Wohl hatte mir jener Unbekannte geschrieben, falls wir die Hieroglyphen wirklich enträtseln könnten, so würden wir doch nur für uns ganz Wertloses entdecken.
Ja, das stimmte! Für uns waren diese Meerestiefen verschlossen.
Aber konnte jener Mann nicht irgendein Mittel besitzen, um da hinabzugelangen – oder, wenn nicht in einem Taucherkostüm, konnte er sonst nicht etwas besitzen, um das, was dort unten lag, ans Tageslicht zu heben?
Ja, wäre dies nicht der Fall, hätte er mir sonst wohl 50 000 Pfund Sterling geboten, um wieder in Besitz der Geheimschrift zu kommen, die er selbst noch nicht enträtselt, deren Inhalt er nur ungefähr kannte – hätte er dies sonst getan?
Jedenfalls gab dies alles viel, viel zu denken.
WIEDER AUF DER LEUCHTTURMINSEL. – DER FISCHMENSCH.
Es war gegen Mitternacht, als wir das Leuchtfeuer von Legala in Sicht bekamen, wir meldeten unsere Ankunft durch farbige Signallichter, segelten dabei immer näher heran, und gegen zwei Uhr befand sich Karlemann, von einem Dampfboot gebracht, bei mir an Bord.
Wir schüttelten uns die Hände – glückliche Fahrt gehabt – und dann saßen wir zusammen in der Kajüte, ich stattete Bericht ab.
Meine Passagiere lagen ja im tiefsten Schlafe, und außerdem schien Karlemann sie mit Absicht noch gar nicht sehen zu wollen, er hätte doch wenigstens die Tiere betrachten können; übrigens hielt ich ihn für rücksichtslos – oder meinetwegen für energisch genug, um alles gleich aus der Koje zu jagen – nein, von mir wollte er zunächst Bericht haben.
Schon hierbei ging es humoristisch genug zu, d. h., für einen unparteiischen Zuhörer. Für diesen Jungen war alles tiefer Ernst.
Ich zählte auf, fing, wie es in meinem Notizbuche stand, mit dem Manne ohne Arme und Beine an.
»Ohne Beine? Worauf läuft der denn?«
»Nun, der kann eben gar nicht laufen, das ist nur ein hilfloser Rumpf. Ist das nicht sehenswert genug?«
»Hm,« brummte Karlemann nachdenklich, »hätten Sie nicht dafür sorgen können, daß der Kerl wenigstens Arme hatte, daß er auf den Händen laufen konnte? Das hätte vielleicht noch mehr Effekt gemacht.«
»Dann müssen Sie ihm Arme und Hände ankleben.«
»Hm! Wollen sehen, was sich machen läßt. Na nu weiter!«
Als zweites kam Laura dran, die Riesendame.
»Wie schwer?«
»Vier Zentner.«
»Hat die Beine?«
»Na und was für welche!!«
Und so ging das zwischen uns weiter.
Noch ehe Karlemann irgend etwas selbst gesehen hatte, schüttelte er mir die Hand und erklärte seine äußerste Zufriedenheit mit allem, einen besseren und intelligenteren Kompagnon als mich hätte er gar nicht finden können.
Nun konnte er mich ja allerdings fragen, was er wollte, ich hatte nichts vergessen, weder den Wigwam, noch das echte Skalpiermesser, noch sonst etwas, und daß ich statt der jungen, schönen Indianerin eine Kreolin mitbrachte, die aber sogar mit dem Bauche tanzen konnte, das hatte eben in den Verhältnissen gelegen, ich hatte alle mir gegebenen Aufgaben glücklich gelöst, und daß der Buchdrucker nun gar mit dem Bauche bellen konnte, daß ich einen perfekten Bauchredner mitgebracht hatte, darüber war Karlemännchen einfach entzückt.
Er wollte mich deshalb umarmen, da ich aber gerade stand, reichten seine Arme nur um meinen Unterleib.
In diesem Augenblicke fiel mir etwas ein, machte ich eine Entdeckung.
»Sagen Sie mal, Karlemann – wir kennen uns doch nun seit bald einem halben Jahre – wachsen Sie denn nur eigentlich gar nicht?«
»Das kann ich doch machen, wie ich will!« war seine trotzige Antwort.
