»Ich hole Hilfe«, erbietet sich Monika.
»Nein – niemand holen!« haucht Maria und versucht, sich zu erheben. Die Mädchen helfen ihr dabei – und für Sekunden fühlt sie die warmen Kinderkörper dicht neben sich. Erneut überfällt sie Schwäche, sie taumelt ein wenig, aber die kräftigen und doch so zarten Hände der Mädels stützen sie.
»Danke!« sagt Maria leise. – Dann steht sie da, mit vorgebeugtem Oberkörper, schaut von einem Kindergesicht in das andere, als wolle sie sich die lieblichen Züge für alle Zeiten einprägen.
Maria schließt die Augen; unter den geschlossenen Lidern quellen Tränen hervor. – Tränen des Glücks und der Freude. Nun ist ihr heißester Wunsch in Erfüllung gegangen! Sie hat ihre Kinder gesehen! Sie hat sie sogar gefühlt! Und im Geiste umarmt und küßt sie beide – ganz andächtig.
»Sie haben sich doch weh getan!« Ingrid blickt hilflos auf die mit ihrer Erschütterung kämpfende fremde Frau.
»Nein, ich habe mir nicht weh getan – ich bin sehr – sehr glücklich!« antwortet Maria mit fremder, heiserer Stimme. – Da bemerkt sie, wie Ingrid zusammenschauert. Sofort erwacht die Sorge in Maria. Sie bückt sich hastig nach der immer noch am Boden liegenden wollenen Jacke, klopft den Schnee davon ab und zieht sie dem widerspruchslos sich fügenden Kinde wieder an.
»Du fröstelst ja, geh sofort ins Haus ins warme Zimmer, sonst wirst du dich erkälten.«
Wie unter einem Zwang stehend, senkt Ingrid gehorsam den Kopf. Etwas ganz eigenes ist in der dunklen, melodischen Stimme der fremden Frau. Ingrid faßt nach Monikas Hand.
»Vielen Dank, mein gutes Kind!« flüstert Maria, umschließt die beiden kleinen Mädchen mit einem wehmütigen Blick und hastet davon, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Ziellos hetzt Maria vorwärts. Das Taschentuch hat sie an die bebenden Lippen gepreßt, um das Schluchzen zu unterdrücken, das sich über ihre Lippen drängen will.
Ich habe sie gesehen – habe sie beide gesehen! Lieber Gott, ich bin dir ja so dankbar, daß du sie mir in den Weg geführt hast! So jubelt es in ihr. Dabei rinnen ihr unaufhörlich die Tränen über die Wangen.
»Maria ist gekommen!« flüstert Charlotte erschrocken vor sich hin und preßt die Stirn an das Fensterglas. Ganz zufällig hat sie vom Wohnzimmerfenster aus die Kinder beim Spiel beobachten wollen und ist dabei Zeuge von dem Wiedersehen Marias mit ihren Kindern geworden.
Also hat ihr die Sehnsucht doch keine Ruhe gelassen! führt Charlotte ihr Selbstgespräch fort. Sie ist wie erstarrt. Am liebsten möchte sie das Fenster aufreißen und Maria zu sich rufen. – Aber die Glieder versagen ihr den Dienst.
Die Angst, daß es ein Unglück geben könnte, schnürt ihr die Kehle zusammen. – Ist das, was sie immer heimlich befürchtet hat, eingetreten?
Immer hat sie davor gezittert, daß Maria eines Tages erscheinen würde, um die Kinder zu sehen! Vielleicht will sie die Mädels sogar zu sich holen!
Sie kann es Maria nicht verdenken. Ja, sie versteht sie, denn sie würde genauso handeln, wenn sie an Marias Stelle wäre.
Und nun, da es Wirklichkeit geworden ist, trifft sie es doch hart. Dieser heimliche Kummer hat ihr des Nachts den Schlaf und am Tage die Freude am Dasein geraubt. Sie hat es jedoch meisterhaft verstanden, ihren tiefen, nagenden Schmerz vor Bernd und ihrer Umgebung zu verbergen. Die Kraft hat ihr der Gedanke an das Kind gegeben, das sie unter dem Herzen trägt.
Und nun ist Maria da! – Charlottes Blick haftet verzweifelt an der schlanken Frauengestalt und an den beiden Kindern draußen. Sie weiß zu genau – eben weil sie selbst Mutter sein wird –, daß sie Maria die Kinder nicht eine Minute vorenthalten wird.
Ganz fest hat Charlotte es sich vorgenommen, und sie will es auch durchführen, wie sehr ihr dabei das Herz auch bluten mag. Maria wird ja tausendmal mehr gelitten haben – damit tröstet sie sich.
