Mich selbst hat es früher immer sehr gestört, wenn sich jemand in Besprechungen so selbstbewusst hervorgetan hat. Solche Menschen waren mir auf Anhieb unsympathisch. Allerdings brachte mir das große Schwierigkeiten, denn es waren oft die Menschen, mit denen ich Geschäfte machen sollte, wenn ich mit meiner Firma Erfolg haben wollte. Das passierte immer wieder und ich spürte, dass da ein Mechanismus am Werk war, den es aufzudecken galt. Ich hatte selbst auch den Wunsch, bei wichtigen Sitzungen im Mittelpunkt zu stehen, habe aber früher damit schlechte Erfahrungen gemacht. Ich kam als kleines Kind aus Berlin in eine bayerische Schule. Zu der Zeit sprach man in bayerischen Schulen Dialekt und war auch gegenüber anderen Dialekten nicht sehr tolerant. Auf jeden Fall wurde ich wegen meines Berliner Dialekts oft ausgelacht (oder angelacht, je nach Interpretation und Einstellung), wenn ich mich vor der Klasse äußerte. Diese Angst, mich zu blamieren, hinderte mich also daran, mich selbst zu präsentieren, aber das wollte ich natürlich nicht wahrhaben. Also entwickelte ich die Einstellung, es sei nicht gut, sich immer in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn jemand das dann trotzdem tat, dann widersprach er meinen Erwartungen und erinnerte mich indirekt an meine Angst, ausgelacht zu werden.
In dem Moment, in dem mir dieser Zusammenhang bewusst wurde, konnte ich relativ einfach daran arbeiten. Einerseits konnte ich meine negative Einstellung gegenüber den Personen ändern, die sich in den Vordergrund stellten, indem ich mir bewusst machte, dass meine Einstellung ihnen gegenüber nichts mit diesen Menschen, sondern mit mir zu tun hatte. Andererseits half mir diese Überlegung auch, meine eigenen Ängste zu bearbeiten, wenn es darum ging, sich in den Vordergrund zu stellen. Ich machte mir bewusst, dass sie aus der Kindheit stammen und nicht mehr gerechtfertigt waren.
Bei der Analyse der eigenen Einstellungen und Normen kann es für uns sehr hilfreich sein, wenn wir uns deutlich machen, dass sehr strenge Normen oft dazu da sind, eigene unbewusste Schwächen zu verdecken. Das könnte uns demütig machen und uns helfen, Licht auf unsere Schattenseiten zu lenken. Wir könnten uns bewusst werden, dass auch wir fehlbar sind – und das kann zu einer toleranteren Einstellung der eigenen Umwelt gegenüber führen. Wir müssen also immer damit rechnen, dass wir in andere gerade das hineinprojizieren, was eigentlich unser eigenes Problem ist – manchmal projizieren wir unsere eigenen Einstellungen sogar in ein Tier, wie folgendes Beispiel zeigt.
Lebertran für den Hund
Ein Mann hatte einen alten Hund. Man sagte ihm nun, dass Lebertran gut für den Hund sei und dass er mit regelmäßigen Gaben von Lebertran viel länger leben würde. Jeden Tag flößte er daher seinem Hund diese Medizin ein, und das war eine schwierige Prozedur. Der Hund wehrte sich dagegen und verkroch sich schon, wenn sein Herrchen die entsprechende Flasche vom Regal nahm. Sein Besitzer gab ihm die Medizin, indem er den Kopf seines Hundes zwischen die Knie nahm, das Maul gewaltsam öffnete und mit einem Esslöffel den Lebertran einflößte.
Eines Tages konnte sich der Hund aus dem Griff seines Herrchens befreien und der Lebertran tropfte auf den Boden. Zum größten Erstaunen des Mannes leckte der Hund aber den Lebertran begierig vom Boden auf. Es zeigte sich, dass der Hund nichts gegen den Lebertran hatte, aber sehr viel gegen die grobe Behandlung, die er bei der Einnahme erleiden musste.
Offensichtlich verabscheute der Mann Lebertran und ging dabei davon aus, dass auch sein Hund nur mit Gewalt dazu zu bringen ist, diese Medizin einzunehmen. Wie oft sehen wir in einem Anderen Vorlieben, Schwächen oder Fehler, nur weil wir sie selbst besitzen.
2.8 Zusammenfassung
In diesem Kapitel stand die Theorie im Vordergrund. Wenn Einstellungen auch nicht direkt wahrnehmbar sind, so handelt es sich dabei doch nicht um etwas „Esoterisches“, an das man glauben muss. Vielmehr ist es ein sehr praktisches, wissenschaftlich begründetes Konzept, mit dessen Wirkung man im täglichen Leben rechnen muss. Die Beschäftigung mit diesem Thema, so wurde mir deutlich, kann auch dabei helfen, über sich selbst mehr Klarheit zu bekommen.
