Silvester sprach. Er stand in Linnais in seinem Arbeitsraum. Den Schalltrichter der großen Telephonanlage am Munde. Den Strahler auf das Zimmer von Jane gerichtet, das Bild seines jungen Weibes lebendig vor sich auf der Mattscheibe.
Jane konnte nur hören, doch nicht zurücksprechen. Eine Station zum Senden in einem Privathause hätte besondere Einrichtungen und Vorkehrungen erfordert, die in der Kürze der Zeit nicht durchzuführen waren. Sie mußte sich darauf beschränken, die Worte ihres abwesenden Gatten zu hören, Silvester konnte nur ihr Bild auf der Mattscheibe betrachten, mußte auf das gesprochene Wort verzichten. Wohl sah er, wie die Worte, die er selbst sprach, auf ihr Mienenspiel wirkten, wie die Beteuerungen seiner Liebe und Zuneigung den Schimmer der Freude über ihre zarten Züge verbreiteten, doch von dem, was sie selber sprach, konnte nichts an sein Ohr dringen.
So hätte diese tägliche Unterhaltung einseitig bleiben müssen, wenn nicht die Liebe neue Mittel für die Verständigung gefunden hätte.
Die vor Silvester stehende Mattscheibe gab das genaue Bild Janes, gab es in Lebensgröße. Jeden Zug, jede Bewegung ihrer Lippen konnte Silvester genau beobachten, und schnell lernte er es, ihr die Worte von den Lippen abzulesen. Er sah Jane und sprach. Jane hörte seine Worte, antwortete, und aus der Bewegung ihrer Lippen erriet er den Sinn der Antwort. Wiederholte ihn, ersah ihre Bestätigung aus ihrem glücklichen Lächeln.
Jetzt am Ende der zweiten Woche der Trennung hatten es die Getrennten gelernt, sich auf diese Weise zu unterhalten, als ob sie nebeneinandersäßen und nicht fünfhundert Meilen zwischen ihnen lägen. Die tägliche Plauderstunde stärkte Jane den Mut bis zum nächsten Tag. Sie war für Silvester die Quelle, aus der er die Kraft schöpfte, sich wieder in seine Arbeit zu stürzen, die Apparate fertigzumachen, deren schnellste Vollendung Erik Truwor so dringend heischte.
Die Nächte in Linnais waren auch in den letzten Julitagen noch hell.
Auf alle Fälle unbequem hell nach der Meinung des englischen Obersten Trotter. Viel zu hell nach dem Geschmack des Dr. Glossin. Zwar ging die Sonne um Mitternacht eine Stunde unter den Horizont. Aber die Dämmerung gestattete es immer noch, einen Mann im freien Felde auf zweihundert Meter zu erkennen. Vollständige Dunkelheit wäre der kleinen Truppe willkommener gewesen, die unter der Führung von Oberst Trotter im Walde von Linnais lagerte.
Zwanzig Mann. Ausgesuchte englische Soldaten. In kleinen Trupps zu vier bis fünf, in Zivil, waren sie im Laufe der letzten drei Tage mit den Regierungsschiffen der Linie Edinburg–Haparanda angekommen. Als harmlose Reisende waren sie den Torneaelf stromaufwärts gezogen. Hier ein wenig Angelsport treibend. Dort Mineralien sammelnd. Alles andere, nur keine Soldaten vorstellend.
Zu vorgeschriebenen Stunden waren sie alle an dem bestimmten Platze, einer Waldlichtung in der Nähe vom Hause Erik Truwors. Dort waren sie und vergnügten sich als sportfreudige Touristen. Sie schlugen Zelte auf, kochten im Freien ab und machten es sich bequem.
In einem der Zelte saß der Oberst Trotter im Gespräch mit Dr. Glossin und vertrat mit britischer Hartnäckigkeit seinen Standpunkt.
»Mein Befehl lautet, drei Bewohner dieses Hauses, namentlich angeführt als Erik Truwor, Silvester Bursfeld und Soma Atma, aufzuheben und lebendig nach London zu bringen. Es ist bei den englischen Offizieren Sitte, Dienstbefehle genau zu vollziehen. Sie mögen als Zivilist eine andere Anschauung von der Sache haben. Für mich und meine Leute gilt die meinige.«
»Herr Oberst, Sie unterschätzen die Gegner, mit denen Sie es zu tun haben. Ich bin über Ihren Plan erschrocken. Sie wollen das Haus mit zwanzig Mann umstellen, einfach hineingehen und die Gesuchten verhaften?«
»Genau so, wie Sie es sagen, Herr Doktor. Das ist die Art und Weise, wie wir solche Aufträge ausführen. Wenn meine Leute das Haus umstellt haben, kommt keine Maus mehr heraus. Ich würde es freilich bedauern müssen, wenn die Gesuchten zu fliehen beabsichtigen. In diesem Falle sind meine Leute angewiesen, zu schießen.«
Dr. Glossin lief wie ein gefangenes Raubtier in dem engen Zelte hin und her und rang die Hände.
