„Das ist eine Lüge! Eine Lüge!“ rief Diona.
Doch Simon konnte triumphieren. Sir Hereward hatte seine Entscheidung getroffen.
„Gib Heywood die Anweisung“, sagte er zu seinem Sohn. „Er soll dafür sorgen, daß die Wildhüter alles erschießen, sei es Hund oder Katze, was sie in den Wäldern entdecken.“
Diona kannte diesen entschlossenen Ton. Es hatte keinen Sinn, ihn länger zu bitten. Sie hätte schreien mögen, angesichts der Grausamkeit und Ungerechtigkeit ihres Onkels, doch sie stand nur auf und verließ mit mühsam bewahrter Würde das Frühstückszimmer. Der Triumph und die Genugtuung in Simons Blick entgingen ihr nicht.
Erst als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte und draußen in der Eingangshalle stand, begann sie wie gehetzt die Treppe hinaufzulaufen, gefolgt von Sirius.
Er war ein Geschenk ihres Vaters, das er ihr kurz vor seinem Tod gekauft hatte. Sirius war ein quirliger Welpe gewesen, bei dem sich die schwarzen Flecken auf dem weißen Fell bereits zeigten, da er älter als zwei Wochen war. Seine Augen konnten rührend um Liebe betteln, so daß Diona ihn fest an sich drückte. Einen Hund wie Sirius hatte sie sich immer gewünscht.
Als ihr Vater und bald darauf ihre Mutter gestorben waren, hatte Sirius sie getröstet. Er hatte über ihre Wangen geleckt und sich an sie geschmiegt, während sie in hilfloser Verzweiflung weinte. Er schien zu wissen, daß Diona ohne ihn völlig allein wäre auf der Welt.
Sie hatte noch weitere Verwandte, doch keiner lebte in der Grafschaft, und keiner war in der Lage, Diona ein Heim anzubieten. Zudem war sie völlig mittellos.
Ihr Vater hatte jeden Penny seines kleinen Vermögens für Pferde ausgegeben, die er trainieren und dann mit Gewinn verkaufen wollte. Die ersten drei, vier Pferde, die er gekauft hatte, übertrafen seine Erwartungen, und er plante, ein richtiges Gestüt aufzubauen.
„Vielleicht scheint es übertrieben“, hatte er zu seiner Frau gesagt, „aber ich habe die Möglichkeit, einige ungewöhnlich gute Rassetiere von dem Gut eines alten Freundes in Irland zu kaufen, der gerade Bankrott gemacht hat. Ich wäre dumm, wenn ich mir diese Gelegenheit entgehen ließe.“
„Natürlich, Liebster“, hatte seine Frau erwidert. „Keiner hat ein besseres Gefühl für Pferde als du. Ich bin sicher, daß sie guten Profit abwerfen werden.“
Aufgrund seiner bisherigen Erfahrung vertraute Harry Grantley seinem Können, und als die Tiere eintrafen, zeigte sich, daß sie noch mehr Klasse besaßen, als er gehofft hatte. Natürlich waren sie ausnahmslos wild, und es war ein hartes Stück Arbeit gewesen und hatte schier endlose Geduld erfordert, sie zu zähmen. Für Diona war es immer ein Erlebnis gewesen, ihrem Vater bei der Arbeit zuzusehen. Er hätte sie niemals ein Pferd reiten lassen, wenn er nicht von Dionas Sicherheit überzeugt gewesen wäre. Trotzdem wußte Diona, daß sie eine außergewöhnlich gute Reiterin war. Sie hatte schon im Sattel gesessen, als sie gerade erst zu laufen begonnen hatte.
Eines der irischen Pferde war es gewesen, das ihren Vater getötet hatte. Da die meisten Pferde des Gestüts noch nicht gezähmt waren, erzielte Dionas Mutter beim Verkauf dieser Tiere kaum noch das, was sie einmal gekostet hatten. Dennoch schafften sie es, in den folgenden Monaten nach dem Tod ihres Vaters einigermaßen über die Runden zu kommen.
Diona blieb es nicht verborgen, daß ihre Mutter immer mehr abmagerte und daß es ihr zunehmend schwerer fiel, sich für irgendetwas außer ihrer Tochter zu interessieren. Schon ein Lächeln wurde für sie zur Anstrengung, zu einem Lachen gar war sie nicht mehr fähig. Obwohl ihre Mutter sich tagsüber tapfer zusammennahm, wußte Diona, daß sie den größten Teil ihrer Nächte in Tränen verbrachte, mit denen sie ihren geliebten Ehemann betrauerte.
Später hatte Diona sich oft gefragt, ob sie es nicht vermocht hätte, ihre Mutter zu retten. Doch wenn sie darüber nachsann, wußte sie, daß ihre Mutter nicht eigentlich körperlich krank gewesen war. Sie hatte einen seelischen Zusammenbruch erlitten, der es ihr unmöglich gemacht hatte, ohne den Mann weiterzuleben, den sie geliebt und mit dem sie ihr Leben geteilt hatte.
