„Nur vielleicht?“
„Ich nehme an, er möchte sich nicht binden - für den Fall, daß seine Affäre mit dieser Frau geringere Probleme aufwirft als erwartet“, entgegnete Caroline bitter.
Damit hatte sie die Situation viel klarer erfaßt, als Roxana es ihr zugetraut hätte.
„Ich finde, mit diesem Verhalten beleidigt er dich zutiefst. Dein Vater hätte ihn abweisen sollen.“
„Das würde Papa sicher tun, wenn ich ihn darum bäte. Aber Mama wird es zu verhindern wissen und alles tun, um mich mit dem Marquis zu verheiraten.“
Roxana konnte ihrer Kusine nicht widersprechen und sagte leise: „Du tust mir so leid.“
„Wenn ich bloß wüßte, was ich machen soll! Ich muß Patrick um Rat fragen.“
„Dann mußt du bis morgen früh warten.“
„Unmöglich! Das halte ich nicht aus. Ich muß ihn noch heute abend treffen. Mama und Papa sind beim Landrat zum Dinner eingeladen. Bitte, hilf mir Roxana - reite zum Fairley-Hof und sage Patrick, er soll zu unserem üblichen Treffpunkt kommen. Hier darf er sich nicht blicken lassen. Die Dienstboten würden es Mama sofort erzählen.“
„Und wie erklären wir meine Abwesenheit, wenn Tante Sophie nach mir fragt? “
„Glaubst du, daß sie das tun wird?“
Roxana zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht befürchtet sie, ich könnte dich gegen den Marquis aufhetzen, und kommt hierher, um das zu unterbinden.“
Caroline wußte, daß ihrer Mutter solche Gedankengänge keineswegs fern lagen. Sie stand auf und begann rastlos umherzuwandern.
„Ich muß Patrick unbedingt sehen.“
„Ich gebe ihm Bescheid“, versprach Roxana, „aber erst nach
fünf, wenn sich deine Mutter hinlegt. Leiste ihr Gesellschaft und verwickle sie in ein Gespräch über den Marquis, das wird sie ablenken.“
Caroline schnitt eine Grimasse, gab aber zu, daß dieser Plan
vernünftig klang und Roxana eine Möglichkeit bot, das Schloß unbemerkt zu verlassen.
Sie unterhielten sich noch eine Weile, und Caroline betonte immer wieder, sie könnte niemand anderen als Patrick heiraten.
Roxana wußte, daß ihre Kusine auf verlorenem Posten kämpfte. Falls bis zum Eintreffen des Marquis von Quorn kein Wunder geschah, würde die Herzogin Caroline zwingen, seinen Antrag anzunehmen.
Roxana genoß den Ritt über die Felder, obwohl sie sich wegen ihrer Selbstsucht Vorwürfe machte. Sie war froh, dem Schloß und der mühsamen Näharbeit für eine Weile zu entrinnen, konnte aber ihre Augen nicht vor der betrüblichen Tatsache verschließen, daß ihr Vorhaben erfolglos bleiben würde.
Wie sehr sich Patrick und Caroline auch lieben mochten - gegen den Marquis hatte der junge Mann keine Chance. Sowohl der Herzog als auch die Herzogin würden es als Unverschämtheit betrachten, wenn der unbedeutende Nachbar um die Hand ihrer Tochter anhielte.
Da Roxana ihre Kusine sehr gut kannte, wußte sie, wie gut Caroline zu Patrick passen und daß sie an seiner Seite ein Glück finden würde, das ihr in einer Ehe mit dem Marquis niemals vergönnt wäre.
Nach allem, was Roxana über diesen Mann erfahren hatte, hielt sie ihn für einen wilden Wüstling, der höchstens von einer Ehefrau wie jener grünäugigen, rothaarigen und sicher sehr temperamentvollen Dame gezähmt werden könnte. Wenn sie auch die ,Beau Monde‘ nicht kannte, eins glaubte sie zu wissen - nur eine leidenschaftliche Liebe würde einen solchen Mann glücklich machen und veranlassen, einer einzigen Frau treu zu bleiben.
Wie sie wußte, hatte ihr Vater viele Liebesaffären gehabt, bevor er ihrer Mutter begegnet war. Das hatte sich gar nicht vermeiden lassen, weil er so attraktiv und lebenslustig gewesen war.
