Wir Seezigeuner (Abenteuer-Klassiker). Robert Kraft. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Kraft
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075836182
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den neuen Sextanten haben Sie sich erst gekauft?«

      »Alles, alles bar bezahlt. Es ist ein Ariodscher; kostete zweiundfünfzig Taler.«

      »Ja, woher hatten Sie denn das Geld dazu?« fragte jetzt Blodwen in ihrer offenen Weise.

      »Gespart.«

      »Zum Sparen muß man immer erst Geld haben.«

      »Verdient.«

      »Verdient, womit?«

      »Im Frühjahr suchte ich die ersten Schneeglöckchen, die mir immer sehr gut bezahlt wurden, im Sommer sammelte ich Beeren, im Herbste Pilze, im Winter trug ich für alle Nachbarn Brennholz zusammen – na, und dann hatte ich immer noch so’n hübschen Nebenverdienst – besonders die Taubenzucht – ei, die Taubenzucht hat mir’n hübschen Fang Geld eingebracht! – Und dann besorgte ich so Wege für die Schiffer, die bei uns anlegten – da gab’s auch immer etwas zu handeln und zu verkaufen – der eine wollte ein Paar neue Stiefel haben, der andere ein hübsches Mädel, und das wußte ich alles zu besorgen — na, da habe ich einen ganz hübschen Feng Geld zusammengebracht.«

      Ich mußte mich auf die Lippen beißen. Der eine ein Paar Stiefel, der andere ein hübsches Mädel – der Junge hier besorgte alles prompt nach Wunsch – gottvoll! Blodwen schien das nicht richtig verstanden zu haben.

      »Aber,« fuhr sie im Examen fort, »dreißig Taler das Boot, zweiundfünfzig sogar das Instrument – das ist doch eine Summe, die nicht so schnell durch Pilzesammeln und dergleichen verdient werden kann.«

      »Na, denken Sie denn etwa,« wurde der kleine Kapitän jetzt schon etwas grob, »die ganze Idee ist so von heute? Sechs Jahre habe ich daran gespart und geschuftet – jawoll, sechs ganze Jahre lang – mindestens – denn ich war noch gar nicht in der Schule, als ich Kapitän werden wollte, und von da an habe ich Groschen auf Groschen gelegt und habe mein Frühstück verkauft – jawoll!«

      Da ging mir die Ahnung auf, daß ich hier einen Wunderknaben vor mir hätte – nämlich einen Wunderknaben an Energie, und auch Doktor Selo, der sich unterdessen eingefunden, blickte ganz tiefsinnig auf den Jungen, und Blodwen bekam wieder einmal ganz große Augen.

      »Es ist doch nicht möglich!«

      »Na, da wissen Sie’s besser.«

      »Und wohl auch einmal einen Hasen gefangen, wie?« kam Selo schnell zu Hilfe.

      »Einen? Dutzendweise. Und nur fette Waldhasen, die auf dem Markte einen Taler das Stück kosteten. Ich verkaufte sie für die Hälfte. Mit Feldhasen ließ ich mich gar nicht ein.«

      Also auch gewilddiebt! Na, wenn er das so offen gestand, dann hatte er auch ganz sicher wirklich die dreißig Taler eingeschickt. Darin kannte ich meine Pappenheimer. Ich war ja in meiner Jugend ein ähnlicher Stromer gewesen. Ganz so genial nicht, das mußte ich dem Neid lassen. Ich war ja auch nur zum Pastor bestimmt gewesen.

      »Sie gingen jeden Abend an Land?«

      »Nur eine einzige Nacht bin ich durchgesegelt.«

      »Sind Sie denn niemals angehalten worden?«

      »Angehalten? Von wem denn?«

      »Nun, Sie sind doch heimlich ausgerissen. Ihr Vater mußte doch … «

      »Mein Vater? Sie meinen, ob der mich nicht festnehmen ließ? Hat sich was! Dem hatte ich von Kuxhaven aus geschrieben, wie ich nach Afrika segeln wollte, es wäre nur sein eigenes Bestes, ich würde bald das Geld haufenweise einschicken können, und er sollte mir ja nicht etwa die Polizei auf den Hals schicken; denn lebendig brächte man mich nicht zurück – und mein Vater kennt mich doch – da mache ich gar keinen Sums – kchch.«

      Und mit dem letzten nicht wiederzugebenden Laut hatte der Junge eine Bewegung gemacht, als wolle er sich das Tischmesser, auf dem er eine Sardine balancierte, ins Herz stoßen – schob aber lieber die Sardine in den Mund.

