Später wusste Frau Barkany schon, was der Buchbinder auf dem Herzen hatte, und rief jedesmal lachend: »Nicht wahr? die Esmeralda bin ich, oder bei der Herzogin haben Sie natürlich wieder an mich gedacht.«
Dem Notar band er juristische Werke ein, da entwickelte er jedes Mal seine eigenthümliche Rechtsphilosophie, beim Doktor stürzte er sich mit Eifer in eine medizinische, bei dem in Ruhestand versetzten Professor Harburg in eine historische oder geographische Diskussion. Und immer fand er einen originellen, nicht selten spasshaften Gesichtspunkt. So behauptete er steif und fest, schon Moses habe die Trichinen entdeckt und deshalb den Genuss des Schweinefleisches verboten.
Simcha Kalimann übte aber auch eine Art moralisches Richteramt aus. Frau Barkany gab ihm eines Tages Zola's »Nana« in der Budapester deutschen Ausgabe mit Illustrationen. In der Dämmerungsstunde ertappte er Hirsch, der sich im Winkel beim Fenster an den Bildern ergötzte. Er ergriff ihn beim Schopf, schüttelte ihn wie einen jungen Hund und begann dann in dem Buch zu blättern. Er schüttelte den Kopf, dann wischte er seine Brille ab, als traue er seinen Augen nicht und endlich klappte er das Buch zu.
Frau Barkany wartete lange Zeit geduldig auf ihre »Nana«, dann sendete sie ihre Köchin Gütel und bat um dasselbe, da aber Kalimann Ausflüchte gebrauchte und wieder ein paar Wochen vergingen, ohne dass Zola's Roman abgeliefert wurde, so erschien eines Tages die schöne Frau selbst in Kalimann's Hause.
»Ich möchte doch endlich meine »Nana« haben«, sagte sie.
»So?« Kalimann fuhr fort zu arbeiten.
»Haben Sie das Buch noch nicht gebunden?«
»Nein.«
»Wann kann ich es also haben?«
»Das Buch bekommen Sie nicht zurück, Frau Barkany.«
»Wie? Sie sind wohl nicht gescheidt!«
»Es ist besorgt und aufgehoben,
Der Herr wird seine Diener loben«,
antwortete Kalimann mit den Versen aus Schiller's Gang nach dem Eisenhammer, »die »Nana« habe ich einfach in den Ofen gesteckt.«
»Kalimann, das ist wirklich stark!«
»Das ist kein Buch für eine jüdische Frau.«
Frau Barkany war roth geworden, aber sie gab sich noch nicht für besiegt. »Wenn Sie mir das Buch verbrannt haben«, sagte sie, »werden Sie mir Schadenersatz dafür leisten.«
»Sehr gerne«, sagte der Buchbinder, nahm ein Bild von der Wand und gab es ihr. Es war die Scene aus Schiller's Glocke, wo die Mutter von ihren Kindern umgeben im Erker ihres Hauses thront. Unter dem Bilde waren die Verse zu lesen:
Im Hause waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise.
Gelehrte, Dichter, Künstler verehrte der Buchbinder von Hort fanatisch, ob sie Juden, Christen oder Türken waren. Als er das erste Mal bei Frau Barkany das bekannte Bild sah, das Schiller zu Karlsbad auf einem Esel sitzend, darstellt, begann Kalimann zu weinen.
»So ein Mann muss reiten auf einem Esel«, rief er aus, »während so gewöhnliche Menschen, wie der Baron Fay oder der Herr von Mariassy reiten stolz auf Pferden.«
Später erinnerte er sich aber, dass Bileam eine Eselin geritten hatte und kam schliesslich zu dem Resultat, dass Schiller auch ein Prophet war.
Vielleicht steckte auch in Kalimann ein Poet, ein Prophet.
Er trieb nämlich neben der Buchbinderei noch ein anderes Handwerk, das unter den Juden im Osten nicht allzu selten ist und auch seinen goldenen Boden hat.
Kalimann war nämlich Liebessekretär.
