Sein Italienisch klang ein wenig lispelnd, was dem jungen Mann allerdings nicht auffiel.
»Den Hauptschlüssel für die Suite«, verlangte der junge Mann ungeduldig. »Wir sind von der Mafia.«
Der Etagenkellner knickte förmlich ein und schien weiche Knie bekommen zu haben. Er nickte mehrfach und ausgesprochen hastig, griff dann in seine rechte Außentasche und holte einen Gegenstand hervor, der allerdings nicht gerade einem Schlüssel glich. In der weiß behandschuhten Hand des Kellners befand sich ein Sprühfläschchen, wie es zur Bekämpfung des Schnupfens verschrieben und verkauft wird. Nur ein feines Zischen war zu vernehmen, als der Kellner die unter Druck stehende Flüssigkeit in die Augen des Mannes spritzte.
Der Getroffene rang umgehend nach Luft und fühlte eine nachhaltige Schwäche. Tränen füllten seine Augen. Er bekam überhaupt nicht mit, wie blitzschnell er seine schallgedämpfte Automatik aus der Schulterhalfter verlor.
Die drei anderen jungen Männer hatten hinter sich ein Geräusch gehört, fuhren herum und ... sahen sich einer Waffe gegenüber, deren Lauf auf sie gerichtet war. Diese Waffe wurde vom Etagenkellner gehalten, der nicht die Spur von Unsicherheit zeigte.
»Darf man anregen und empfehlen, sich mit ausgebreiteten Armen auf den Teppichboden zu legen?« forderte der Etagenkellner in passablem Italienisch. »Falls sie diesem Wunsch nicht nachkommen sollten, müssen Sie mit Schüssen rechnen, die Sie als äußerst peinlich bezeichnen würden.«
Die Männer kamen dem Wunsch des Etagenkellners unverzüglich nach, knieten zuerst vorsichtig nieder und breiteten sich anschließend auf dem Boden aus. Sie hatten herausgehört, daß sie es mit einem Mann zu tun hatten, der sich auf der Höhe der Situation befand und sicher kein Amateur war.
Eine Zimmertür öffnete sich. Mike Rander trat auf den Korridor und winkte dem Etagenkellner, der höflich und korrekt zurücknickte.
»Erfreuliche Arbeit, Parker«, rief Mike Rander dann, »die einfachen Tricks sind doch immer wieder überzeugend.«
»Sie beschämen einen alten, müden und relativ verbrauchten Mann, Sir«, bedankte sich der Etagenkellner und entfernte seinen Schnauzbart. Er warf einen Blick auf den ersten Mann, der noch immer Tränen vergoß und nach Luft schnappte. Mike Rander machte sich daran, die drei Gangster zu entwaffnen. Jetzt zeigte sich, daß er keineswegs phlegmatisch war. Geschickt und schnell barg er drei weitere Waffen und forderte die Männer danach auf, langsam hochzukommen. Obwohl Rander Englisch sprach, wurde er gut verstanden. Die immer noch entgeisterten Männer erhoben sich und verstanden die Welt nicht mehr. Sie waren als Sieger gekommen und standen nun als Verlierer da.
»Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir, könnte man die vier Besucher im Bad meines Zimmers abstellen«, schlug Parker vor.
»Setzen Sie mein Einverständnis voraus«, erwiderte der Anwalt lächelnd, »besser hätte es übrigens gar nicht kommen können, finden Sie nicht auch?«
»Die Herren kamen gewissen Absichten freundlichst entgegen«, faßte der Butler zusammen. Dann nahm Parker eine Wärme-Abdeckhaube und setzte sie nachdrücklich auf den Kopf des Mannes, der immer noch Tränen vergoß, dennoch aber angreifen wollte. Parker erledigte dies fast beiläufig und sorgte dafür, daß der weinende Mann unverzüglich in die Knie ging.
»Sie sollten sich mit den Tatsachen abfinden«, schlug Josuah Parker dann vor, »ich werde Ihnen meine hilfreiche Hand leihen, damit Sie nicht vom Weg abirren.«
Mike Rander und Josuah Parker dirigierten die Besucher in das Hotelzimmer, in dem der Butler wohnte. Anschließend wurden sie in dem fensterlosen Baderaum abgestellt.
»Verständigen wir Lady Simpson?« fragte Rander, nachdem der Butler die Tür verschlossen hatte.
»Vielleicht könnte man dies noch hinauszögern, Sir«, antwortete der Butler, »Mylady könnte die Absicht hegen, zeitraubende Verhöre anzustellen.«
»Bleibt es bei unserem Plan?« fragte Rander weiter.
