»24 Grad 34 Minuten 59 Sekunden nördliche Breite, 43 Grad 41 Minuten 3 Sekunden westliche Länge.«
So lese ich eine Reihe ab!!
Und wie lautete Karlemanns Bestimmung für den Punkt, von dem aus jener Mann mitten in der Fucusbank das Festland erblickt haben wollte?
21 Grad 36 Minuten 45 Sekunden nördliche Breite, 43 Grad 2 Minuten 17 Sekunden westliche Länge von Greenwich.
Und da zuckte es mir durch den Kopf, da brauchte von gar keiner Ahnung oder göttlichen Eingabe die Rede zu sein.
Der Schiffsarzt hat das in Hieroglyphen geschriebene Dokument zu entziffern gewußt! Es enthielt diese geographischen Ortsbestimmungen! Er hat es erst mit Bleistift übersetzt, hat diesen Zettel in einer Spalte seiner Kabine verborgen, oder aber – viel wahrscheinlicher – dieser Zettel ist ihm heruntergefallen, hat sich in jener Spalte verkrümelt, Doktor Selo hat ihn nicht wiederfinden können!
Und gerade diese eine Bestimmung? Sie wich nur in Minuten und Sekunden von der Karlemanns ab, der Unterschied war gerade unter dieser Breite ein ganz beträchtlicher – aber immerhin, auch sie gab einen Punkt an, der fast mitten im Zentrum der großen Fucusbank lag!
Wie kam diese Uebereinstimmung zustande? Wer hatte die Geheimschrift geschrieben? Ganz gleichgültig! Jener Unbekannte, nenne man ihn meinetwegen den Herrn vom Vogelberge, kannte dasselbe Geheimnis wie Karlemann! Auch er hatte das in der schwimmenden Wiese gelegene Festland gesehen und diesen Gesichtspunkt bestimmt, oder der Punkt konnte ja auch schon auf dem Lande selbst liegen, konnte vielleicht ein noch größeres Geheimnis bergen!
Ich verbarg meine Aufregung vor der Mannschaft, wußte Blodwen erst zu beschwichtigen – dann in der Kajüte weihte ich sie in alles ein, um nicht immer Ausreden haben zu müssen. Denn vor Karlemann hatte ich jetzt überhaupt eigentlich gar kein Geheimnis mehr zu wahren, jetzt war das mein eigenes geworden, mit dem ich machen konnte, was ich wollte.
Soweit Blodwen etwas davon verstand, stimmte sie mir in allem bei.
Und nun die anderen Bestimmungen, die auf dem Zettel standen?
Es waren im ganzen achtundzwanzig, zum Teil in Zehntelsekunden gegeben, die genaueste, die man bis heute noch machen kann, wodurch selbst auf dem Aequator ein Punkt von nur wenig Quadratmetern Umfang begrenzt wird.
Sie verteilten sich, wie ich jetzt gleich an der Hand von großen Seekarten nachwies, über die ganze Erde, und zwar ausschließlich im Wasser liegend. Am meisten kam der australische Inselarchipel in Betracht, und da konnte es wohl einmal, Vorkommen, daß solch ein angegebener Punkt auch einmal direkt auf einer der zahllosen Koralleninseln lag, in so großem Maßstabe ist doch auch die genaueste Seekarte nicht gezeichnet.
»Kommt da auch der große Vogelberg in Betracht?« fragte Blodwen, ein Zeichen, wie schnell sie sich in alles fand.
Ich prüfte – nein, dessen Lage war hier nicht angegeben.
»Aber hier – hier … « flüsterte ich.
»Was ist da?«
»Hier ist ein geographischer Punkt in Zehntelsekunden angegeben, und von diesem befinden wir uns keine zwei Stunden entfernt.«
»Und was soll da versenkt liegen?«
»Ja, wie kann ich das wissen? Da heißt es eben sofort hin und untersuchen, und von dem, was wir dort finden, können wir vielleicht Schlüsse auf alle übrigen Punkte machen.«
»Auch dieser unbekannte Mann, jener geheimnisvolle Kapitän, der uns das Wrack wieder entführte, wird seine Schatzkammern auf dem Grunde des Meeres haben!«
Was halfen solche Phantastereien? Ich phantasierte ja etwas mit, meine Erregung war nicht gering, vor allen Dingen aber ließ ich doch Dampf aufmachen, um nordwärts dem Winde entgegenfahren zu können.
