sie«, fuhr Ambrosius fort. »Stellen wir uns hier in die Nische zwischen die Tür und das Haus. Hier sieht uns kein Mensch, höchstens dort vom Salon aus; aber um diese Zeit geht niemand ans Fenster, das weiß ich! Ha – ha! Hier ist es nett, sozusagen gemütlich. Hat Ihnen der gestrige Schreck nicht geschadet? Ich war um Sie in Todesangst. Aber ich musste fort, um Sie nicht zu kompromittieren. Der Lurch soll mir diesen Streich bezahlen. Er hat mich furchtbar angegriffen. Mitten in unserem Beisammensein, mitten in – hm«, er warf den Kopf zurück und suchte nach einem poetischen Ausdruck. »Mitten – sozusagen in der arkadischen Schäferstunde gestört zu werden, das zog mir das Herz zusammen.«
»Sie hätten es nicht tun sollen«, sagte Rosa leise.
»Warum nicht?« Ambrosius’ Gesicht ward rot und böse. »Dazu musste es kommen, liebste Rosa, du musstest einmal erfahren, wie sehr ich dich liebe. Glaubst du, es hat mich nicht gekränkt, den ganzen Abend mit ansehen zu müssen, wie jeder Schulbub den Arm um ein Mädchen legen darf, das – hm, ja – das mir gehört? Dir war’s vielleicht recht, ich aber litt darunter. Ich wollte dich für mich ganz allein haben.« Als er sah, dass Rosa über seine Heftigkeit erschrak, ward er ruhiger, gefühlvoller. Ach Gott! Rosa ahnte nicht, wie heiß er sie liebte, wie sie sein ganzes Glück in ihrer kleinen, leichtfertigen Hand hielt. Er kannte nicht flüchtige, oberflächliche Gefühle. Das war es, was ihm oft Unheil brachte, dass er es mit jeder Leidenschaft zu ernst nahm. Er war zu tief angelegt, zu treu; er dachte zu gut von den Menschen. All dieses trug er mit ruhiger Stimme vor, wiegte sich von einem Bein auf das andere, blickte über das Mädchen hinweg die alten Kleider an und verzog ein wenig das Gesicht, weil die Sonne ihm in die Augen schien.
Rosa, sich fest an die Wand des Hauses lehnend, lauschte andächtig den klingenden, abgegriffenen Liebesphrasen. Der weiche, gedämpfte Stimmenton des jungen Mannes wiegte sie in eine angenehme Schlaffheit. Sie achtete kaum mehr auf den Sinn der Worte, der Klang allein schien ihr schon etwas Schwüles, Bestrickendes an sich zu haben, etwas, das zu Kopf steigt und die Gedanken einschläfert.
Die Straße vor ihnen war leer, in den hellbeschienenen Häusern waren die Vorhänge herabgelassen, auf dem sonnigen Marktplatze trieben sich nur die Spatzen um, sanfte, abgerissene Vogellaute einander zuwerfend, und schaute man in die Ferne, dann glaubte man ein flimmerndes Zittern der Luft wahrzunehmen.
Ambrosius war jetzt bei der Schilderung seines wunderbar wechselvollen Herzens angelangt, wechselvoll in toller Lust und rätselhafter Melancholie; aber immer beständig in – hm, der Neigung zur Geliebten. Von jeher war es sein Wunsch gewesen, mit einem Weib, das mit ihm sympathisierte, nach einer unbewohnten Insel zu entfliehen, um nur der Liebe zu leben, und Rosa war dieses Weib.
Die Geschichte mit der unbewohnten Insel ergriff und begeisterte Rosa. Groß und zärtlich richtete sie ihre Augen auf Ambrosius, als er aber leidenschaftlich ausrief: »Du bist dieses Weib, das ich suche!« da lachte Rosa. Niemand hatte sie bis jetzt noch »Weib« genannt, das war ihr zu neu. Sie fühlte es wohl, wie unpassend es war, zu lachen, wie sehr Ambrosius das übelnehmen musste, und dennoch tat sie es – noch dazu das törichte, herausplatzende Lachen der Schankschen Schülerinnen. Ida, an die niemand gedacht hatte, stimmte laut und rau in dieses Lachen ein. Ambrosius ward dunkelrot, die Ader auf seiner Stirn schwoll an, und in maßloser Wut fuhr er auf das Judenmädchen los, stieß es mit dem Fuß. »Was? Du bist noch hier? Ich will dich lehren, hier horchen.« Ida erhob sich und schlich langsam und krumm fort, mit ihren blanken Augen schiefe, giftige Blicke auf Ambrosius werfend. »Kanaille!« rief dieser ihr nach.
»Oh, lassen Sie sie!« flehte Rosa. »Sie erzählt sonst alles weiter.«
»Sie möge!« rief Ambrosius heftig. »Ich mache mir nichts daraus. Ich fürchte mich vor niemandem. Mir ist alles gleich, und dir – dir ist auch alles gleich. Alles – alles.«
Er ergriff Rosas Hand und hielt sein zorniges, erhitztes Gesicht nahe an das Gesicht des Mädchens. »Ist dir nicht alles gleich – sage –!« Rosa schwieg – sie fürchtete sich, er aber fasste sie an die Schultern und küsste sie fest auf die Lippen,