»Die Voraussetzungen dafür haben sich erheblich gesteigert und verbessert«, lautete Parkers Antwort, »Mr. Luciano Parcutti dürfte mit solch einer dramatischen Wende kaum rechnen, wenn ich es so ausdrücken darf.«
*
Etwa eine Viertelstunde später schritten Lady Simpson, Butler Parker und zwei der vier jungen Männer durch die Halle des Hotels. Man hatte dicht aufgeschlossen. Ein aufmerksamer Beobachter und Kenner krimineller Szenen hätte schnell herausgefunden, daß es sich hier um eine Art Zwangsgemeinschaft handelte, die das Hotel verlassen wollte. Die beiden jungen Männer hatten die ältere Dame in die Mitte genommen und benahmen sich ausgesucht höflich, sorgten aber dafür, daß Lady Agatha keinen Spielraum für eigene Aktivitäten besaß. Josuah Parker folgte dieser Dreiergruppe dichtauf, gemessen und kerzengerade. Auf seinem Kopf saß die schwarze Melone, über dem angewinkelten linken Unterarm hing der Universal-Regenschirm.
Der Chef der Hotelrezeption versuchte sein Gesicht unter Kontrolle zu halten. Er übersah krampfhaft die vier Personen, obwohl er ahnte oder sogar wußte, was sich da vor seinen Augen abspielte. Für ihn stand fest, daß man die englische Lady und ihren Butler zwangsweise aus dem Hotel führte. Liebend gern hätte er eingegriffen und die Polizei angerufen, doch er hatte einfach und schlicht Angst, etwas für seine Gäste zu tun. Ihm war bekannt, zu welcher Organisation die beiden jungen Männer gehörten. Nein, mit der Mafia wollte er sich auf keinen Fall anlegen ...
Die Vierergruppe hatte inzwischen die Außentreppe erreicht und schritt zum nahen Parkplatz. Man hielt auf einen großen Fiat zu, der etwas abseits stand. Parker und einer der jungen Männer nahmen vorn Platz, Lady Agatha und ihr Begleiter belegten den Fond des Wagens. Nach wenigen Augenblicken setzte der schwarze Fiat sich in Bewegung.
»Ich hoffe, Sie halten sich an gewisse Abmachungen«, sagte Parker zu dem Fahrer. Er benutzte die englische Sprache.
»Und ich hoffe, Sie legen sich mit mir an«, meinte die ältere Dame und maß ihren Begleiter mit eisigem Blick. Man sah in ihrer Hand eine ihrer Hutnadeln. Die Spitze dieses ›Bratspießes‹ war auf die Hüfte des Mannes gerichtet.
»Hören Sie«, meinte der Fahrer zu Parker, »noch haben Sie eine Chance.«
»Und wie würden Sie die umschreiben?«
»Wir könnten sagen, Sie wären nicht im Hotel gewesen. Noch können sie verschwinden.«
»Mylady wird Mr. Parcutti einen Besuch abstatten«, antwortete der Butler, »Mylady wird diese Absicht ausführen.«
»Sie haben doch überhaupt keine Chance«, redete der Fahrer hastig weiter, »und wer weiß, ob Parcutti überhaupt in seiner Villa ist.«
»Dies wird sich an Ort und Stelle ergeben.« Parker richtete den Rückspiegel so ein, daß er die Straße hinter dem Fiat gut einsehen konnte. Er entdeckte sofort einen zweiten, dunkelgrünen Fiat, der ihnen folgte.
»Ich warte auf einen Angriff, junger Mann«, sagte Lady Agatha und nickte ihrem Beisitzer ermunternd zu.
»Ich bin doch nicht lebensmüde«, gab der Mann zurück und schielte nervös nach der langen Hutnadel in Myladys Hand, »ich laß mich nicht aufspießen.«
»Wie schade«, fand Agatha Simpson, »Sie enttäuschen mich.«
»Ich weiß eigentlich gar nicht, wo der Pate jetzt ist«, warf der Fahrer in Richtung Parker ein. Er hatte mitbekommen, daß der Butler den Rückspiegel neu eingerichtet hatte.
»Ich werde mir erlauben, Ihnen rechtzeitig die Adresse zu nennen«, antwortete Parker höflich, »ich war so frei, eine Stadtkarte von Verona zu befragen.«
»Von wem wollen Sie denn die Adresse bekommen haben?« drängte der Fahrer.
»Einer Ihrer Freunde war so entgegenkommend, mir damit zu dienen«, behauptete Parker. Dies stimmte zwar keineswegs, doch es sorgte dafür, daß die jungen Männer sich später wechselseitig mißtrauten und anklagten.
»Unter