Lord Leo hatte seinen Bruder nicht um dessen Reichtum, das Schloß, die Ländereien und schönen Rassepferde beneidet, über seine eigene Armut gelacht und das Beste aus seinen wenigen Pferden gemacht. Aufgrund seiner Reitkünste hatte er so manches Rennen gewonnen, obwohl viel bessere Pferde als das seine an den Start gegangen waren.
Seine Lebensfreude färbte auf alle Leute ab, die in seine Nähe kamen, und deshalb bemerkte Roxanas Mutter eines Tages scherzhaft, die Frauen würden ihm nachlaufen wie Kinder einem Rattenfänger.
„Als ich dich gefunden hatte“, erwiderte Lord Leo, „verschwanden sie alle wie die Ratten in ihren Löchern, um sich nie wieder blicken zu lassen. “
„Kann ich mir da sicher sein?“ fragte Yvette lachend.
„Da du eine Hexe bist, weißt du doch, daß ich durch einen Zauber an dich gekettet bin, den ich nicht bannen kann - und den ich niemals missen möchte.“
Roxana überlegte, wieviel die beiden einander bedeutet hatten. Vielleicht war es genau das, was auch der Marquis von Quorn brauchte - einen Zauber, dem er nicht entkommen konnte und von dem er sich auch gar nicht befreien wollte. Und so lieb und gut Caroline auch sein mochte - so faszinierende Reize hatte sie nicht zu bieten. Sobald die beiden verheiratet wären, würde er zu seiner rothaarigen Sirene zurückkehren. Und seine Frau würde allein zu Hause sitzen.
Wie Roxana gehört hatte, führten viele aristokratische Ehegattinnen ein solches Leben, während ihre Männer sogenannten anderen Interessen nachgingen. Über diese Dinge kursierten zahlreiche Gerüchte, sowohl in den Salons als auch in Ställen und Küchen - überall, wo sich Klatschmäuler versammelten.
Wie kann ich Caroline vor einem so harten Schicksal bewahren? fragte sich Roxana und fand keine Antwort.
An der Grenze der herzoglichen Ländereien angekommen, hielt sie Ausschau nach Patrick.
Er hatte viele Pflichten übernommen, bewegte die Pferde seines Vaters und beaufsichtigte die Wald- und Feldarbeiter, denn er wollte lernen, das Gut selbst zu verwalten, wenn er es eines Tages erbte.
Ein solches Leben wäre auch für Roxanas Vater ideal gewesen, hätte er genug Geld und Ackerland besessen. Aber der Herzog hatte ihm nur das kleine Haus und ein paar Felder überlassen, und so war Lord Leo die Zeit oft lang geworden. Deshalb hatte er mit seiner Frau viele Wochen im Jahr in London verbracht und seine finanziellen Möglichkeiten bei weitem überschritten.
Ich glaube, es ist sehr wichtig, daß man stets beschäftigt ist und keine Zeit findet, Dummheiten zu machen, dachte Roxana philosophisch. Dann erinnerte sie sich seufzend an ihre umfangreichen Näharbeiten, die nun vernachlässigt im Schulzimmer lagen.
Sie hatte den Fairley-Hof - ein nicht allzu großes, aber hübsches rotes Ziegelhaus - schon fast erreicht, als sie Patrick entdeckte und erleichtert aufatmete. Er ritt aus dem Wald zu ihrer Rechten und war offenbar auf dem Heimweg.
Als er sie erkannte, kam er ihr entgegen.
„Roxana!“ rief er, während sie die Pferde nebeneinander zügelten. „Was machst du hier? “
„Ich muß dir etwas ausrichten“, erklärte sie heftig atmend. „Caroline möchte dich heute abend sehen. Es ist sehr wichtig.“
„Was ist denn passiert?“
Sie las tiefe Besorgnis in seinen Augen und antwortete ausweichend: „Das soll sie dir lieber selbst sagen.“
Sie lenkte ihr Pferd in die Richtung, aus der sie gekommen war.
„Bitte, erzähl es mir, Roxana! Wenn es das ist, was ich befürchte, brauche ich Zeit zum Nachdenken, bevor ich mit ihr rede. Und deshalb müßte ich es schon jetzt wissen.“
Roxana sah ein, daß er recht hatte.
„Caroline ist völlig verzweifelt, weil ihr Vater ihr mitgeteilt hat, daß der Marquis von Quorn übermorgen eintreffen und ihr einen Heiratsantrag machen wird.“
Patrick