Welche Wirkung haben Einstellungen auf unser Leben? Wo zeigt sich der Einfluss von Einstellungen? Wenn etwas in unserem Wertekanon einen hohen Stellenwert einnimmt, dann werden unsere Sichtweisen, werden unsere Überlegungen und damit unsere Entscheidungen und letztlich unser Handeln davon beeinflusst.
Dass die gleichen objektiven Wahrnehmungen je unterschiedliche Interpretationen bei uns auslösen können, zeigt das bekannte Kippbild einer Frau.
Abb. 2: „Meine Frau und meine Schwiegermutter“ (Edwin Boring, 1915)
Wie alt ist die Frau, die Sie hier sehen? Eher 20 oder eher 70? Hängt auch diese „Sichtweise“ von Ihren Einstellungen ab? Je nachdem, ob wir den unteren dicken Strich als Mund der alten Frau oder als Halsband der jungen Frau wahrnehmen, „sehen“ wir etwas anderes.
Wie bei diesem Kippbild „sehen“ wir die Wirklichkeit unterschiedlich. In ähnlicher Weise ist auch unsere Umgebung häufig mehrdeutig, wir können sie unterschiedlich wahrnehmen und Einstellungen spielen eine wesentliche Rolle, wie wir sie wahrnehmen.
3 Die Wirkung von Einstellungen auf das Leben
Bisher habe ich aus meinen Überlegungen folgende einfache Konsequenzen gezogen und hier dargestellt:
1. Unsere Einstellungen beeinflussen unser Leben.
2. Viele unserer Einstellungen sind uns nicht bewusst.
Es kann also sein, dass wir negative Erlebnisse und für uns ungünstige Entwicklungen erleben oder dass wir bestimmte, uns wichtig erscheinende Ziele nicht erreichen, weil wir von unbewussten Einstellungen beeinflusst werden. Um das zu vermeiden, müssen wir herausfinden, welche Einstellungen unser Verhalten in welcher Art und Weise beeinflussen.
Könnte es z. B. sein, dass wir deshalb finanzielle Schwierigkeiten haben, weil wir unbewusst eine negative Einstellung zum Geld haben? Könnte es sein, dass wir deshalb Probleme mit unserem Partner haben, weil wir unbewusst davon überzeugt sind, dass niemand zu uns passt, dass wir keine glückliche Partnerschaft verdienen und dass man jemanden mit unseren Eigenschaften nicht gern haben kann? Groucho Marx soll einmal gesagt haben: „In den Club, der bereit ist, mich aufzunehmen, gehe ich auf keinen Fall!“
Die Lösung aus diesem Dilemma kann nur heißen, dass wir versuchen, uns die Einstellungen bewusst zu machen, die unsere Ziele torpedieren, um sie dann zu ändern. Dies ist ein wesentlicher Teil einer Psychoanalyse, aber ich bin davon überzeugt, dass wir auch ohne Psychotherapeuten einen guten Schritt beim Aufdecken unserer Einstellungen vorankommen können. Freilich gibt es Situationen, in denen wir Hilfe von außen brauchen, in denen wir uns nicht selbst am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen können. Allerdings können wir auch in einem solchen Fall wesentlich dazu beitragen, dass uns von anderen geholfen werden kann. Wir bekommen sehr oft Hinweise, die nahelegen, dass wir eine bestimmte Einstellung haben, die unserer Umgebung merkwürdig erscheint. Oft hören wir dann aber nicht hin, wir beachten diese Hinweise nicht, oder wenn sie zu deutlich sind und wir sie nicht überhören können, dann wehren wir uns heftig gegen solche Einsichten; nicht selten, indem wir den angreifen, der uns zu dieser Erkenntnis verhelfen wollte. Wir verteidigen unser Selbstbild, das allerdings ein Selbstwunschbild ist – ein Bild, das nicht unbedingt der Realität entsprechen muss. Wir kommen auf das von Einstellungen gezeichnete Selbstbild in Kapitel 7 zurück.
3.1 Einstellungen und Lebensqualität
Du kannst dir die Situationen, die dir in deinem Leben begegnen, nicht immer schnitzen, aber du kannst immer die Einstellungen schnitzen, die zu den Situationen passen.
Natürlich können wir häufig auch die Situation „schnitzen“, in der wir leben. Wir können entscheiden, in welcher Stadt oder in welchem Haus wir wohnen, wo und in welchem Beruf wir arbeiten, mit wem wir zusammen sind. Aber da gibt es immer wieder Grenzen, wir müssen bei unseren Entscheidungen unübersehbar viele Argumente berücksichtigen und fühlen uns oft doch nicht so frei in unserer Entscheidung, wie wir gerne wären. Oft kommen dann noch Außeneinflüsse hinzu, die uns in eine Situation zwingen, die wir uns