Er murmelte etwas von einem Scherz und daß er gerne ein wenig Spaß treibe und dann, als er mein Lächeln bemerkte, änderte er plötzlich den Ton und versicherte mir, er wolle alles aufklären, sobald wir unser Frühstück beendet hätten. Ich sah ihm am Gesichte an, daß er keine Lüge für mich bereit hatte, obwohl er sich sehr bemühte, eine zu finden; und ich glaube, ich wollte ihm das gerade sagen, als wir durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen wurden.
Ich hieß meinen Onkel auf seinem Platz sitzen bleiben und ging, um aufzumachen. Ich fand vor der Tür einen halbwüchsigen Buben in Seemannstracht. Sobald er mich erblickt hatte, tanzte er einige Schritte zum Klange einer Holzflöte (wie man sie auf Schiffen zu haben pflegt und die ich nie zuvor gesehen oder gar gehört hatte), schnalzte mit den Fingern in der Luft und machte im Takt Schritte dazu. Er war aber ganz blau vor Kälte und in seinem Gesicht lag ein Ausdruck zwischen Weinen und Lachen, der ungemein traurig anmutete und schlecht zu seinen Heiterkeitsgebärden paßte.
»Lustig, Kamerade, lustig!« rief er mit heiserer Stimme.
Ich fragte ihn gelassen nach seinem Begehren.
»O Freude!« sagte er und fing an zu singen.
»Gut,« sagte ich, »wenn du überhaupt kein Begehren vorzubringen hast, werde ich dir einfach und ohne viel Höflichkeit die Tür vor der Nase zumachen.«
»Halt, Bruder!« rief er. »Verstehst du keinen Spaß? Oder willst du, daß ich Prügel bekomme? Ich habe einen Brief vom alten Heasy-oasy an Herrn Belflower.« Er reichte mir einen Brief. »Und ich sag' dir, Kamerad,« fügte er hinzu, »ich bin tothungrig.«
»Gut,« sagte ich, »komm ins Haus und du sollst was zu essen kriegen, wenn ich dafür auch leer ausgehen sollte.«
Damit führte ich ihn hinein und setzte ihn an meinen eigenen Platz, wo er gierig über die Reste meines Frühstückes herfiel, mir von Zeit zu Zeit zublinzelte und Gesichter schnitt, was der arme Kerl, glaub' ich, für männlich hielt. Inzwischen hatte mein Onkel den Brief gelesen und saß in Gedanken da; dann sprang er plötzlich sehr lebhaft auf und zog mich in den entferntesten Winkel des Raumes.
»Lies das«, sagte er und gab mir den Brief in die Hand. Er liegt hier vor mir, währenddem ich schreibe:
»Hawes Gasthaus in Queen's Ferry.
Sehr geehrter Herr! – Ich liege hier mit gelichteten Ankern und schicke Euch meinen Schiffsjungen, um Euch davon zu benachrichtigen. Wenn Ihr noch irgend welche Wünsche habt über See, so ist heute die letzte Gelegenheit, denn der Wind ist günstig zum Ausfahren. Ich will nicht leugnen, daß ich mit Eurem Anwalt, Herrn Rankeillor, Streitigkeiten gehabt habe, und wenn die Sache nicht schnell in Ordnung gebracht wird, könnt Ihr Euch auf einen Verlust gefaßt machen. Ich schicke Euch anbei eine Rechnung ein und verbleibe
Euer ergebenster Diener
Elias Hoseason.«
»Du siehst, Davie,« nahm mein Onkel das Wort, sobald er sah, daß ich fertig wäre, »ich habe bei diesem Hoseason eine Ladung, er ist Kapitän eines Handelsschiffes, der Covenant von Dysart. Wenn du und ich nun mit diesem Jungen hinübergingen, könnte ich den Kapitän bei Hawes oder an Bord der Covenant, wenn vielleicht Papiere zu unterschreiben wären, sprechen und dies wäre nicht nur kein Zeitverlust für uns, sondern wir könnten sogar gleich weitergehen zu Herrn Rankeillor, dem Advokaten. Nach all dem, was vorgefallen ist, wirst du mir auf mein bloßes Wort hin nicht glauben wollen; aber Herrn Rankeillor wirst du glauben. Er führte die Geschäfte von beinahe allen Edelleuten hier ringsherum; ist nebstbei ein alter Mann, hoch angesehen und hat deinen Vater gut gekannt.«
Ich stand ein« Weile da und dachte nach. Ich sollte in einen Hafenort gehen, der zweifellos voll Menschen war und wo mein Onkel wohl keine Gewalttat wagen dürfte und sogar die Gesellschaft des Schiffsjungen schützte mich soweit. Einmal dort, dachte ich, werde ich den Besuch beim Advokaten schon erzwingen können, selbst wenn mein Onkel es jetzt mit diesem Vorschlag nicht ehrlich meinte; und schließlich wünschte ich vielleicht im Grunde meines Herzens, das Meer und die großen Schiffe in der Nähe zu sehen. Man muß bedenken, daß ich mein ganzes Leben in den Bergen verbracht hatte und eben erst vor zwei Tagen zum erstenmal den Hafen gesehen hatte, der wie ein blauer Fleck vor mir gelegen war, und die segelnden Schiffe, die darauf hinfuhren, nicht größer als Spielzeug. Eines kam zum andern, und ich entschloß mich zu gehen.
