»Mir nach in den Klippenschatten!« kommandierte Tredrup. »Sind wir im Dunkel, sind die Waffen gleich.«
In wenigen Augenblicken war das Boot leer, alles um Tredrup versammelt.
Wo ist Christie? Wo sind die Seeräuber? Das war die Frage. Rings um sie herum das Gewirr der Korallenklippen. Überall Möglichkeiten zum Unterschlupf, zum Versteck.
»Erst Christie!« flüsterte Uhlenkort Tredrup leise zu. Er sah nicht, wie Tredrup bei diesen Worten sein Gesicht zu einer Grimasse verzog.
Erst Christie! Ja, hätte man gewußt, wo sie war. Tredrup nahm das Nachtglas vor die Augen, ging damit die Felsen in der Runde ab. Ein heller, schmaler Strich an der nördlichen Felswand, wie ein Pfad kam es ihm vor. Irgendwohin mußte er führen.
Christie oder die Seeräuber, oder alle beide! Darauf los! Die Hälfte der Mannschaft zurücklassend, schritt er, von Uhlenkort und den übrigen gefolgt, der Stelle zu.
»Ein Pfad!« flüsterte er Uhlenkort zu. »Ein Pfad, der nach oben führt.
Kein unnützes Geräusch! Alles Schußfertig!« Der Pfad ging mit einer scharfen Biegung rechts ab. Tredrup winkte allen zurückzubleiben, schlich um den Felsvorsprung und ging allein weiter. Wieder bog der Pfad zur Seite, mündete vor einem dunklen Höhleneingang. Ein paar ausgehauene Stufen. Im Licht des Mondes sah er, daß hier Menschenhand gearbeitet hatte. Vorsichtig trat er in die Höhle. Völliges Dunkel umgab ihn. Er wagte es nicht, die Handlampe aufleuchten zu lassen. Leise schritt er weiter, Schritt für Schritt über den Boden tastend.
Da traf an sein gespanntes Ohr das tiefe Atmen schlafender Männer.
Die Seeräuber! Was tun? Mit derselben Vorsicht, mit der er gekommen, ging er zurück, winkte seinen Leuten, ihm zu folgen. Vor dem breiten Höhleneingang fanden sie Platz, sich aufzustellen.
»Alles fertig?«
»Fertig!« kam die Antwort. Er zog aus seiner Tasche eine starke Leuchtpatrone, zündete sie an und warf sie mit weitem Schwung in die Höhle.
»Drauf!« gellte sein Ruf. »Drauf!« brach sich der Widerhall im Kreis der Felswände.
Ein paar Schüsse knallten … Geschrei Getroffener. Fünf Minuten später lag die Besatzung gut gefesselt am Eingang zur Höhle. Ein Toter.
Der Offizier, der Kommandant des Atolls. Er hatte sich bis zum letzten Augenblick gewehrt, dann, als er sah, daß Widerstand aussichtslos war, sich mit seiner eigenen Waffe getötet.
»Wo ist eure Gefangene?« schrie es den Gefesselten von allen Seiten zu. Ein Verwundeter, der nicht gebunden war, deutete mit dem Arm zur anderen Wand der Felsen.
»Da drüben, wo das Licht glänzt.«
Im Nu flogen alle Köpfe herum. Schon stürmte Uhlenkort den Pfad hinunter, kaum, daß ihm Tredrup folgen konnte. Dann standen sie keuchend am anderen Rand der Lagune, suchten nach dem Aufgang zum Licht, fanden ihn nicht. Ungeduldig lief Uhlenkort an den zackigen Wänden der Felsen entlang.
Da kam das Licht von oben herunter. Verschwand hinter einem Felsvorsprung, tauchte wieder auf … verschwand wieder … war unten am Strand der Lagune.
»Christie Harlessen! Christie!« schrie Uhlenkort. »Bist du’s?«
»Ich bin’s, Walter!«
Das Licht fiel zur Erde … verlosch …
Guy Rouse saß in seinem Arbeitszimmer. Er war allein. Eben hatten ihn drei befreundete Abgeordnete verlassen. Sie waren gekommen, wie um einen Freundschaftsbesuch zu machen, wie um ihre unwandelbare Ergebenheit, Anhänglichkeit wieder zu beteuern. Doch Rouse hatte sie durchschaut.
Der eine, der Wortführer Teddington, hatte vergeblich versucht, in der Unterhaltung wie beiläufig Fragen einzuflechten, die mit der Börse, den Kanalaktien, zusammenhingen. Er hatte sie entlassen, hatte durchblicken lassen, daß der hohe Stand der Kanalaktien noch keineswegs der höchste sei. Die Männer waren gegangen, Miller und Struck den Kopf voller Gedanken, wo Geld hernehmen, wo borgen, um noch mehr Aktien zu kaufen, Teddington ebenso fest entschlossen, noch heute zu verkaufen.