Nach noch nicht zwei Stunden lagen wir an Ort und Stelle. Aber die erste Enttäuschung war die, daß das hundertmetrige Lot noch keinen Grund ergab, wir fanden mit einer längeren Leine erst bei etwa hundertzwanzig Meter Grund, so weit reichten unsere Ankerketten nicht, solche gab es überhaupt gar nicht, und da konnte auch kein Taucher hinab.
Nun lagen wir da, trieben etwas ab, mußten immer unsere Lage korrigieren, um an Ort und Stelle zu bleiben, blickten in das balkenlose Wasser hinab, ich fummelte noch etwas mit dem Lot herum, das eingefettete Blei brachte Sand und Muscheln herauf – nichts weiter.
»Jener Kapitän besitzt einen Apparat oder sonst etwas, mit dem er dennoch in solche Tiefen tauchen kann,« flüsterte Blodwen.
Möglich, warum nicht, aber – für uns doch schließlich nur eine Phantasterei, die uns nichts einbrachte.
»Oder er zieht’s mit einem Magneten heraus, wie wir es vorhatten. Ach, Richard, warum hast du noch immer keine magnetetektrische Maschine angeschafft?«
Diese kindlichen Vorwürfe ließen mich ganz kalt.
»Kannst du denn nur gar nicht fühlen, was da unten liegen mag?«
Ja, hat sich was fühlen, mit einer hundertzwanzig Meter langen Lotleine, die so im Wasser herumschwabbelt!
»Oder ist nicht noch ein anderer Punkt in der Nähe, den wir daraufhin untersuchen können?«
In der Tat, das war ein ausführbarerer Vorschlag – und wahrhaftig, ich hatte nur etwas von meinem direkten Kurse abzuweichen, um morgen etwa auf dem elften Breitengrade und zweiunddreißigsten Meridian abermals solch eine bis zur Zehntelsekunde angegebene Stelle zu passieren.
Wir kamen an. Die Berechnung stimmte. Aber die Anker brauchten wiederum nicht erst ausgeworfen zu werden, wenn hier die Tiefe auch nur sechsundsiebzig Meter betrug – also doch immerhin schon unerreichbar für den modernsten Tauchapparat.
»Hier liegen gewiß Schiffe, die untergegangen sind,« mußte Blodwen immer wieder bemerken, »mit reichen Schätzen; jener geheimnisvolle Kapitän weiß die Stelle ihres Untergangs, hier hat er die Quelle seiner unerschöpflichen Geldmittel.«
»Ich bitte dich, Blodwen, laß doch diese Phantasien. Was für einen Zweck hat das alles? Für uns ist das eben unerreichbar.«
»Ja, für dich – aber nicht für Doktor Selo, der gewiß schon hier und auch auf dem Meeresboden gewesen ist.«
»Dann suche ihn auf und laß dir von ihm das Rezept dazu mitteilen – und auch gleich seine ständige Adresse, damit ich ihn einmal besuchen kann – warmes Abendbrot bringe ich gleich selber mit.« –
Nein, in solche Meerestiefen wird der Mensch niemals dringen. Die Oberfläche der Erde besteht zu einem Drittel aus festem Lande, zu zwei Dritteln ist sie mit Wasser bedeckt, und was dieses verbirgt, das wird der Mensch niemals bis in alle Ewigkeit …
Doch nein! Halt an, halt an!!!
Will ich armer Wicht wagen, die Endlichkeit des Geistes, den Gott seinem Ebenbilde eingeblasen hat, mit meinem schwachen Verstande zu ermessen?
Gerade jetzt, da ich dies als alter Mann schreibe, ertönt über meinem Leuchtturm ein trompetenähnlicher Ton, ich trete hinaus, ich blicke empor, und da sehe ich über mir zu meinem Staunen, zu meinem Schrecken ein ungeheueres Etwas, einen riesigen Vogel; aber das muß wohl Menschenwerk sein, es wird von großen Schraubenrädern getrieben …
Das erste Luftschiff! Ich habe davon schon gelesen, es abgebildet gesehen, und dennoch ist mein Staunen jetzt grenzenlos, und dieses paart sich mit Schreck und mit Ehrfurcht.
O,