Kurt Tucholsky - Gesammelte Werke - Prosa, Reportagen, Gedichte. Kurt Tucholsky. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Kurt Tucholsky
Издательство: Bookwire
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954185214
Скачать книгу
Weile:

      »Ja, haber – ich möchte doch aber gern…«

      »Was möchst du gern?«

      »Das Grüne–«

      »Aber ich sage dir ja, zieh’s an!«

      »Ja… aber… wenn du’s mir sagst, macht’s mir gar keinen Spaß. Du mußt sagen: Zieh’s nich an, mußt du sagen, oder: zieh das Weiße an, tja.«

      Und bevor er sich noch erholt hatte, fing sie an, ein wundervolles Gezänk von sich zu geben, nach Art gewisser Frauen, die sich beleidigt glauben und ihren Gefühlen auch dem Dienstmädchen gegenüber keinen Hehl zu machen pflegen. Das Ganze paßte nicht recht her, aber sie war im Zuge, da war nichts zu machen.

      »So? – Also in meinem Hause lasse ich mir das nicht sagen, ich nicht! Sie stauben meine kostbaren Seidenmöbel nicht ab, Sie… Geschöpf! – Aber mein Mann, der Bergassessor…«

      Er floh. Noch auf dem Korridor hörte er sie wie einen Schusterjungen pfeifen.

      Auf den Kaffeetisch schien die Sonne: hier roch es stark und ländlich nach Milch, Butter und einer frischgewaschenen Decke. Bienen und dicke Fliegen schwammen in einem alten Honigglas, das der vorsorgliche Wirt mit Zuckerwasser gefüllt hatte.

      Sie kam herunter, eine Weile sprachen sie nichts. Sie aß. mein Gott, sie aß und hatte Hunger, den richtigen Morgenhunger des Langschläfers.

      »Claire?«

      »Wolf?«

      »Ich denke, wir fahren heute morgen ein wenig spazieren.«

      »So, und ich? – Mich nimmt er gar nicht mit! – Ich will auch mit!«

      »Ich sagte: wir.«

      »Buh, buh!«

      »Ja, du kannst auch mit. Nu weine man nich und eß.«

      »Wolfgang, ein so wunderschönes Deutsch sprichst du ja auch nicht, nein, das kann man nicht sagen. Aber keine Sorge: Meine Bemühungen werden mich das Ziel schon erreichen lassen.«

      Sie konnte ganz gewählt sprechen, wie es wohl alte Erzieherinnen manchmal tun, mit übermäßig stark betonten Endsilben und weit nach hinten gerutschten Gaumen-Rs.

      »Mein Papa sagt immer, Wölfschen, ich spräche keinen guten Deutsch. Wie? – Ja, er ist ein erfahrener Greis, aber wie steht es ihm an zu sprechen ›Stoße nicht in das Horn des Leichtsinns, mein Kind, und witzele nicht über so schwerwiegende Dinge!‹ Ich frage dich: Hat er unrecht oder hat er unrecht? Zwei Möglichkeiten kommen nur in Betracht.«

      »Er hat recht. Da kommt der Wagen.«

      Es war sein Glück. Denn schon hatte sie sich hochaufgerichtet und stand da, die Hände fest auf den Tisch gedrückt und schielte…

*

      Leicht und schnell rollte der Wagen durch die grüne Allee.

      »Wolfgang?«

      »Claire?«

      »Merks du nichs?«

      »Wie bitte?«

      »Obs du nichs merks?«

      »Nein.«

      »Na, aber süh mir mal an!« »Bei Gott, nichts. Zuckt die Achseln.«

      »Du mußt das nicht mitsprechen, was in Klammern steht. Zuckt die Achseln, das steht in Klammern, weißt du? – Aber rnerkst du nichts?«

      »Du hast dich gewaschen.«

      »P! – Aber… ein blaues Band hatt’ ich gestern durch mein Hemd gezogs, un nu nich mehr. Du erlaubs mirs ja nich. Du ja nich.«

      Bot sie nicht das Aussehen einer sichtlich Gekränkten, die schmollend die bessern Gefühle des Geliebten anrief?

      »Du hast ja ’n Freund, der wo sagt, bunte Bänders in der Wäsche tragen nur Kellnerinnen! Konnst deinem Freund gesagt haben, er konnt bei mir gegangen gewesen sein, ob ich vielleicht ’ne Kellnerin war.«

      Ja, er wolle das bestellen.