»Na na,« lachte ich, »das kann der Mensch für gewöhnlich eben nicht machen, wie er will.«
Jetzt hätte für mich eine Vermutung doch sehr nahe gelegen, ich hätte an die Schnapskur des Elefanten denken sollen, oder was das grüne Zeug nun sonst war, eine Ahnung hätte in mir aufsteigen sollen — allein der Junge stellte gleich weitere Fragen, ob ich auch Musikinstrumente für eine Kapelle mitgebracht hätte usw., was ich alles bejahen konnte, und so dachte ich eben nicht mehr daran.
Unterdessen waren wir um die Insel herumgekommen, bei Fackelschein wurden wir durchgeschleift – nein, nicht bei Fackelschein, wenn man unter Fackeln mit Pech getränkte Holzstücke versteht.
Ich bekam etwas mir ganz Unbekanntes zu sehen. Die Neger, welche leuchteten, hielten in den Händen Röhren, oben mit einer Kugel daran, und unten kam eine große Flamme wie mit Heftigkeit unter einem zischenden Geräusch heraus.
Heute sind diese Blaselichter etwas Allbekanntes, man sieht sie überall, besonders auf Jahrmärkten, die Schaubudenbesitzer bedienen sich ihrer zur Beleuchtung, es ist wohl Naphta oder solch ein ähnliches Zeug, welches in der Kugel durch Erwärmung vergast wird – damals aber war das noch etwas ganz Neues, ich wenigstens hatte so etwas noch nicht gesehen, und ich bekam wieder einmal zu merken, wie dieser deutsche Zigeunerjunge schon vorgearbeitet hatte, sich alle modernen Erfindungen zunutze machend.
Dann aber mußte ich meinem Kompagnon gestehen, daß ich in einem wenigstens meine Pflicht total vernachlässigt hatte. Ich hätte doch zum Beispiel die mitgebrachten Indianer, die nicht mehr so ganz echt waren, schon unterwegs wieder mehr zu echten Rothäuten ausbilden sollen, daß sie wieder mit Tomahawk und Lasso umzugehen wußten, ich hätte vielleicht aus der ganzen zweibeinigen Gesellschaft eine Musikkapelle machen sollen, hatte deswegen ja auch alle Arten Blasinstrumente mitgenommen – allein, das war aus den angeführten Gründen nicht möglich gewesen, ich hatte immer genug zu tun gehabt, meine Passagiere über das Ziel und die ganze Reise hinwegzutäuschen – kurz und gut, die waren noch immer nicht bei voller Besinnung, wußten immer noch nicht, was sie eigentlich sollten.
Karlemann hatte mir aufmerksam zugehört und er nickte zufrieden.
»Gut, daß Sie mir das sagen. Alles ganz vortrefflich. Das war Ihrerseits auch gar nicht nötig. Wenn ich sie nur erst einmal hier habe.«
»Es gibt rabiate Gesellen dabei, vor allen Dingen der Cowboy, ein Revolverheld, der mußte immer beschwichtigt werden … «
»O, wenn ich sie nur erst hier habe, die will ich bald zahm haben.«
»Auch die Riesendame ist nicht zu verachten, die leidet manchmal an … «
»Lassen Sie mich die nur erst hier haben,« wiederholte Karlemann zum dritten Male, und ich glaubte bereits an seine Dressierkunst auch Menschen gegenüber.
Eben als wir die Schlucht passierten, in den eigentlichen Hafen einliefen, brach der helle Tag mit jener Plötzlichkeit an, welche in diesen Gegenden, die keine Dämmerung kennen, eigentümlich ist, und zu meinem Staunen sah ich in dem engen Kesselhafen noch einen zweiten Dampfer liegen, fast ebenso groß wie meine ›Sturmbraut‹, so daß wir kaum noch Platz hatten, mindestens mit der größten Vorsicht uns so durchquetschen mußten.
An Deck des vollgetakelten Dampfers sah ich buntherausstaffierte Matrosen, wahrscheinlich Spaniolen oder Mexikaner oder dergleichen, lauter wilde, verwegene Gesichter, so eine richtige Zigeunerbande, und ich muß gestehen, daß mich etwas wie Eifersucht beschlich.
»Sie haben wohl noch mit einem anderen Kapitän Kumpe ge …«
Das Wort erstarb mir im Munde.
Ich hatte dabei die Takelage des Dampfers gemustert, um seine Nationalität zu erkennen, mochte er auch unter irgendwelcher