Das will sagen, er machte ein Geschäft daraus, Leuten, die weder lesen noch schreiben konnten, Liebesbriefe zu verfassen. Hier zeigte er sich als der Anakreon und Petrarca von Hort. Zahlreiche Kunden strömten ihm zu und Kalimann sicherte sich durch seine zärtliche, gefühlvolle Feder ein ganz hübsches Nebeneinkommen.
Eines Tages erschien auch Gütel Wolfram, die Köchin der Frau Barkany, bei ihm und bestellte einen Liebesbrief an ihren Freund in Gyöngös.
»Also, mein Schatz, Sie hat auch Amor's Pfeil getroffen«, sagte Kalimann schäkernd.
»Gott über die Welt!« rief Gütel, »er heisst doch nicht Amor, sondern Mendel Sucher und mit Pfeilen schiesst er auch nicht.«
Nachdem die verliebte Köchin dem Buchbinder ihre Gefühle geoffenbart hatte, verlangte sie den Preis zu wissen.
»Das hängt nicht von der Länge des Briefes ab«, erwiderte Kalimann, »sondern ganz von der Qualität.«
1. Ein freundlicher Brief | 10 | Kreuzer |
2. Ein Brief, der liebenswürdig und ermunternd | 15 | " |
3. Ein zärtlicher Brief | 20 | " |
4. Rührend | 30 | " |
5. Ein recht zum Herzen sprechender | ½ | Gulden. |
»Also für diesmal einen freundlichen«, sprach Gütel und legte 10 Kreuzer auf den Tisch.
»Für Sie«, sagte Kalimann galant, »soll er für denselben Preis freundlich, liebenswürdig und ermunternd sein.«
Mendel Sucher bekam den nächsten Tag den Brief, und da er auch nicht lesen konnte, so ging er zu Saul Wehl, der Schreiber bei einem Advokaten in Gyöngös war und dasselbe erotische Metier betrieb.
Wehl las ihm den Brief Kalimann's mit solchem Pathos vor, dass Mendel ganz ergriffen war und sofort einen Zwanziger auf den Tisch legte, damit Saul ihm einen ebenso schönen an Gütel schreiben möge.
Saul erkannte sofort Kalimann's Schrift und dachte: »Ich will dem Buchbinder einmal beweisen, dass man auch in Gyöngös Briefe schreiben kann und die Klassiker liest«. Und er schrieb an Gütel einen Brief, der vollständig gespickt war mit Zitaten aus dem hohen Lied, aus Goethe, Petöfii, Heine und Chateaubriand, dass der armen, kleinen Köchin der Kopf davon ganz wirblig wurde, als Kalimann ihr die Liebesepistel vorlas und dass der Buchbinder selbst sich hinter dem Ohr kratzte und murmelte: Er ist belesen, der Saul, und hat eine kräftige Feder; wer hätte das gedacht!
In dieser Weise ging der Briefwechsel zwischen Gütel und Mendel, oder eigentlich zwischen Kalimann und Saul fort.
Wenn Kalimann den Mendel »mein holder Freund« oder »mein Täubchen« nannte, so prunkte wieder Saul mit Wendungen, wie: »Ihre Gazellenaugen, Ihre Elfengestalt, Ihre Rosenlippen, Ihre Stimme, die wie Sphärenmusik erklingt.«
Dem liebenswürdigen Brief hatte Kalimann mehrere zärtliche und zwei rührende folgen lassen. Endlich kam der recht zu Herzen sprechende. Gütel hatte sich entschlossen, den halben Gulden zu opfern und brachte Kalimann überdies noch eine gute Flasche Wein. Der Buchbinder schenkte ein, trank, schnalzte mit der Zunge und begann zu schreiben.
Plötzlich aber rief er aus: »Wissen Sie, Gütel, das war eine gute Idee mit dem Wein, aber Hafis singt nicht vom Wein allein, auch frische Mädchenlippen haben ihn begeistert.«
Diesmal verstand Gütel sofort: »Da ich schon einen halben Gulden spendirt habe«, sagte sie verschämt, indem sie sich den Mund mit der Schürze abwischte, »und die Flasche Wein, kommt es mir auf einen Kuss auch nicht mehr an«, und sie gab dem glücklichen Buchbinder