      Ich war förmlich erschrocken. Diese Bewegung war nicht mißzuverstehen gewesen. Und dieser Junge war ganz sicher der Mann, so etwas auch auszuführen. Und das mußte auch sein Vater wissen. So hatte dieser sicher nichts dazu getan, der Polizei behilflich zu sein.

      Was sonst die Verhältnisse anbetrifft, wie solch ein Junge so in der Welt herumgondeln kann, so wolle man bedenken, daß wir damals das Jahr 1859 schrieben, eine internationale Polizeiverbrüderung gab es da noch nicht, ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sich der Junge so von Hafen zu Hafen durchgeschlagen hatte.

      »Sie kauften sich unterwegs immer Proviant?«

      »Kaufen? Na, ich brauchte doch nur ein vorübersegelndes Schiff anzurufen, da brauchte ich gar nicht lange zu bitten, die warfen mir immer alles herunter.«

      Alle Wetter! Ein Fechtbruder zur See! Das war wirklich etwas ganz Neues!

      »Algots,« ließ sich da Doktor Selo vernehmen. »Lassen Sie sehen, was aus den Buchstaben zu machen ist. A-l-g-o-t-s. A – little – gypsy – of – the – sea. Ein kleiner Seezigeuner.«

      »Bravo, bravo!!« zollte Blodwen händeklatschend Beifall, und auch ich mußte die schnelle Auffassungsgabe dieses Arztes bewundern.

      Auch der Gernegroß fühlte sich diesmal nicht beleidigt, mit einem Zigeuner verglichen zu werden, noch dazu mit einem kleinen, er lachte mit.

      »Wahrhaftig, ich bin so’n Zigeuner. In unser Dorf kamen mal welche, die hatten eine ganze Menge dressierte Tiere mit, aber mit mir konnten sie’s doch nicht aufnehmen.«

      »Inwiefern nicht?«

      »Na, ich sage Ihnen, ich habe … ich denke doch, ich bin hier unter lauter ehrlichen Menschen,« unterbrach sich der Knirps mit einem mißtrauischen Blick über die Tafelrunde.

      »O ja, das sind Sie!« wurde gelacht.

      »Weil Sie vorhin von Proviant kaufen sprachen – ja, kaufen mußte ich mir ja manches – aber ich will doch kein Geld zusetzen, sondern immer mehr verdienen – na, da bin ich jeden Abend im Hafen so als Künstler aufgetreten – mit meinem Pudel. Komm mal her, Saltarino.«

      Wir hatten den unter dem Tisch liegenden Pudel ganz vergessen. Jetzt kam er zum Vorschein, schaute schwanzwedelnd mit klugen Augen seinen kleinen Herrn an.

      »Saltarino heißt er. In unserem Dorfe war nämlich einmal so eine Zirkusbude, der Besitzer hieß Signor Saltarino, der Name gefiel mir, und da gab ich ihn dann meinem Pudel. Nun passen Sie auf – hoppla …«

      Der Junge klatschte in die Hände, und jedesmal schlug der Pudel, der sich schon in Positur gesetzt hatte, einen tadellosen Salto mortale, rückwärts wie vorwärts, und zwar auf Kommando, was er durch ein besonderes Händeklatschen genau unterschied.

      Ich will nicht von mir sprechen – mir war so etwas schließlich nichts Neues mehr – Blodwen war geradezu außer sich vor Staunen. Sie entsetzte sich förmlich. Sie hatte solch einen dressierten Hund noch nicht gesehen, und wie solch ein Tier sich so in der Luft überschlagen konnte – es war ihr eben etwas Unfaßbares.

      Dabei muß man an die ganze Erziehung des jungen Weibes denken. Sie hatte z. B. unter Anleitung von Lehrern alle klassischen Stücke gelesen, war aber selbst nie, niemals in ein Theater gekommen, von einem Zirkus und dergleichen gar nicht zu sprechen.

      Wunderbar, unglaublich! Wie haben Sie das dem Tiere nur beigebracht?« staunte sie ein Mal über das andere.

      Endlich durfte Signor Saltarino seine akrobatischen Uebungen einstellen.

      »O, das ist noch gar nichts. Er kann noch ganz andere Sachen. Jetzt soll Signorina Saltarina einmal Ballett tanzen.«

      Schnell wickelte er um den Hund seine Serviette, drapierte sie wie ein Frauenrock, befestigte sie mit Stecknadeln, auch an den Vorderpfoten, so daß es aussah, als ob der Pudel das Kleid mit ausgestreckten Armen hochgerafft habe, alles mit einer wunderbaren Geschicklichkeit und Schnelligkeit, zog aus der Brusttasche eine alte Holzflöte, spielte mit geläufigen Fingern eine hübsche Melodie, eine Art Menuett, und der Pudel begann nach dieser Musik