Er schien ein anderer Mensch geworden. Die größte Menge Cocktail hätte nicht diese Flamme in seinen Augen entzünden, nicht seine Wangen mit solcher Glut färben können. Während er arbeitete, fühlte er sich von neuem von der alten Leidenschaft gepackt, die ihn den größten Teil seines Lebens beherrscht hatte. Ein wilder Wahnsinn überkam ihn und wuchs von Minute zu Minute. Er arbeitete wie verrückt, bis er vor Anstrengung keuchte und der Schweiß ihm über die Stirn troff. Er suchte die ganze Breite des Erdrutsches ab und grub durch die rote vulkanische Erde, die von dem eingestürzten Felsen über ihn herabgekommen war, bis er Quarz fand, mürben Quarz, der ihm unter den Händen zerbröckelte und von reinem Golde wimmelte.
Zuweilen verursachte er kleine Erdrutsche, die seine Arbeit wieder zunichte machten und ihn zwangen, die Erde wegzugraben. Einmal wurde er fünfzig Fuß tief bis auf den Boden des Canjons mitgerissen, kam aber mit einiger Mühe auf die Beine und kroch wieder hinauf, ohne auch nur Luft zu schöpfen. Hier war der Quarz bröckelig, daß er fast Lehm glich, und hier war er reicher an Gold als irgendwo sonst. Es war die reine Schatzkammer. Er verfolgte die Ader bergauf und bergab auf eine Strecke von hundert Fuß. Er kletterte sogar über den Rand des Canjons, um möglicherweise etwas von dem Quarzgange zu erspähen. Aber das hatte Zeit, und er kehrte schnell zu seinem Funde zurück.
Er arbeitete weiter in derselben wahnsinnigen Eile, bis Ermattung und unerträgliche Rückenschmerzen ihn zum Aufhören zwangen. Er richtete sich an einem Quarzblock auf, der noch goldhaltiger als die vorhergehenden war. Als er gebückt dagestanden hatte, war der Schweiß ihm von der Stirn auf die Erde getropft, jetzt lief er ihm in die Augen und blendete ihn. Er wischte ihn mit dem Handrücken ab und machte sich von neuem an die Untersuchung des Goldes. Es würde dreißigtausend auf die Tonne, ja fünfzigtausend oder noch mehr ergeben, das wußte er gut. Und als er so das gelbe, lockende Gold anstarrte, nach Luft schnappte und sich den Schweiß aus den Augen wischte, begannen in seinem Innern plötzlich die großen Gesichte aufzutauchen. Er sah die Eisenbahnschienen, die vom Tal in die Höhe, quer über die Wiesen bis zum Gipfel des Berges laufen mußten, und sein Blick glitt über die Hänge und baute die Brücke über den Canjon, bis alles vor seinen Augen zur Wirklichkeit wurde. Auf der andern Seite des Canjons mußte die Mühle errichtet werden, und er stellte sich dorthin und hing auch die endlose Kette von Eimern auf, die sich mittels Schwerkraft durch den Raum bewegten, um das Metall über den Canjon zum Quarzbecher zu schaffen. Die ganze Mine lag zu seinen Füßen mit ihren Tunneln, Schächten, Galerien und Kränen. Er konnte die Sprengungen in der Mine hören, während von der andern Seite das Poltern des Stampfwerkes ertönte. Die Hand, die das kleine Stückchen Quarz hielt, zitterte, und er spürte in seinem Magen ein müdes, nervöses Klopfen. Plötzlich wußte er, daß er etwas trinken mußte – Whisky, Cocktail, irgend etwas, nur Spiritus. Und in diesem Augenblick, als der brennende Drang nach Spiritus ihn ganz beherrschte, hörte er in der Ferne Dedes Stimme, die über die grüne Tiefe des Canjons schwach und undeutlich zu ihm herüberdrang:
»Komm, put, put, put, put, put! Komm, put, put, put!«
Er war erstaunt, wieviel Zeit vergangen war. Sie hatte die Veranda verlassen und fütterte jetzt die Küken, ehe sie das Abendessen bereitete. Der Nachmittag war vergangen. Er konnte nicht fassen, daß er so lange fortgeblieben war.
Wieder hörte er ihr Rufen: »Komm, put, put, put, put, put! Komm, put, put, put!«
So rief sie immer, erst fünf-, dann dreimal. Er hatte es längst bemerkt. Und als er so an sie dachte, stiegen auch andere Gedanken in ihm auf, die allmählich den Ausdruck von Angst über seine Züge bereiteten. Denn ihm war, als hätte er sie schon fast verloren. Nicht ein einziges Mal hatte er in diesen wahnsinnigen Stunden an sie gedacht, die ganze Zeit war sie ihm wahrhaftig verloren gewesen.
Er warf das Quarzstück fort, ließ sich den Erdrutsch hinabgleiten und begann mit schweren Schritten den Pfad entlang zur Ranch zu laufen. Am Rande der Rodung verlangsamte er seinen Schritt und kroch fast bis zu einer Stelle, von wo aus er sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Sie fütterte immer noch die Küken, streute ihnen Hände voll Korn aus und lachte über ihre drolligen Bewegungen.