Wenigstens waren sie zusammen glücklich, dachte Diona in der Kälte, die ihr überall im Haus ihres Onkels begegnete. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihr nicht bewußt gewesen, daß nicht Ziegelsteine und Mörtel ein Haus zu einem Heim machen, sondern die Menschen, die darin leben.
Grantley Hall hätte ein schönes Haus sein können, denn Dionas Onkel war ein reicher Mann, und die Möbel und die Bilder, die er geerbt hatte, waren Prachtstücke verschiedener Epochen, die sich zu einer Familiensammlung zusammengefügt hatten.
Doch weil ihr Onkel ein schwieriger und enttäuschter Mann war, in dessen Leben es kein Glück gab, erschien Diona das ganze Haus so dunkel und so kalt wie die Herzen derer, die darin lebten.
Selbst das Personal war alt und mürrisch. Es mochte keine Befehle entgegennehmen, fürchtete aber andererseits, auf einen Protest hin, die Stellung zu verlieren.
In den Ställen von Grantley Hall waren einige ausgezeichnete Pferde untergebracht, und in den Zwingern sprangen die Hunde herum. Doch Diona fand, daß selbst diese Tiere sich von den Pferden ihres Vaters und den Hunden, die sie so sehr liebte, unterschieden, denn da gab es niemanden, der sich für sie als Lebewesen interessierte.
Anfangs hatte ihr Onkel eingewilligt, daß Sirius neben ihrem Bett schlief und ihr überallhin folgen durfte. Dann brachte Simon ihn gegen den Hund auf, so daß er Sirius fast nur noch als „verdammten Köter, der uns noch Haus und Hof wegfrißt“ beschimpfte. Damit spielte er taktlos auf die Tatsache an, daß Diona kein eigenes Geld besaß und er nach dem Tod von Dionas Mutter die Schulden ihres Vaters bezahlt hatte. Wenn die Summe der offenen Rechnungen auch nicht groß war - Mrs. Grantley hatte Monat für Monat in Raten die Schulden abbezahlt -, so war Sir Hereward doch sehr ungehalten darüber. Auch den Bediensteten gegenüber, die ihre Eltern beschäftigt hatten, verhielt er sich nicht sozial. Drei von ihnen wurden entlassen, während ein älteres Paar sich vorläufig um das Haus kümmern sollte.
„Ihr könnt hierbleiben“, hatte Sir Hereward zu den alten Leuten gesagt, „bis ich einen Käufer für dieses Anwesen gefunden habe. Dann werde ich wohl eine Hütte für euch suchen müssen. Ansonsten, das ist wohl klar, bedeutet das für euch das Armenhaus.“
Diona protestierte zwar über seine Art, wie er mit diesen Menschen umging, doch sie konnte nichts dagegen tun. Wenn Sir Hereward seine Drohung mit dem Arbeitshaus auch nicht wahrmachen würde, so genügte doch bereits die Ankündigung, um die alten Leute einzuschüchtern und ihnen schlaflose Nächte zu bereiten. Bevor sie ging, hatte Diona den beiden versprochen, alles zu tun, um ihnen zu helfen, falls das Haus verkauft würde.
„Ich persönlich halte einen Verkauf für wenig wahrscheinlich“, hatte sie gesagt, um das Paar aufzumuntern. „Nicht viele Menschen würden in einer so einsamen Gegend leben wollen, und Papa mochte das Haus nur deshalb so sehr, weil er in seiner Umgebung so gut ausreiten konnte.“
Diona wußte, daß ihr Vater seinem Bruder und Grantley Hall nahe sein wollte, wo er als Junge so glücklich gewesen war.
Als sein Vater noch lebte und bevor er zur Armee ging, waren Harry und seine Freunde auf Grantley Hall immer willkommen gewesen. Einige Jahre später hatte er eine Frau geheiratet, in die er unsterblich verliebt gewesen war.
Im Jahr des Friedens zwischen England und Frankreich, 1802, war Dionas Vater auf das kleine Gut gezogen, weil er, wie er optimistisch verkündete, eine große Familie gründen wollte. Vielleicht war er enttäuscht gewesen, daß ihre Ehe nur mit einem Kind gesegnet war, und das war auch noch eine Tochter, doch hatte er es Diona niemals fühlen lassen.
Erst nach dem Tod ihres Vaters kam es Diona manchmal in den Sinn, daß er lieber einen Sohn gehabt hätte, der die Baronetswürde hätte übernehmen können. Da ihr Onkel keinen älteren männlichen Erben hatte, würde ihr Cousin Simon eines Tages diesen Rang einnehmen. Für Diona war dies eine logische Abfolge, nur betrübte es sie, daß Simon offensichtlich nicht ganz normal war.
Nein, es hatte keinen Sinn, an Wenn und Aber zu denken. Sie mußte sich dem