Ich fragte Timbuctu, aber er wollte nicht antworten. Ich bestand nun nicht weiter darauf, aber fortan nahm ich von ihm nichts mehr zu Essen an.
Er liebte mich. Eine Nacht überraschte unsere Feldwache ein Schneegestöber. Wir saßen am Boden: mitleidig betrachtete ich die armen Neger, die unter diesem weißen weichen Staub klapperten. Da ich tüchtig fror, begann ich zu husten. Da fühlte ich etwas um die Schultern wie eine große, weiche Decke. Es war Timbuctu’s Mantel, den er mir um die Schultern hing.
Ich stand auf, gab ihm das Kleidungsstück zurück:
– Behalte Du’s mein Junge, Du brauchst’s nötiger als ich!
Er antwortete:
– Nein, Herr Leutnant, für Dir, ich nicht, ich heiß, heiß!
Und er betrachtete mich flehend. Ich antwortete:
– Also gehorche, behalte Deinen Mantel, ich befehle es Dir!
Da stand der Neger auf, zog seinen Säbel, den er scharf zu machen verstand wie eine Sense, und indem er mit der anderen Hand den großen Mantel, den ich nicht haben wollte, hielt, rief er:
–- Du nicht Mantel behalten, ich zerschneiden Mantel!
Er hätte es wirklich gethan, und ich gab nach.
Acht Tage darauf hatten wir kapituliert. Ein paar von uns hatten fliehen können, die anderen marschierten aus der Stadt in die Gefangenschaft der Sieger.
Ich begab mich zum Sammelplatz, da blieb ich ganz erstaunt vor einem riesigen, in weißes Leinen gekleideten Neger stehen, der einen Strohhut auf dem Kopf hatte, es war Timbuctu.
Er schien glückselig zu sein und lief, die Hände in den Taschen, vor einer kleinen Bude auf und ab, auf der als Aushängeschild zwei Teller und zwei Gläser prangten. Ich fragte ihn:
– Was treibst Du denn?
Er antwortete:
– Ich nicht fort, ich gut koch, haben Oberst essen gemacht in Allgier, ich essen Preuße, viel gestohlen, viel, viel.
Es waren zehn Grad Kälte; ich zitterte beim Anblick dieses Negers in seinem weißen Leinen-Anzuge. Da nahm er mich beim Arm und ließ mich eintreten.
Nun sah ich ein Riesenschild, das er vor die Thür hängen wollte, sobald wir abmarschiert wären, denn er schämte sich doch etwas, und ich las von der Hand irgend eines Mitschuldigen Folgendes geschrieben:
Militär-Restaurant des Herrn Timbuctu
Küchen-Chef Seiner Majestät des Kaisers.
Pariser Küche – Mäßige Preise.
Trotz der Verzweiflung, die ich im Herzen trug, konnte ich nicht anders, ich mußte lachen, und ich überließ meinen Neger seinem neuen Beruf, war das nicht besser, als ihn in die Gefangenschaft mit zu nehmen?
Sie haben eben gesehen, daß es ihm geglückt ist, dem Kerl. Heute gehört Béziéres Deutschland, aber das Restaurant Timbuctu ist der erste Schritt zur Revanche.
Der Schmuck
Sie war eines jener bildhübschen, reizenden Mädchen, die, wie durch einen Irrtum des Schicksals, in einer kleinen Beamtenfamilie geboren sind. Sie besaß keine Mitgift, keine Hoffnungen, kein Mittel, um in der Gesellschaft bekannt, geliebt und von einem reichen, vornehmen Manne heimgeführt zu werden.
Und da ließ sie sich mit einem kleinen Beamten aus dem Unterrichtsministerium verheiraten. Sie war einfach, da sie sich nicht elegant anziehen konnte und fühlte sich unglücklich wie eine Deklassierte.
Denn die Frauen gehören weder einer Kaste noch Rasse an, ihre Schönheit, ihre Grazie, ihr Reiz, sind für sie Geburtsschein und Familie. Ihre natürliche Feinheit, ihre geistige Anschmiegsamkeit geben ihnen die einzige Anwartschaft zum Herrschen und stellen die Tochter aus dem Volk mit der größten Dame gleich.