»Sehr gut,« sagte ich, »gehn wir nach Ferry.«
Mein Onkel nahm Hut und Mantel und gürtete sich einen alten, rostigen Degen um. Dann traten wir das Feuer aus, sperrten die Tür zu und machten uns aus den Weg.
Der Wind, der von Nordwest her kam, blies uns beinahe gerade ins Gesicht. Es war im Monat Juni, die Wiesen waren voll Gänseblümchen, und die Bäume standen in Blüte. Nach unseren blauen Fingernägeln aber und gefrorenen Knöcheln zu schließen, hätte es Winter sein können.
Onkel Ebenezer trabte in der Wegrinne und wankte von einer Seite auf die andere wie ein alter Bauer, der abends vom Pflügen heimkehrt. Er sprach den ganzen Tag über kein einziges Wort, und ich war, was das Reden anbelangte, auf den Schiffsjungen angewiesen. Er erzählte mir, sein Name wäre Ransome und er sei seit seinem neunten Lebensjahr auf der See; aber er wußte nicht, wie alt er war, denn er hatte inzwischen die Rechnung verloren. Er zeigte mir seine Tätowierungen, wobei er sich trotz dem beißend kalten Wind und all meinen Vorstellungen die Brust entblößte; ich dachte, er könnte sich den Tod dabei holen. Er fluchte fürchterlich, wann immer er Gelegenheit dazu finden konnte, aber mehr wie ein dummer Schulbub als wie ein Mann; auch prahlte er mit vielen wüsten und schlechten Taten, die er begangen hätte: heimliche Diebstähle, falsche Anklagen, ja sogar Morde; aber alles mit so geringer Wahrscheinlichkeit in den Einzelheiten und so schwacher, dummer Großtuerei in der Ausführung, daß ich ihn eher bemitleidete als ihm glaubte.
Ich fragte ihn nach dem Schiff (von dem er behauptete, es wäre das feinste Fahrzeug, das nur je gesegelt sei) und nach dem Kapitän Hoseason, den er ebenso hoch pries. Heasyoasy (denn so nannte er den Schiffsherrn immer noch) war nach seinem Bericht ein Mann, der sich um nichts anderes im Himmel oder auf Erden kümmerte; einer der, wie man zu sagen pflegte, »mit vollen Segeln ins jüngste Gericht hineinfahren würde«; roh, wild, skrupellos und brutal; und all dies hatte mein armer Schiffsjunge als etwas Seemännisches, Männliches bewundern gelernt. Nur einen Fehler seines Idols gab er zu. »Er ist kein Seemann,« gab er zu, »es ist Herr Shuan, der das Schiff führt; er ist der tüchtigste Seefahrer von allen, bis auf das Trinken; und ich kann dir sagen, ich muß es wohl wissen. Da, schau her«, er zog seinen Strumpf hinunter und zeigte mir eine große rote Wunde, daß mir das Blut stockte. »Das hat er getan, Herr Shuan hat's getan«, sagte er mit einem gewissen Stolz. »Was,« rief ich, »läßt du dir eine so rohe Behandlung von ihm gefallen? Du bist doch kein Sklave, daß man dich so behandelt!«
»Nein,« sagte das arme Mondkalb und änderte sofort seinen Ton, »und er wird schon sehen! Da schau!« und er zeigte mir ein großes Messer, das, wie er mir sagte, gestohlen sei. »Oh!« sagte er, »er soll's nur versuchen! Ich rat' es ihm! Ich werd' noch fertig mit ihm! Oh, er wäre nicht der erste!« Und er bekräftigte es mit einem armseligen, dummen, häßlichen Fluch.
Ich habe noch niemals für irgendjemand auf der ganzen Welt so großes Mitleid empfunden wie für dieses halbblöde Geschöpf und es wurde mir langsam klar, daß das Segelschiff Covenant (trotz dem friedlichen Namen) nur wenig besser war als die Hölle auf dem Meer.
»Hast du keine Freunde?« sagte ich.
Er sagte, daß er einen Vater in irgend einem englischen Seehafen hätte, ich vergaß den Namen. »Er war auch ein feiner Kerl,« sagte er, »aber jetzt ist er tot.«
»Um Gottes willen,« rief ich, »kannst du nicht irgend einen ehrlichen Lebensunterhalt an Land finden?«
»Oh, nein,« sagt er blinzelnd und sah sehr verschlagen drein, »Sie würden mich in die Lehre stecken. Ich kenne einen noch besseren Trick, ah ja!«
Ich fragte ihn, was für ein Leben denn noch so schrecklich sein könnte wie das seine, da er doch in ständiger