Bei ihrem Anblick war ihm, als verließe ihn plötzlich der panische Schrecken, der ihn ergriffen hatte, er machte kehrt und lief den Pfad zurück. Dann kletterte er wieder den Erdrutsch hinauf, kletterte jetzt aber höher und nahm Hacke und Schaufel mit. Und wieder arbeitete er wie rasend, aber diesmal mit einer andern Absicht. Er berechnete genau, lockerte die rote Erde, so daß sie herabstürzte, alles, was er ausgegraben hatte, unter sich begrub und den Schatz, den er entdeckt hatte, wieder vor dem Tageslicht verbarg. Er ging sogar in den Wald, schaufelte ganze Arme voll des im vergangenen Jahre gefallenen Laubes zusammen und streute es über den Erdrutsch. Aber diese Arbeit gab er bald als zwecklos wieder auf und ließ wieder Erde über den Schauplatz seiner harten Arbeit nachstürzen, bis jede Spur des vorspringenden Quarzganges vollständig verwischt war.
Dann setzte er das beschädigte Wasserrohr instand, nahm sein Werkzeug und machte sich auf den Heimweg. Er ging langsam, denn er fühlte eine große Müdigkeit, wie ein Mensch, der eine furchtbare Krisis durchgemacht hat. Er legte das Werkzeug fort, nahm einen tüchtigen Schluck von dem Wasser, das jetzt wieder durch die Kanäle strömte, und setzte sich auf die Bank an der offenen Küchentür. Dede war drinnen dabei, das Abendessen zu bereiten, und der Klang ihrer Schritte erfüllte ihn mit unendlicher Zufriedenheit.
Er atmete die balsamische Bergluft in tiefen Zügen, wie ein Taucher nach dem Aufsteigen aus der Tiefsee. Und während er die Luft einsog, tranken seine Augen die Schönheit der Wolkentäler, als wollten sie sich nie wieder davon losreißen.
Dede wußte nicht, daß er zurückgekommen war, und er wandte hin und wieder den Kopf und blickte sie verstohlen an – ihre geschickten Hände, den Bronzeschimmer über ihrem braunen Haar, das aufflammte, wenn sie in den breiten Sonnenscheinstreifen trat, der durch das Fenster hereinströmte, die Verheißung ihrer Gestalt, und ihn durchfuhr es wie ein Stich, so lieb und teuer war ihm das alles. Er hörte, wie sie sich der Tür näherte, und wandte absichtlich den Kopf nach dem Tale. Und dann wurde er von dem seligen Gefühl durchbebt, das er immer spürte, wenn ihre Finger weich und kosend durch sein Haar fuhren.
»Ich wußte nicht, daß du zurückgekommen bist«, sagte sie. »War es schlimm?«
»Ja, ein ziemlich schlimmer Erdrutsch«, antwortete er, während er noch fortsah und unter ihrer Liebkosung zitterte. »Es war ernster, als ich gedacht hatte. Aber ich habe eine gute Idee bekommen. Weißt du, was ich tun will? Eukalyptusbäume pflanzen. Die werden die Erde schon halten. Ich will sie so dicht wie Gras pflanzen, so daß nicht einmal ein hungriger Hase durchschlüpfen kann, und wenn die erst mal richtig Wurzeln geschlagen haben, kann keine Macht der Welt die Erde wieder zum Rutschen bringen.«
»Ja, war es denn so schlimm?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, du brauchst nicht bange zu sein. Aber ich will keine Mühe mehr haben durch diese verdammten Erdrutsche, das ist alles. Ich will die Erde auf dem Boden festnageln, daß sie Millionen Jahre dort bleibt. Und wenn die letzte Posaune ertönt, und der Sonoma-Berg und alle anderen Berge vom großen Nichts verschlungen werden, dann wird hier die Erde noch stehen, von den Wurzeln gehalten.«
Er legte den Arm um sie und zog sie auf seine Knie. »Hör', mein Kind, dir ist ja doch allerlei versagt geblieben, weil du hier auf der Ranch lebtest – Musik, Theater und dergleichen. Sehnst du dich nicht doch danach, alles hier zu lassen und zu den andern zurückzukehren?«
So groß war seine Angst, daß er sie gar nicht anzusehen wagte; als sie aber lachte und den Kopf schüttelte, fühlte er eine unsagbare Erleichterung. Und er bemerkte auch den ewig jungen Klang in ihrem frohen, knabenhaften Lachen.
»Hör',« sagte er plötzlich heftig, »geh' nicht in die Nähe des Erdrutsches, bevor die Bäume, die ich pflanzen will, Wurzeln geschlagen haben. Es ist sehr gefährlich, und ich kann es mir jetzt nicht leisten, dich zu verlieren.«
Er zog sie an sich, preßte seine Lippen auf die ihren und küßte sie heiß und leidenschaftlich.