Endlich gelingt es ihr, die Lähmung von sich abzuschütteln. Ihre Hände tasten nach dem Fenstergriff, sie versucht, die Flügel zu öffnen – aber ihr ist merkwürdig dumpf im Kopf, und ihre Glieder beben vor Aufregung.
Das Schwindelgefühl wird immer stärker, und Charlottes Angst vor einer Ohnmacht, die sie an ihrem Vorhaben hindern könnte, wird immer größer.
»Delian! Delian!« ruft sie mit lauter, durchdringender Stimme.
Sekunden später kommt die Getreue hereingestürzt und schließt die überzarte Frau in ihre Arme. Charlotte lehnt sich erschöpft, die Augen geschlossen, an die mütterliche Freundin.
»Maria – nicht fortlassen – Delian – Maria soll kommen!« flüstert sie matt. – Und wieder raubt ihr, wie so oft schon in letzter Zeit, eine Ohnmacht die Besinnung.
Frau von Delian glaubt, daß Charlotte im Fieber redet, denn der Kopf ist brennend heiß. Doch sie hat zu handeln; über die Ursache von Charlottes Ohnmacht macht sie sich weiter keine Gedanken.
Der schnell herbeigerufene Arzt macht ein ernstes Gesicht. – Da weiß Frau von Delian, daß Charlottes schwere Stunde bevorsteht.
Tatkräftig wie immer nimmt die alte Dame die Zügel in die Hand. Die Kinder wundern sich zwar, weshalb sie ihre Sachen packen und zur Oma ziehen sollen. Frau von Delian tröstet die weinenden Mädchen: »Es ist nur vorübergehend, und wenn ihr wieder heimkehrt, erwartet euch etwas Wunderschönes.«
Da leuchten die Kinderaugen auf. – Sie haben sich ja mit den Erwachsenen auf das kleine Wesen gefreut, und ihre Aufregung steigt von Minute zu Minute. Auch Bernd wird sofort gerufen. Er verbringt zusammen mit Frau von Delian aufreibende Stunden.
Der Arzt weicht keine Minute von dem Lager der jungen Frau. Das gibt Bernd eine gewisse Beruhigung, wenn er sich auch sehr um Charlotte sorgt. Er bringt diesen Zustand nicht mit Maria in Verbindung, denn er hat ja in Charlotte nicht den Gedanken aufkommen lassen, daß er irgendeine Veränderung in ihrem Verhältnis zueinander wünscht. Stets ist er aufmerksam und lieb gewesen, und es hat beinahe den Anschein, als sei erst jetzt die letzte Schranke zwischen ihnen gefallen. Nie wird er die wundervolle Zeit vergessen können, die er gerade jetzt mit Charlotte durchlebt hat.
»Ein Stammhalter, Herr Imhoff, meinen herzlichen Glückwunsch!« sagt der Arzt und läßt die beiden allein.
Zuerst geht Bernd zu Charlotte, nimmt ihre matten Hände und preßt seinen Mund darauf. Dann küßt er ihre Lippen, zart und voll Dankbarkeit.
Er sieht so glücklich aus, daß Charlotte bei seinem Anblick die Stunden der Schmerzen vergißt. Unverwandt hängen ihre Augen an seinem geliebten Gesicht.
»Ein Junge, Bernd!« flüstert sie und – weint. Sie fragt nicht, ob er sich freue, denn sie beobachtet ihn aus großen Augen, wie er auf Zehenspitzen durch das Zimmer geht und sich voll Andacht über das winzige Wesen beugt.
»Mein Junge!« sagt er ergriffen und berührt behutsam mit den Lippen die Stirn des Kindes.
Dann sitzt er neben Charlotte, hält ihre heiße Hand in der seinen und bewacht ihren Schlaf.
In der Nacht fiebert Charlotte. Immer ruft sie nur den einen Namen: »Maria!«
Voll Staunen lauscht Bernd ihren verworrenen Reden. Er kommt nicht auf den wahren Grund ihrer Worte. Nur ahnen kann er, wie sehr Charlotte in aller Heimlichkeit gelitten hat. Wenn sie nur erst wieder wohlauf wäre, dann will er ihr schon alle Zweifel nehmen. Längst hat er ja alle Sehnsucht nach Maria in sich niedergerungen, kennt nur den Weg der Pflicht, und er wird ihm nicht einmal schwer. Im Gegenteil, täglich erkennt er mehr und mehr den Wert Charlottes. Vergleiche zwischen den beiden Frauen stellt er nicht an.
Unter solchen Gedanken verbringt Bernd die erste, bange Nacht neben Charlotte. Sie wird sofort ruhiger, als er seine Hand auf ihre Stirn legt.
Am nächsten Morgen schaut sie mit blanken Augen umher. Alles kommt ihr verändert vor, hell und sonnig.
»Ich habe Hunger«, meldet sie sich beinahe verschämt. Sofort