Sie litt unausgesetzt, denn sie fühlte sich für allen Luxus und für alles Schöne des Lebens geboren. Sie litt unter der Armseligkeit ihrer Wohnung, dem Elend in ihren vier Pfählen, unter den abgetragenen Sesseln, der Häßlichkeit der Stoffe.
All diese Dinge, die einer anderen Frau ihrer Kaste vielleicht nicht einmal auffielen, quälten sie und empörten sie. Der Anblick ihres kleinen Bretonischen Dienstmädchens, die ihre einfache Wirtschaft besorgte, erweckte in ihr verzweifeltes Bedauern und jammervolle Träume. Sie dachte an Vorzimmer mit orientalischen Teppichen behangen, in denen hohe Bronceleuchter brannten und wo in tiefen Sesseln zwei Diener in Kniehosen warteten, bei der Wärme des großen, schweren Kamins.
Sie dachte an Salons, mit Seide bespannt, und mit zarten Möbeln, mit köstlichen Nippes und Nichtsen; an kleine, reizende, duftgeschwängerte Boudoirs, die eigens gemacht schienen für eine kleine Unterhaltung Nachmittags zur Theestunde mit den intimsten Freunden, bekannten und bedeutenden Männern, deren Aufmerksamkeit alle Frauen wünschen und neiden.
Wenn sie sich zu Tisch setzte, an den runden Tisch, auf dem das Tischtuch schon tagelang lag, ihrem Manne gegenüber, der den Deckel von der Terrine abnahm und schmunzelnd sagte:
– O, die gute Suppe, das bleibt doch das beste!
Dann dachte sie an großartige Diners, mit glänzenden Silbersachen, wo die Wände bespannt waren mit Gobelins, auf denen seltsame Vögel mitten in einem Feenwald herumflatterten. Sie dachte an außergewöhnliche, herrliche Speisen in köstlichem Geschirr angerichtet, dachte an die Galanterien, die zugeflüstert und angehört werden mit Sphinxartigem Lächeln, während man das rosige Fleisch einer Forelle kostet oder am Flügel eines Birkhuhns knabbert.
Sie hatte keine Toiletten, keinen Schmuck, nichts, und doch liebte sie nur das, sie fühlte sich dazu geschaffen, sie hätte so gern gefallen, beneidet, gesucht und verführerisch sein mögen.
Sie besaß eine reiche Freundin, mit der sie im Kloster erzogen worden, aber sie mochte sie nicht aufsuchen, denn so schrecklich war es ihr jedesmal, wenn sie von dort zurückkam; sie weinte dann tagelang vor lauter Kummer, Verzweiflung und Elend.
Da kam eines Abends ihr Mann mit Siegesmiene herein, einen großen Brief in der Hand.
– Da ist was für Dich! sagte er.
Sie riß schnell das Couvert auf und fand darin eine gedruckte Einladung folgenden Inhalts:
»Seine Excellenz der Unterrichtsminister und Frau Georg Ramponneau geben sich die Ehre Herrn und Frau Loisel für Montag den 18. Januar zur Soiree ergebenst einzuladen.«
Statt glücklich zu sein, wie ihr Mann es erhofft, warf sie die Einladung mit gerümpfter Nase auf den Tisch und murmelte:
– Was soll mir das nützen?
– Aber liebes Kind, ich dachte, Du würdest glücklich sein. Du kommst nie heraus, und da hast Du nun einmal eine schöne Gelegenheit dazu. Es war schwer genug, die Einladung zu kriegen, alle Welt will eine haben, und nicht alle Beamten kriegen eine. Alle offiziellen Persönlichkeiten werden da sein.
Sie sah ihn erregt an und sagte ungeduldig:
– Was soll ich denn anziehen, um dorthin zu, gehen?
Daran hatte er nicht gedacht und stammelte:
– Gott das Kleid, das Du zum Theater anziehst, das scheint mir doch ganz nett!
Er schwieg, auf den Mund geschlagen, ganz verzweifelt, als er sah, daß seine Frau weinte.
Zwei große Thränen rollten langsam aus den Augenwinkeln herab, und er stammelte:
– Was hast Du denn? Was hast Du denn?
Mit aller Gewalt kämpfte sie ihre Verzweiflung nieder und sagte mit ruhiger Stimme, indem sie ihre nassen Wangen abwischte: