Tredrup gab keine Antwort. Als das Wort »Mexikanerin« von Christies Lippen kam, hatte er das Glas vor die Augen genommen, hinuntergeschaut, sie verfolgt, den Blick nicht zur Seite gewandt, als wäre nur die eine dort unten, die Mexikanerin.
»Ah! Jetzt tanzt sie!« rief Christie dazwischen. »Sieh nur, Walter, wie eine Feder schwebt sie am Arm ihres Partners. Und das feurige Temperament, das aus jeder Bewegung spricht! Du hast recht, sie ist eine Mexikanerin. So kann nur eine tanzen, die in Mexiko geboren ist.«
Beide beugten sich über den Logenrand. Das tanzende Paar hielt an, stand zu ihren Füßen.
»Wer mag sie sein?« fragte Christie. »Ein junges Mädchen, wie es scheint.«
Uhlenkort zuckte die Achseln. »Riviera … Monte Carlo … aus den entlegensten Teilen der Welt trifft hier die Menschheit zusammen …«
Er wollte weitersprechen, da nahm ihm Christie mit hastiger Bewegung das Glas aus der Hand, richtete es auf die Tänzerin, starrte sie an, als könnten sich ihre Augen nicht losreißen. Ihre Rechte fuhr zum Halsausschnitt, riß die kleine Goldmünze, die am dünnen Kettchen hing, aus dem Kleid.
Tredrups Hand mit dem Glas war herabgesunken, er starrte zu Christie hinüber wie einer, der Unheil erwartet. Da unten im Saal trat die Tänzerin von neuem zum Tanz an, drehte sich langsam um den Partner.
»Elf!« schrie Christie. »Elf Hidalgos, die goldene Kette an ihrem Hals!«
Das Glas aus Tredrups Hand fiel polternd zu Boden. Uhlenkort wandte sich nach links und rechts. »Was? Was ist euch? Was ist’s mit elf?«
Tredrup war aufgesprungen und stand mit bebenden Lippen.
»Elf Hidalgos!« rief Christie. »Zwölf waren es! Der zwölfte, hier!«
In höchster Erregung beugte sich Uhlenkort über Christie, ergriff ihre Hände, drückte sie an sein Herz.
»Christie! Was ist dir? Was willst du sagen? Elf Hidalgos?«
Die Logentür fiel hinter Tredrup ins Schloß. Uhlenkort merkte es nicht. Christie war schwer atmend in den Sessel zurückgesunken.
»Laß uns gehen, Christie! Ich weiß nicht, was dich so erregte. Doch wo ist Tredrup? Was habt ihr gesehen? Die Tänzerin? Kennt ihr sie?«
Christie schüttelte den Kopf.
»Ich kenne sie nicht, kenne nur den Schmuck, den sie trägt. Den Schmuck, den der stahl, der meinen Vater ermordete. Elf Hidalgos! Der zwölfte blieb in des Vaters Hand. Als Amulett trug ich ihn seit jenem Tag bis heute.«
Mit müder Bewegung erhob sie sich, legte ihren Arm in den Uhlenkorts. »Laß uns gehen!«
Im selben Augenblick, als sie aus der Loge traten, fiel auch auf der anderen Seite eine Logentür ins Schloß. Eine hoch gewachsene Männergestalt, eine leichte Seidenhalbmaske vor dem Gesicht, trat aus der Loge in den Umgang, ging die Treppe hinab zum Saal. Mit Mühe bahnte er sich einen Weg durch das Gedränge in den Raum, wo die Paare sich bewegten. Sein Auge suchte die Mexikanerin. Da tanzte sie am anderen Ende des Saales eben im Arm eines neuen Partners, eines einfachen Dominos. Er drängte sich in die vordersten Reihen, wo das Paar an ihm vorbeikommen mußte.
Da sah er die Tänzerin zusammenzucken, das Paar stehen bleiben, im Gewühl der Zuschauer verschwinden. Rücksichtslos bahnte er sich ungeachtet der empörten Zurufe links und rechts einen Weg durch die Menge. Das Paar schien verschwunden zu sein. Er stürzte durch eine der Pforten, die in die Nebensäle führten. Da sah er das Paar am anderen Ende im Ausgang verschwinden. Jagend, fast stürzend, eilte er hinter ihm her. Immer wieder sperrten ihm die Massen den Weg. Die Tür zum Park war der letzte Ausgang des Raumes. Er stürzte hinaus. Vor ihm schritt das Paar, der Domino, die Mexikanerin. Mit ein paar Sprüngen war er neben ihnen.
»Juanita!«
Die beiden standen still, wandten sich um. Der Domino riß die Maske vom Gesicht.
»Wer ruft?«
Da erkannte er in der hohen, schlanken Gestalt seinen Feind. Sein furchtbarer Faustschlag traf den anderen ins Gesicht. Der Getroffene taumelte zurück, seine Maske flog hinunter.
Die Mexikanerin schrie laut auf: »Klaus, was tust du?«
Klaus Tredrup stand mit geballten Fäusten wie in Erwartung, daß der andere sich zur Wehr setzte.
»Schuft, du! Guy Rouse, komm her!« Er schüttelte den Frauenarm von sich ab. »Heute gibt’s Abrechnung zwischen uns beiden! Schuft du, Schurke!«
Die hagere Gestalt vor ihm drehte sich leicht zur Seite. Die Hand fuhr zur Tasche.
»Guy!« Juanita wollte sich zwischen die beiden stürzen. »Erst mich!
Dann ihn!«
Da klang die schneidende Stimme Tredrups: »Wo ist der zwölfte Hidalgo, du Mörder?«
Rouse taumelte zurück. Es klirrte etwas am Boden, seine Hand fuhr zum Gesicht. Einen Augenblick stand er, die lange, hagere Gestalt zusammengekrümmt, das Gesicht abgewendet, als sähe er eine Vision.
Dann plötzlich waren sie allein, Tredrup und Juanita.
»Juanita! Er ist fort, geflohen, der Feigling. Du!«
Er riß sie an sich. Sein starker Arm preßte sich um die schlanken Schultern, als wollte er sie zerbrechen.
»Du bist frei von ihm …«
War es ein Wahnsinniger, der Verfolger hinter sich, durch die menschenleeren, dunklen Wege des Parks um das Kasino stürzte? Eine lange, hagere Gestalt im Abendanzug, wie ein gehetztes Wild durch die Anlagen stürmend. Stundenlang ging die sinnlose Flucht. Die Mondscheibe, durch die dunkle Wolkenbank brechend, verscheuchte das Dunkel. Fast taghell war plötzlich der Park. Mit jähem Ruck hielt er an. Stand im breit flutenden Licht des Nachtgestirns, schaute wirr um sich.
Die Brust keuchte unter rasenden Atemstößen. Eine Bank tauchte vor ihm auf. Er sank erschöpft darauf nieder. Seine Hand entnahm der Brusttasche ein Schächtelchen Beruhigungstabletten. Zwei Tabletten höchstens, hatte ihm der Arzt gesagt. Er nahm die doppelte Anzahl. Die Arme griffen nach hinten zu der Rückenlehne, umklammerten sie. Den Kopf weit zurückgebeugt, sog er die kühle Abendluft ein. Seine Züge entspannten sich allmählich, ein fast ruhiger Glanz trat in die Augen.
Die klare Vernunft schien zurückzukehren. Eine leichte Falte bildete sich zwischen den Augen. Er zwang sich zu logischem Denken. Monte Carlo?
Wie kam er hierher? Von Santa Barbara, von Juanita. Zu ihr war er gestern gekommen. Froh hatte sie ihn begrüßt. Kaum noch Spuren der Krankheit. Er hatte sie in die Arme geschlossen, sie an sich gedrückt.
Den letzten Anker. Vergessen wollte er an ihrer Seite alles, was er hinter sich gelassen hatte.
Sie waren spazieren gegangen. Das frohe, lustige Geplauder Juanitas, noch klang’s in seinem Ohr.
»Morgen Abend ist Maskenball im Kasino. Willst du nicht mit mir dorthin gehen?«
Schmeichelnd hatte sie ihn gefragt. Er wollte die Bitte nicht abschlagen. Die erwachte Lebenslust Juanitas, ein günstiges Zeichen schien’s.
Kostümieren! Tanzen! Juanita hatte weiter gebeten, er hatte gern zugestimmt.
Als es Zeit zum Aufbruch war, war er in Juanitas Zimmer getreten. Im mexikanischen Kostüm stand sie vor ihm. Die lachende, frohe Gestalt sich wiegend in den verführerischen Schritten des Fandangos.
Wie ein bunter Schmetterling hatte sie sich, leise die Melodie des Tanzes summend, vor ihm gewiegt.
Seine Augen hatten das Bild verschlungen. In plötzlicher Eingebung war er aufgesprungen und hatte um Juanitas Nacken ein goldenes Halsband geschlungen. Sie war vor den Spiegel getreten, hatte in die Hände geklatscht.
»So