In der letzten Woche hatte der Aktienkurs eine schwindelnde Höhe erreicht. Rouse überflog die Börsenberichte Amerikas, verglich sie mit den Kursen der übrigen Welt. Die amerikanischen hatten immer einen kleinen Vorsprung. Dieser war heute größer denn je.
»Es ist höchste Zeit«, murmelte er vor sich hin. »Man scheint andernorts mißtrauisch zu werden. Auch ohne diese überraschende Nachricht meines Agenten, daß die Kanalsohle nach zuverlässigen Messungen an verschiedenen Stellen sich um beinahe dreihundert Meter gehoben hat. Ein glücklicher Zufall, daß es nicht irgendeinem Kapitän einmal einfiel, die Messungen des Schiffahrtsamts nachzuprüfen.«
Rouse saß am Tisch und schrieb. Ein chiffriertes Telegramm an seine Vertreter an den Hauptbörsen der Welt. Er schrieb es zwanzigmal in zwanzig verschiedenen Chiffren, übergab die Schriftstücke einem Sekretär zur Besorgung.
Der Auftrag: Den Restbestand der Aktien morgen noch bestens zu verkaufen. Es waren viele Aktien, die Guy Rouse besaß, die er durch diese Aufträge auf die Börsenmärkte warf. Der Kurs der Aktien mußte durch diese Transaktion erschüttert werden. Die Aktien mußten daraufhin zweifellos nachgeben. Aber was bedeutete das gegenüber dem Sturz, der kommen mußte, wenn er das Steigen des Kanalbetts der Öffentlichkeit in geschickter Weise bekannt gab.
Am Tage nach diesen Pressenotizen mußte an allen Börsen eine Deroute in Kanalaktien ausbrechen. Dann würden seine Börsenvertreter in der ganzen Welt unter der Hand riesenhafte Rückkäufe machen.
Schon am Abend dieser Rückkäufe, die weit über sein Barvermögen hinausgehen sollten, würden neue Pressenotizen, gestützt auf wissenschaftliche Gutachten, die Veränderung der Kanalsohle unbedenklich, als letzten Beruhigungsvorgang des gequälten Erdbodens hinstellen. Der Kurs würde sich wieder heben, zumal er, der Präsident der Gesellschaft selbst, dann offen, wenn auch nur mit bescheidenen Summen, als Käufer auf den Markt treten würde. Durch weitere Pressemeldungen und Gutachten würde dafür gesorgt werden, daß der Aktienkurs sich wieder vollständig erholte.
Das Steigen der Kanalsohle – im ersten Augenblick hatte die Nachricht wie ein Donnerschlag auf ihn gewirkt. Unablässig hatte er über den rätselhaften Vorgang nachgedacht, nach einer Erklärung gesucht. Hatte dem Agenten Order zugehen lassen, durch fortgesetzte Lotungen die Bewegungen des Kanalbettes zu verfolgen. Die letzte Nachricht des Agenten, vor einer Stunde war sie eingegangen: kein weiteres Steigen.
Ausgleichserscheinungen mußten es gewesen sein, die jetzt zum Stillstand gekommen waren. Gut für seine Pläne. Das Ende der Riesentransaktion … wie schon so oft würde es einen Riesengewinn für ihn bedeuten.
Die Sterne am Himmel verblaßten. Ein leichter Schimmer im Osten kündete den neuen Tag. Der einsame Mann in Saltadera ließ sich am Arbeitstisch nieder. Das energetische Bild des Kanals erschien am Schirm.
Die in der Sialscholle eingesprengten Magmamassen … größere, kleinere. Ihre glutflüssigen Massen mit Wasser in Berührung!
Eruptionen, große, kleine … Tod, Vernichtung bringend! Wie es vermeiden?
Tage und Nächte hatte er gesonnen. Es war nicht möglich Menschenleben vernichten bei seinem Werk, konnte das Schicksal das auch wollen?
Seine Finger bewegten einen kleinen silbernen Tokschor. Die Blätter der Trommel glitten langsam an seinem Auge vorbei. Er schüttelte den Kopf.
Nichts! Nichts! Das Schicksal geht seinen Weg unbeirrt, rücksichtslos.
Menschenleben auf seinem Weg … das Rad geht darüber hinweg. Ihr Schicksal!
Er prüfte die große Apparatur im Hintergrund des Raumes.
Prüfte Teil für Teil ihres komplizierten Baues. Es war alles in Ordnung.
Der kleine Apparat … klein im Verhältnis zu den Riesenenergien, die er lösen und steuern konnte.