      Aber nun mußten sie in das Grüne sehen, das sich an ihnen vorüberbewegte. Nicht, als ob dieser Wald jene gerühmte Schönheit besessen hätte, wie wir sie auf Bildern und Postkarten zu sehen Gelegenheit haben. Er wies keine »Partien« auf, keine Durchblicke. Aber er machte sie froh. Es war wohl mehr ihre allgemeine Freude, am Leben zu sein. Zwischen den Vergangenen und denen, die noch kommen würden – jetzt waren sie an der Reihe – hurra!–

      An einer Biegung der Chaussee machte der Kutscher halt, murmelte und verschwand im Gebüsch. Die Claire begleitete seinen Weggang mit frommen Reden… Und dann fuhren sie weiter, und an einem Wirtshaus am See wurde Rast gemacht, und dort gab es zu essen.

      Und dann fuhren sie wieder auf langen Umwegen nach Hause, nach Rheinsberg. Fußgänger begegneten ihnen, schwitzende Familienväter, die ihre Spazierstöcke mit den baumelnden Jacken am Ende Gewehr über trugen und schweigend der nächsten Bierquelle zustrebten, Verliebte, die mit verkrampften Händen selig daherstolperten, einmal hörten sie das Bruchstück eines Gespräches zweier spitzmäuliger Damen.

      »Ja«, sagte die eine, »und denken Sie, sie ist eine Berlinerin, aber wissen Sie, im guten Sinne des Wortes…«

      Der Wagen juckelte und knarrte, bald gehen die Pferde im Trab, bald trotten sie langsam mit gesenkten, nickenden Köpfen… Und immer konnte man, wenn es einem beliebte, den Kopf nach hinten legen, »auf den Verdeck«, wie Claire das nannte, und dann sah man in die Wolken, immer in die Wolken, während der Körper im Rhythmus des Fahrens angenehm bewegt wurde…

      Am Spätnachmittag kamen sie an; es war heiß, vielleicht würde es abends ein Gewitter geben, sagte der Wirt. Sie gingen in den Park. An einem kleinen Rondell schimmerten weiße Figuren aus dem Blätterwerk. Ein Satyr lehnte an einem Baumstumpf, mit gesenkter Flöte, ein Faun stach eine fliehende Nymphe… Das Schloß leuchtete weiß, violett funkelten die Fensterscheiben in hellen Rahmen, von staubigen Lichtern rosig betupft, alles spiegelte sich im glatten Wasser. Baurngruppen standen da, rötlich-gelb beschienen mit schwärzlichen Schatten, sie warfen lange, dunkle Flächen auf den Rasen. Träge schob sich der See in kleinen Wellchen an die schilfigen Ufer.

      »Brühheiß. Kann man eigentlich so den Hitzschlag bekommen, Claire?«

      Sie lag am Boden und kaute einen Halm, der schwankend ihrem Munde entwuchs.

      »Das kommt ganz auf die Innentemperatur an, mein Junge. Du – bei deiner Hitze – ja, du kannst wohl einen kriegen! Zeig’ mal die Zunge – hm…«

      »Du tätest auch besser daran, mehr in den Kollegs aufzupassen, anstatt Herzen mit meinen Initialen in die Bänke zu schneiden. Überhaupt das Frauenstudium…«

      »Bitte, nehmen Sie Platz.« Sie war ganz Würde, und obgleich sie im Gras saß, konnte man glauben, was den Ausdruck ihres Gesichts anbetraf, einen vielbeschäftigten, an seinen Patienten interessierten Arzt vor sich zu sehen.

      »Einen Weg zur Heilung werden wir schon finden… schon finden…«

      Sie kraute sich einen imaginären Bart. »Wissen Sie, ob Ihr Herr Großpapa jemals an einem icterus katarrhalis litt? Oder an einer angina vincentis? Nun, wir werden das Übel schon beheben. Darf ich bitten, den Mund zu öffnen, weiter, weiter – so…« Und sie warf den Aufhorchenden mit einem starken Stoß nach hinten, ins Gras…

      Die Luft lag unbeweglich, drückend, sie schritten über eine Brücke, darunter das Wasser grün und schleimig abfloß. Sie blickten hinunter. Blätter schwommen vorbei, kleine Zweige, Hölzchen…

      »Wolfgang?«

      »Claire?«

      »Erlaubsus mir? Ja? Nur einmal! Bitte! Bitte!«

      Sie drängte sich an ihn, umkoste ihn, ging ihm um den Bart, sozusagen…

      »Was denn, was denn, Kind?« Er machte sich frei.

      »Erlaubs mir doch! Nie nich erlaubsu mir wen! Ich möcht’ doch soo gern…«

      »Aber was denn?«

      Sie schwieg. Sie sahen wieder von der Brücke in das