»Herr Oberst, Sie haben keine Ahnung, mit wem Sie es zu tun haben. Sie mußten mit einem Flugzeug herkommen und den stärksten brisantesten Torpedo, den Ihre Armee besitzt, auf das Dach abwerfen. Eine Sekunde nach Ihrer Ankunft mußte das ganze Haus bis zum tiefsten Keller pulverisiert sein. Dann bestand einige … ich sage nicht volle, aber doch wenigstens einige Aussicht, daß die Verschwörer unschädlich gemacht wurden.«
Oberst Trotter lächelte mitleidig.
»Sie scheinen ernstlich Furcht vor den Bewohnern dieses Hauses zu besitzen. Well, Herr Doktor, als Zivilist sind Sie nicht verpflichtet, besonderen Mut zu entwickeln. Aber Sie werden mich diese Angelegenheit auf meine Weise erledigen lassen.«
Der Oberst blickte auf seine Uhr.
»Gleich elf. Es wird in dem verdammten Lande nicht dunkel. Ein Sergeant, der gut Schwedisch spricht, ist unterwegs, um sich das Haus und seine Bewohner genauer anzusehen.«
»Auch das noch!« Dr. Glossin stieß die Worte in einem Übermaß von Unwillen hervor.
»Haben Sie an dieser Maßnahme etwas auszusetzen, Herr Doktor? Es ist bei allem Militär der Welt Sitte, daß man vor dem Angriff aufklärt.«
Während der Oberst seine Ansicht mit der Bestimmtheit des alten Soldaten aussprach, hatte Dr. Glossin sich wieder auf den niedrigen Feldstuhl gesetzt. Ernst und bestimmt kamen die Worte aus seinem Munde.
»Mag das Schicksal Erbarmen mit Ihnen und Ihren Leuten haben. Sie sind in der Lage eines Mannes, der einem Tiger nur mit einem Spazierstöckchen bewaffnet entgegentritt.«
Ein Mann trat in das Zelt. Auch im Zivilanzug war der Soldat unverkennbar. Sergeant MacPherson, der von der Aufklärung zurückkam. Ein Schotte mit buschigen Brauen, großen graublauen Augen und ergrautem Vollbart. Er gab seinen Bericht in kurzer, knapper Form. Erst hatte er das Haus von außen vorsichtig umgangen und beobachtet, daß zwei Männer zusammen an einer Maschine im Hause arbeiteten.
Über den dritten konnte er nichts in Erfahrung bringen. Da war er kurz entschlossen in das Haus eingetreten. Die Gartentür stand offen. Ungehindert kam er durch den Garten in das Haus. Eine Treppe führte zur Veranda.
Die Veranda war leer … Schien wenigstens im ersten Moment leer zu sein. Als er weiter in das Haus hineingehen wollte, hörte er plötzlich eine Stimme. Auf einem niedrigen Diwan in der Ecke der Veranda saß ein Mensch mit brauner Haut. Noch ehe er seine Fragen in Schwedisch vorbringen konnte, sprach der Inder ihn englisch an. Nur wenige Worte. Einen Sinn habe er darin nicht entdecken können, so sehr er auch auf dem Rückwege darüber nachgedacht habe.
Wie die Worte hießen, wollte der Oberst wissen.
»Jawohl, Herr Oberst! Der Mensch sagte zu mir: Was du suchst, ist nicht hier; was hier ist, suchst du nicht.«
»Nonsens! … Humbug! … Indische Gaukelei!« … Der Oberst stieß es wütend zwischen den Zähnen hervor. Dann wurde er wieder dienstlich und fragte weiter:
»Wenn ich Sie recht verstanden habe, MacPherson, sind die drei gesuchten Personen in dem Hause und stehen auch nicht im Begriff, es zu verlassen.«
»Jawohl, Herr Oberst, das ist meine Meldung.«
Auf einen Wink des Obersten verließ der Schotte das Zelt.
Oberst Trotter blickte wieder auf seine Uhr.
»Ich denke, Doktor, in einer Stunde haben wir die Burschen.«
Dr. Glossin beachtete den Obersten gar nicht. Er hatte die Hände über dem rechten Knie gefaltet und wiederholte mechanisch die Worte Atmas: »Was du suchst, ist nicht hier; was hier ist, das